Kommentare zum Pussy-Riot-Urteil
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„Der Standard“, Wien
Einst hatte er die „Diktatur des Gesetzes“ versprochen, nun gilt er als derjenige, der persönlich das Urteil im Pussy-Riot-Prozess gesprochen hat. Dass er hinter der strafrechtlichen Verfolgung der Gruppe steht, wurde spätestens klar, als er kurz vor den Plädoyers eine „nicht zu harte Strafe“ forderte und erklärte, die Frauen hätten „ihre Lektion gelernt“. Der Staatsanwalt sah daraufhin pflichtbewusst von der Höchststrafe ab.
Der Protest gegen das diktierte Urteil geht vor allem von gebildeten und jungen Menschen aus, also den Menschen, die Putin für die Modernisierung des Landes braucht. Diese Schicht verliert Putin mehr und mehr. Es ist kein Zufall, dass der Kreml-Chef zum Prozessausgang in Umfragen erstmals weniger als die Hälfte der Russen hinter sich hat.
„Die Presse“, Wien
Wladimir Putin liebt die Pose des starken Mannes. Ob als Biker, als Kampfpilot oder als Jäger in Sibirien: Die Macho-Auftritte des muskelbepackten Kreml-Herrn sind legendär und Teil eines über sehr viele Jahre gepflegten Images. [...] Doch es wird immer mehr zur Karikatur verzerrt. Mitschuld daran ist ein anderes Bild, das derzeit die Außenwahrnehmung von Russland dominiert: Das Bild dreier junger, zierlich wirkender Frauen, die man wie gefährliche Verbrecher in Fesseln vor Gericht schleppt und dort - während einer unfairen Verhandlung - in einen Glaskäfig sperrt. Und die man schließlich zu zwei Jahren Haft verurteilt.
Der Kreml-Chef tut nur dann so, als würde ihn die internationale Meinung kümmern, wenn er in die Mikrofone internationaler Medien spricht. Zu Hause in Russland sieht dann alles wieder anders aus. Dann gilt eine andere Logik - die Logik eines Systems, in dem es kein Verzeihen gibt, in dem die Staatsmacht als Verlierer dagestanden wäre, wenn die drei Angeklagten so einfach davongekommen wären. Die Frauen von Pussy Riot lächelten während der Urteilsverkündung. Denn sie haben den Irrwitz genau dieses Systems demaskiert. Aus Sicht des politischen Aktivismus waren sie somit erfolgreich, auch wenn sie persönlich dafür einen sehr hohen Preis bezahlen.
„Salzburger Nachrichten“
Putin, der sich gern als Modernisierer preist, schreitet mit großen Schritten in die Sowjetvergangenheit und in Richtung Diktatur. Dahin, wo nur eine Meinung zählt. In einer Demokratie ist alles umstritten, eine Meinung so willkommen wie die andere. Stete Diskussion, wenn auch manchmal nervtötend und langwierig, garantiert die Fähigkeit zur Erneuerung. Putin fürchtet Erneuerung. Denn sie könnte ohne ihn stattfinden.
Putins Angst vor dem Volk wurde durch den Fall Pussy Riot deutlich. Die Tatsache, dass dieses Volk immer weniger Angst vor ihm hat, auch.
„Nowaja Gaseta“, Moskau
Das Urteil ist ein Teil des Dammes, der die Macht verteidigt, vor dem Hintergrund fallender Zustimmungswerte des ersten Mannes im Staat, des erwachenden politischen Bewusstseins der urbanen Mittelklasse, säkularer Medien und der Modernisierung des Bewusstseins. Den Boden dieses Dammes bilden bereits die Gesetze zur Versammlungsfreiheit und über ausländische Agenten sowie das künftige Gesetz über Freiwillige (NGOs, Anm.) und andere Überraschungen aus den ersten Monaten des neuen Präsidenten. Mit diesem Urteil beweist die Führung, dass sie die Repressionen fortsetzen wird, manchmal auch unter dem Banner der Religiosität.
„De Volkskrant“, Amsterdam
Pussy Riot schien ein leichtes Ziel zu sein für den Zorn des Präsidenten. Allein schon das Genre der Band - feministischer Punk - wird von vielen Russen assoziiert mit ‚westlicher‘ Dekadenz. Wahrscheinlich dachte Putin, mit seinem harten Auftreten könne er ohne das Risiko öffentlicher Entrüstung zeigen, wer der Boss ist. Durch das knallharte Vorgehen gegen Pussy Riot ist jedoch im In- und Ausland eine empfindsame Saite getroffen worden. Nach zwölf Jahren Putin wünschen sich viele Russen ein Regime, das weniger repressiv und korrupt ist. Die Macht Putins ist zwar noch nicht ernsthaft bedroht - auch weil er politische Alternativen zu seinem System im Keim erstickt. Doch wer seine Faust gegen drei wehrlose junge Frauen einsetzt, verliert ernsthaft an Autorität.
„Luxemburger Wort“
Nach dem Richterspruch im international beachteten Strafprozess gegen die Künstlerinnen Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Aljochina und Jekaterina Samuzewitsch erntet Russland aus dem westlichen Ausland durchweg negative Reaktionen. In der Tat dürften die drei Sängerinnen mit ihrem Protest in der Erlöserkathedrale in Moskau am 21. Februar die Gefühle von Gläubigen verletzt haben. Und mit ihrem kremlkritischen Auftritt bewusst ein Strafverfahren und die damit verbundene mediale Aufmerksamkeit in Kauf genommen haben. [...]
Mit Anzeichen von Härte wie der nun erfolgten Einweisung der Demonstrantinnen in ein gefängnisähnliches Erziehungs- und Straflager macht sich Russlands Präsident aber keine Freunde und Bewunderer. So gut die Entrüstungswelle in Europa nach dem Moskauer Urteil auch gemeint ist: Sie droht, die bestehenden Differenzen zwischen europäischem und russischem Werteverständnis weiter zu vertiefen. Denn viele Menschen in Russland haben mit der Demokratie in den Wende-Jahren unter Jelzin so vernichtende Erfahrungen gemacht, dass sie die Stabilität unter Putin schätzen. Dieses Dilemma wird Russland noch lange Jahre beschäftigen.
„Tageszeitung“, Berlin
Vorbei ist die Zeit, als das System Putin es noch verstand, seine fragwürdige Politik wohlmeinenden Zaungästen als demokratisch, zumindest als rational zu verkaufen. Diesmal hat sich der Kreml gleich in beide Knie geschossen. Wir können nur vermuten: In den Etagen der Macht muss erhebliches Chaos herrschen. Auch die orthodoxe Kirche, die sich zum Richter aufschwingt, hat wie ihr weltliches Pendant gezeigt, dass sie nicht Trägerin und Hüterin moralischer Autorität ist. Auch sie leidet an Schwäche und hat der Gesellschaft keine frohe Botschaft, sondern nur Rachegedanken anzubieten. Sonst hätte sie, statt den Kreml um Hilfe beim Strafvollzug zu bitten, Gnade walten lassen. Beide Institutionen leiden unter chronischem Muskelschwund.
„Berliner Zeitung“
Wer beobachtet, wie alle Prozessbeteiligten nach Stunden, die sie im Stehen die Ausführungen des Gerichts verfolgen mussten, erschöpft ins Wanken geraten, bekommt ein anschauliches Bild vom Zustand des Landes. Es ist aus dem Gleichgewicht geraten, nicht weil drei junge Frauen die Staatsmacht herausgefordert oder die Gefühle von Gläubigen verletzt haben, sondern weil die Ideen- und Perspektivlosigkeit einer kleinen herrschenden Clique sich wie ein Alpdruck über das Land gelegt hat.
„Sächsische Zeitung“
Wer harmlose Punkerinnen wie Schwerverbrecher in einem Glaskäfig zur Schau stellt, besitzt keinen Sinn für Gerechtigkeit. Das Verfahren ist die logische Fortsetzung einer Politik, die jegliche Kritik an der Staatsmacht zur Straftat macht. Was der Kreml für einen Ausdruck von Stärke hält, ist in Wahrheit ein Zeichen von Schwäche. Was vermutlich nach wenigen Tagen vergessen gewesen wäre, wächst sich zu einem politischen Problem aus. Die Empörung im Westen und einen möglichen Dissens kann Putin verschmerzen. Er wird es vielleicht auch.
„Märkische Oderzeitung“, Frankfurt an der Oder
Das Bild der im gläsernen Gerichtskäfig eingepferchten und streng bewachten jungen Frauen ist ein hässliches Symbol für das heutige Russland. Deshalb ist auch die Solidarität im Ausland so groß. Und wer weiß, vielleicht kommt ja irgendwann der Tag, an dem auch Putin selbst begreifen wird, dass der Verfall seiner Macht genau in dem Moment begann, als die Sängerinnen verhaftet wurden.