London droht Ecuador mit „Einmarsch“
Am Donnerstagnachmittag hat Ecuador in einer mit Spannung erwarteten Erklärung bekanntgegeben, dass es dem Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, Julian Assange, Asyl gewähren wird. Das begründete Ecuador mit einer möglichen Verfolgung Assanges in den USA wegen Geheimnisverrats. London beharrt allerdings weiter auf einer Festnahme Assanges, dem in Schweden Sexualdelikte vorgeworfen werden.
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Ecuador begründete die Gewährung „diplomatischen Asyls“ damit, dass Assanges Leben in Gefahr sei. In den USA droht Assange wegen der Veröffentlichung vor allem von militärischen Geheiminformationen theoretisch die Todesstrafe. Die Gewährung von Asyl sei die alleinige Angelegenheit von Ecuador, jedoch „geschützt durch internationales Recht“. London erklärte in einer ersten Reaktion, man sei „enttäuscht“ über die Entscheidung Ecuadors. Später hieß es, man hoffe immer noch auf eine Verhandlungslösung.
Hague: Lösung kann Monate oder Jahre dauern
Der britische Außenminister William Hague sagte am Donnerstag, der Streit könne noch Monate oder Jahre dauern. Assange selbst will seine Ausreise notfalls vor dem internationalen Gerichtshof erstreiten. Es gebe kein „Zeitlimit“ für die Lösung des Problems, sagte Hague. Die britische Regierung habe auch keine rechtliche Möglichkeit, dem 41-jährigen Australier die Ausreise zu gestatten. Zudem erkenne Großbritannien das „Prinzip des diplomatischen Asyls“ nicht an, sagte Hague.
Für London „ändert sich nichts“
Großbritannien hatte bereits zuvor erklärt, dass Ecuadors Entscheidung, egal wie sie ausfallen würde, „nichts ändert“: „Wir haben eine gesetzliche Pflicht, Herrn Assange auszuliefern. Es gibt ein Gesetz, das besagt, dass wir ihn an Schweden auszuliefern haben. Wir werden dieses Gesetz erfüllen“, sagte ein Sprecher des britischen Außenministeriums am Donnerstag. Explizit bestätigte er, dass auch daran gedacht sei, den diplomatischen Status der ecuadorianischen Botschaft aufzuheben.

APA/EPA/Facundo Arrizabalaga
Polizei riegelt das Botschaftsgebäude ab
Briten riskieren völkerrechtliche Ächtung
Dass Großbritannien Ecuador mit der Erstürmung der Botschaft droht, hatte zuvor der ecuadorianische Außenminister Ricardo Patino publik gemacht. Die Briten haben sich dieses Recht in einem nationalen Gesetz aus dem Jahr 1987 selbst gegeben, wenn diplomatische Vertretungen „missbräuchlich verwendet“ werden. Das ist jedoch ein klarer Bruch aller diplomatischen Gepflogenheiten und der völkerrechtlich bindenden Wiener Konvention über diplomatische Immunität aus dem Jahr 1961.
Kurz gesagt bedeuten die Regeln über diplomatische Immunität, dass diplomatische Vertretungen und alles, was mit ihnen zusammenhängt - man denke etwa an Autos mit „CD“-Kennzeichen - als Territorium des betreffenden Landes gelten. London droht Ecuador also mit dem „Einmarsch“, wenn auch im Londoner Nobelstadtteil Knightsbridge. Entsprechend zornig fiel die ecuadorianische Antwort aus: London habe wohl noch nicht mitbekommen, dass Ecuador kein kolonialer Untertan sei, zürnte Präsident Raffael Correa.
Auch deutliche Kritik von britischer Diplomatie
Selbst der frühere britische Botschafter in Moskau, Tony Brenton, sagte gegenüber der britischen BBC, das britische Außenministerium „hat sich da wohl ein bisschen zu weit hinausgelehnt“: „Wenn wir in einer Welt leben, in der Regierungen nach Belieben die Immunität aufheben und in Botschaften hineingehen können, dann werden das Leben von Diplomaten und deren Arbeitsmöglichkeit an Orten wie Moskau, wo ich war, und Nordkorea, nachgerade unmöglich.“

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Sympathisanten von Assange vor der Botschaft
„Gentlemen’s Agreement“ im Hintergrund?
Ob Großbritannien tatsächlich den Völkerrechtsbruch riskiert, bleibt abzuwarten. Es ist allerdings zu vermuten, dass im Hintergrund Gespräche laufen, die einen Gesichtsverlust oder gar einen diplomatischen Krieg beider Seiten miteinander verhindern sollen. Das würde bedeuten, dass entweder Ecuador oder Großbritannien im entscheidenden Moment mehr oder weniger bewusst „wegschaut“, damit Assange entweder tatsächlich verhaftet wird oder außer Landes kommen kann.
In ersterem Fall würde es reichen, wenn Ecuador Assange in einen ungeschützten Bereich bringt, in dem die britischen Behörden Zugriffsrecht haben. Die ecuadorianische Botschaft beansprucht nur einen Teil des Hauses in Knightsbridge - schon der Gang ist „britisches Territorium“. Im umgekehrten Fall müsste Ecuador eine lückenlose „Brücke aus ecuadorianischem Hoheitsgebiet“ schaffen, bis Assange die Landesgrenzen überschritten hat. Die Flucht Assanges könnte entsprechend abenteuerlich verlaufen.
„Menschenschmuggel“ als mögliche Lösung
Es gibt Fälle, in denen Menschen als diplomatisches Gepäck geschmuggelt wurden. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Ecuador Assange zum Diplomaten des eigenen Landes macht und er damit persönliche Immunität genießt. Eine dritte Variante wäre ein diplomatischer Stellungskrieg, bei dem Assange in der Botschaft bliebe - wie etwa im Fall des ungarischen Kardinals Jozsef Mindszenty. Er flüchtete 1956 in die US-Botschaft in Ungarn - und blieb dort 15 Jahre, bis er 1971 nach Österreich ausreisen konnte.
Eine schnelle Entscheidung dürfte jedenfalls nicht zu erwarten sein: Großbritanniens Außenminister William Hague erklärte Donnerstagabend, der Konflikt werde beide Länder wohl noch eine „beträchtliche“ Zeit lang beschäftigen. Darüber hinaus bekräftigte er, Assange werde kein freies Geleit zum Verlassen des Landes bekommen: Asyl dürfe „nicht dazu genützt werden, um vor der Rechtsprechung zu fliehen“. Man sei weiterhin entschlossen, Assange an Schweden auszuliefern. Es gebe jedoch keine Gefahr einer Erstürmung der Botschaft.
Assange rechnet mit „Stress“
Auch Schweden beteiligte sich an dem Konflikt und bestellte den ecuadorianischen Botschafter in Schweden ein, um Protest gegen den „inakzeptablen“ Versuch einer Behinderung der schwedischen Justiz und der europäischen Kooperation im Justizbereich einzulegen. Assange selbst hat die Asylentscheidung Ecuadors laut dem Personal der Botschaft als „wichtigen Sieg für mich selbst und meine Leute“ bezeichnet. Allerdings würden die „Dinge jetzt wahrscheinlich stressiger“.
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