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Hidschab spricht von „Völkermord“

Mit dem syrischen Regierungschef Riad Hidschab ist der bisher ranghöchste Politiker des Landes zur Opposition übergelaufen. Hidschab begründete das mit den „Kriegsverbrechen und dem Völkermord“ in seinem Heimatland, wie sein Sprecher, Mohammed Otri, am Montag dem Fernsehsender al-Jazeera sagte.

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Hidschab und seine Familie befänden sich an einem sicheren Ort, sagte Otri. Laut al-Jazeera hält sich Hidschab in Jordanien auf, auch jordanische Behörden bestätigten das inoffiziell. In der von Otri verlesenen Botschaft erklärte der Politiker: „Ich verkünde meinen Austritt aus dem mörderischen und terroristischen Regime, um mich der Opposition anzuschließen, deren Soldat ich werde.“

„Anfang vom Ende“

Ein Vertreter des oppositionellen Syrischen Nationalrats sagte AFP, Hidschab habe sich mit Familie, zwei Ministern und drei Armeeoffizieren in der Nacht zum Montag nach Jordanien abgesetzt. Nationalratschef Abdel Basset Sajda erklärte, das zeige den „Zerfall“ der syrischen Führung. „Das ist der Anfang vom Ende“, sagte Sajda AFP.

Die USA werten die Flucht des syrischen Ministerpräsidenten als weiteren Beweis für den Zerfall des Regimes. „Dass der nominelle Kopf der syrischen Regierung dem andauernden Blutvergießen, das auf Anweisung Assads ausgeführt wird, eine Absage erteilt, unterstreicht, dass das Assad-Regime von innen zerbröckelt“, sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, am Montag. Die Tatsache, dass sich immer mehr hochrangige Vertreter absetzten, sei ein Zeichen, dass Assad zunehmend an Macht verliere. Nun sei das syrische Volk am Zug. „Assad kann seine Kontrolle (über das Land) nicht wiederherstellen, weil es das syrische Volk nicht erlauben wird.“

Riyad Hijab und Assad

Reuters/Syrian News Agency

Hidschab bei der Angelobung zum Premier im Juni

Der Erklärung Otris zufolge plante Hidschab seine Flucht seit mehr als zwei Monaten. Bewerkstelligt wurde sie mit Hilfe der aufständischen Freien Syrischen Armee. Davor hatte der 46-Jährige sein ganzes Leben treu dem Assad-Regime gedient. Er bekleidete hohe Funktionen in der herrschenden Baath-Partei. Als im Frühjahr 2011 die Proteste gegen Assad begannen, war er Gouverneur der Mittelmeer-Provinz Latakia, aus der die Assad-Familie stammt.

Das syrische Staatsfernsehen hatte berichtet, Hidschab sei entlassen worden. Demnach soll sein Stellvertreter Omar Ghalawandschi vorübergehend die Amtsgeschäfte übernehmen. Hidschab war erst am 6. Juni von Assad berufen worden.

Weitere hochrangige Überläufer

Laut der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu setzte sich ein weiterer ranghoher syrischer General mit fünf Offizieren und mehr als 30 Soldaten in die Türkei ab. Nach Angaben der Rebellentruppe Freie Syrische Armee setzten sich am Sonntag drei syrische Geheimdienstbeamte nach Jordanien ab.

Im Widerspruch zur Darstellung der Regierung, sie habe die Kontrolle über Damaskus zurückerlangt, wurde das Rundfunkgebäude am Montag von einem Bombenanschlag erschüttert. Bei der Explosion in einem schwer gesicherten Stadtteil wurden nach Regierungsangaben „mehrere Mitarbeiter“ verletzt. Der Angriff ist vor allem von hoher symbolischer Bedeutung, da er sich gegen das wichtigste Propagandawerkzeug der Regierung richtete.

Katar und Saudis liefern Waffen

Eine Nationalratssprecherin sagte dem französischen Sender Europe 1, die Rebellen erhielten konventionelle Waffen aus Katar, Saudi-Arabien und Libyen. Andere Länder würden Geld für Waffenkäufe auf dem Schwarzmarkt geben. Die Opposition sei den Regierungstruppen bei der Ausrüstung dennoch weit unterlegen.

Die syrische Luftwaffe beschoss am Montag erneut die Metropole Aleppo, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete. Mindestens acht Zivilisten und ein Rebellenführer seien getötet worden. Laut der Beobachtungsstelle wurden am Montag landesweit mindestens 28 Menschen getötet.

Der Nationalrat warf den Regierungstruppen vor, in der Provinz Hama ein „Massaker“ verübt zu haben. Dabei seien am Sonntag rund 40 Menschen getötet und 120 verletzt worden. Anschließend hätten regierungstreue Soldaten und Milizionäre fliehende Einwohner mit Schusswaffen und Messern verfolgt.

Österreich für Flüchtlinge gerüstet

In Europa beginnen sich die Regierungen mit der Möglichkeit eines Flüchtlingsstroms aus Syrien auseinanderzusetzen. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sagte am Montag im Ö1-Mittagsjournal, das Bürgerkriegsland befinde sich in einer Lage, „wo es darum geht, sollten Migrationsströme von Tausenden von Menschen kommen, dass wir völkerrechtliche Verantwortung zur Unterbringung und Betreuung haben“.

Im ersten Halbjahr 2012 stellten 368 Syrer einen Asylantrag in Österreich. Derzeit werde niemand nach Syrien zurückgeschickt, hieß es aus dem Innenministerium. Man besitze ausreichende Kapazitäten zur Unterbringung von Flüchtlingen.

Der Menschenrechtsbeauftragte der deutschen Regierung, Markus Löning, sprach sich gegen die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland aus. Es sei „jetzt nicht der Augenblick“, darüber zu sprechen, sagte Löning nach Angaben eines Sprechers des Auswärtigen Amtes. Den Flüchtlingen müsse zunächst dort geholfen werden, wo sie sich derzeit aufhielten.

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