741 Millionen Euro zu viel
Der Rechnungshof (RH) geht mit dem Landwirtschaftsministerium hart ins Gericht. Die Förderungen für innovative Entwicklungen im ländlichen Raum (Projekt „Leader“ im Rahmen der Agrarförderungen) stiegen gegenüber der Vorperiode auf das Vierfache und liegen damit weit über den Vorgaben der EU.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
„Eine Rechtsgrundlage für diesen freiwilligen nationalen Mehrbeitrag bestand nicht“, schreibt der RH in seinem Anfang August erschienen Bericht zu „Leader“. Insgesamt wurden für „Leader“ von 2007 bis 2012 vier Milliarden Euro ausgegeben - das waren 741 Mio. Euro mehr als von der EU für die vollständige Ausschöpfung der EU-Mittel gefordert, heißt es in dem Bericht an die Adresse von Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP). Zusätzlich gab es für „Leader“ mindestens 100 Mio. Euro aus den Gemeindebudgets.
Keine „positiven Effekte“
Für diese österreichische Übersubventionierung lag „weder ein Ministerratsvortrag noch eine Rechtsgrundlage vor“, heißt es von den Kontrolloren. Positive Effekte auf den Arbeitsmarkt gab es auch nicht. „Im Vergleich zur Vorperiode wurde mit dem vierfachen Mitteleinsatz nicht einmal eine Verdoppelung der neuen Arbeitsplätze angestrebt“, steht in dem Bericht. Obwohl es bei „Leader“ um innovative Projekte geht, sei bei der Auftragsvergabe nur „ein geringes Ausmaß an innovativen Leader-Projekten“ ins Auge gefasst worden.
Auftragnehmer und Auftraggeber ident
Auch habe es zahlreiche „In-sich-Geschäfte“ gegeben, sprich Auftragnehmer und Auftraggeber waren ident. Hart ins Gericht geht der Rechnungshof auch mit der Agrarmarkt Austria (AMA): „Die AMA zeigte wenig Problembewusstsein und führte auch nach Hinweisen des Rechnungshofes keine eigenen Erhebungen zur Abklärung potenzieller Unvereinbarkeiten und Interessenkonflikte durch.“
Keine Rosen für Kontrolle
Umso großzügiger der Umgang mit Steuergeld war, umso schlechter war die Kontrolle. Das System zur inhaltlichen Bewertung wies laut RH „gravierende Schwächen“ auf. Bei der Auswahl der Projekte sei die Selektion nach Qualität und Prioritäten nicht gewährleistet gewesen. Das Landwirtschaftsministerium sei seiner Sorgfaltspflicht bei der Datenerfassung „nicht ausreichend“ nachgekommen. Besonders großzügig waren die Kärntner Beamten. „Ein von Kärnten gefördertes grenzüberschreitendes Kooperationsprojekt wies ein Finanzierungsverhältnis von 40 : 1 (Kärnten : Slowenien) auf.“
Der RH ging auch auf die Berücksichtigung von Frauenprojekten bei „Leader“ ein und meinte, es spiegle sich „ein nur sehr geringes Problembewusstsein zum Thema Gleichstellung und Chancengleichheit im ländlichen Raum wider“. Grundsätzlich heißt es zu den Agrarsubventionen: „In Österreich machten die für den gesamten Agrarbereich verausgabten EU-Mittel in Höhe von rund 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2009 rund 72 Prozent aller österreichischen EU-Rückflüsse aus.“
„Heißer Herbst“
Die überhöhten Subventionen haben unterdessen die Aufmerksamkeit des Finanzministeriums auf das Landwirtschaftsressort gelenkt. Finanzstaatssekretär Andreas Schieder (SPÖ) zeigte sich am Sonntag über den RH-Bericht „erstaunt“. Er will von Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) daher bei der Budgeterstellung im Herbst klarstellen lassen, dass diese Praxis abgestellt wird. „Es wird für ihn ein heißer Herbst“, so Schieder.
Schieder will von Berlakovich wissen, ob diese Praxis mittlerweile abgestellt ist oder „ein Trick“ dabei sei. Denn das Landwirtschaftsressort habe immer versichert, dass nicht überfördert werde. „Am Schmäh halten können wir uns auch selbst, dazu brauchen wir kein anderes Ressort“, so Schieder.
„Rechtlich eindeutig legitimiert“
Berlakovich unterstrich die Wichtigkeit einer neuen gemeinsamen Agrarpolitik, die „über Parteigrenzen hinweg“ erfolgen müsse: „Wir brauchen ein ordentliches EU-Budget und müssen alle an einem Strang ziehen.“ Die vom Rechnungshof kritisierten Förderungen verteidigte er: „Nationale Mittel“ würden jährlich vom Parlament bzw. den Landtagen festgelegt und seien „rechtlich eindeutig legitimiert“, so der Minister in der Aussendung. Wenn man Leistungen wolle, müsse man sie auch bezahlen.
Schieders Parteikollege, SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter, sah das naturgemäß anders. Neben Handlungen auf Regierungsebene forderte er im parlamentarischen Rechnungshofausschuss „detaillierte Aufklärung über das Agrarfüllhorn“.
Links: