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Bald Käufe auf dem Anleihemarkt?

Die Erwartungen an die nächste Zinssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) könnten kaum höher sein. Analysten sehen die Chance auf einen Eingriff auf den Anleihemärkten deutlich gestiegen. Die Hoffnung, wonach die EZB in der Schuldenkrise mit Anleihekäufen zur Retterin des Euro werden könnte, erhielt nach der Ankündigung ihres Chefs Auftrieb.

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„Die EZB wird im Rahmen ihres Mandats alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten“, hatte Notenbankchef Mario Draghi zuletzt bei einer Rede in London gesagt. „Und glauben Sie mir: Es wird ausreichen“, legte der EZB-Präsident nach. Die Märkte jubelten und setzten unverzüglich zur Risikorally an.

EZB-Präsident Mario Draghi

Reuters/Laurent Dubrule

EZB-Chef Draghi machte Ländern und Märkten Hoffnung

Analysten betonen nun die Notwendigkeit, die Erwartungen zu erfüllen - andernfalls würde die Enttäuschung zu groß sein. Anleger und Experten werteten die Ankündigung Draghis als Hinweis auf die Bereitschaft der EZB, ihr Staatsanleihekaufprogramm für strudelnde Schuldenländer wie Italien und Spanien wiederaufleben zu lassen.

Hoffen auf Notenbank

Vor etwa einem Jahr war die Situation eine ähnliche: Am 4. August 2011 holte der damalige EZB-Chef Jean-Claude Trichet zum vermeintlichen Befreiungsschlag aus. „Es würde mich nicht wundern, wenn Sie noch vor dem Ende dieser Pressekonferenz etwas auf dem Markt sehen würden. Schließen Sie das nicht aus“, sagte Trichet damals nach dem Zinsentscheid vor Journalisten.

Die Botschaft damals war klar: Die Notenbank ist zurück als Käuferin auf dem Anleihemarkt, um die Renditen von Krisenländern zu drücken. Exakt ein Jahr später könnte es wieder so weit sein. Die jüngsten Aussagen von Trichet-Nachfolger Draghi lassen kaum einen anderen Schluss zu.

Situation heuer bedrohlicher

Doch diesmal könnten die Maßnahmen sogar darüber hinausgehen. „Vor einem Jahr war die Situation im Währungsraum nicht ansatzweise so bedrohlich wie heute“, sagt David Owen, Ökonom der Investmentbank Jefferies. Seit Tagen treiben die Spekulationen über ein großes Maßnahmenpaket die Märkte, bei dem EZB und der Euro-Rettungsfonds EFSF gemeinsam agieren.

Was plant die EZB genau?

Diskutiert wird der Aufkauf von Staatsanleihen angeschlagener Euro-Länder. Spanien und Italien müssen seit Monaten für frisches Geld an den Märkten vergleichsweise hohe Zinsen zahlen, was ihre Reformbemühungen belastet. Die EZB, aber auch der Euro-Krisenfonds EFSF könnten Bonds dieser Länder kaufen, um so die Zinsen zu drücken. Die EZB darf Staatsanleihen nur auf dem Sekundärmarkt kaufen, also z. B. von Banken. Der EFSF dürfte die Papiere auch direkt von den Staaten erwerben.

Während der Rettungsfonds bedrängte Staaten auf dem Erstmarkt als Bieter bei Anleiheauktionen unterstützen könnte, würde die Notenbank auf die Renditen auf dem Zweitmarkt zielen, wo bereits versteigerte Titel kursieren. Darüber hinaus stehen eine weitere Leitzinssenkung und neue Langfristkredite für die Geschäftsbanken zur Disposition.

Neuerlich Zinsreduktion?

Wird die EZB, nur vier Wochen nachdem sie die Zinsen auf das Rekordtief von 0,75 Prozent reduziert hat, mittels Anleihekäufen erneut an der Zinsschraube drehen? „Auf den ersten Blick spricht vieles dafür“, schreibt Christoph Balz, Analyst der deutschen Commerzbank, in einer Vorschau. Die Euro-Wirtschaft schrumpfe, und die Notenbank sehe keine Inflationsrisiken. „Wir halten es aber für wahrscheinlicher, dass die EZB noch einen Monat wartet“, meinte der Analyst. Doch in jedem Fall dürfte die Notenbank den Andeutungen von Draghi Taten folgen lassen - alles andere als ein Eingreifen auf den Anleihemärkten, wo die Risikoprämien für spanische und italienische Titel ein wesentlich kritischeres Niveau erreicht haben als vor Jahresfrist, wäre für die Märkte ein Schock.

„Gedankenaustausch bei einer Tasse Kaffee“

Angesichts der eskalierenden Euro-Krise werden sich EZB-Chef Draghi und der Chef der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, voraussichtlich kurz vor der anstehenden Ratssitzung der EZB abstimmen. Aus Zentralbankkreisen verlautete am Montag, es gehe bei dem Treffen vor der entscheidenden Zinssitzung um einen „Gedankenaustausch bei einer Tasse Kaffee“. Die Deutsche Bundesbank wollte sich nicht zu dem Bericht äußern. Das Treffen dürfte nach Ansicht von Beobachtern Gelegenheit geben, Differenzen über den weiteren Kurs der EZB in der Euro-Krise beizulegen.

„Falsche Anreize“ durch EZB-Intervention?

Die Deutsche Bundesbank sieht die Andeutung des EZB-Chefs, mit Anleihekäufen für Schuldenländer einzuspringen, mit Unbehagen. Ein Sprecher nannte diesen Mechanismus „problematisch“, weil „dadurch falsche Anreize gesetzt werden“ könnten. Mit den Ankäufen werden die Refinanzierungskosten der Staaten de facto gedrückt. Die EZB sieht ihr seit dem Frühjahr ruhendes Programm allerdings als Notmaßnahme, wenn Marktstörungen die Übertragung ihrer Geldpolitik behindern. Kritiker wie Bundesbankpräsident Weidmann sehen in den Käufen hingegen ein Verwischen der Trennlinie von Geld- und Fiskalpolitik. Anders gesagt: Die Notenbank, die sich vor allem um stabile Preise kümmern soll, wird so zum Staatsfinanzierer.

Jens Weidmann, Chef der Deutschen Bundesbank

dapd/Philipp Guelland

Bundesbank-Präsident Weidmann sieht die EZB-Intervention mit großer Skepsis

Deutschland bringt EZB „volles Vertrauen“ entgegen

Die deutsche Regierung sieht angesichts möglicher weiterer Anleihekäufe der EZB keinen Grund für Kritik an der Notenbank. „Natürlich hat die Bundesregierung volles Vertrauen in das unabhängige Handeln der EZB“, sagte Vizeregierungssprecher Georg Streiter am Montag in Berlin. Die EZB erfülle ihre Pflicht, und die Politik habe die notwendigen Instrumente geschaffen.

Trotz der jüngsten Aussagen, alles zum Schutz der Euro-Zone zu tun, lehnt die deutsche Regierung hingegen gemeinsame Staatsanleihen von Euro-Ländern weiter strikt ab. Jegliche Vergemeinschaftung von Schulden - zum Beispiel in Form von Euro-Bonds - sei nicht im Sinne der Bundesregierung, hieß es - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Juncker-Warnung vor Zerfall der Euro-Zone

Der Vorsitzende der Euro-Gruppe, der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker, warnte in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ (Montag-Ausgabe) eindringlich vor einem Zerfall der gemeinsamen Währungszone. "Wir sind an einem entscheidenden Punkt angekommen“, sagte Juncker. "Die Welt redet darüber, ob es die Euro-Zone in einigen Monaten noch gibt.“ Die Euro-Länder müssten jetzt „mit allen verfügbaren Mitteln“ ihre feste Entschlossenheit zeigen, die Finanzstabilität der Währungsgemeinschaft zu garantieren.

In diesem Zusammenhang übte Juncker scharfe Kritik am Verhalten einiger deutscher Politiker. Er frage sich, warum Deutschland die Euro-Zone „wie eine Filiale“ behandle. Juncker kündigte rasche Entscheidungen der Euro-Länder an. „Welche Maßnahmen wir ergreifen werden, entscheiden wir in den nächsten Tagen. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren“, so der luxemburgische Ministerpräsident. „Ich will nicht Erwartungen schüren. Aber ich muss sagen, wir sind an einem entscheidenden Punkt angekommen.“

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