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Regierung muss Kritik ertragen

Zwei Wochen vor dem Start der Olympischen Spiele hat die britische Regierung 3.500 Soldaten mehr für Einsätze zur Verfügung gestellt. Man sei besorgt, dass die Sicherheitsfirma G4S nicht in der Lage sei, „rechtzeitig die benötigte Zahl von Sicherheitsleuten für alle Stätten“ bereitzustellen, erklärte Verteidigungsminister Philip Hammond. Die Regierung geriet damit gehörig in die Kritik.

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Die oppositionelle Labour-Partei zwang Tory-Innenministerin Theresa May zu einer Stellungnahme im Parlament. Diese betonte, es bestehe kein erhöhtes Sicherheitsrisiko. Die Öffentlichkeit erwarte aber zu Recht, dass alle verfügbaren Ressourcen eingesetzt würden. Insgesamt werden während der Spiele nun 17.000 Soldaten im Einsatz sein. May gab zu, dass sie von G4S erst kurzfristig über die Probleme informiert worden sei - Video dazu in iptv.ORF.at.

Warum erst jetzt?

Hammond betonte, dadurch gebe es keine negativen Auswirkungen auf andere Operationen des Militärs. Labour übte heftige Kritik an der kurzfristigen Änderung und forderte Strafzahlungen für G4S. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, wieso überhaupt eine private Firma engagiert worden sei. Labour-Politikerin Yvette Cooper fragte sich, wieso man erst so spät auf die Probleme aufmerksam geworden sei.

Der Sicherheitseinsatz während Olympia ist der größte auf der Insel seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Neben der Polizei und den ohnehin eingeplanten 13.500 Soldaten hatte das Organisationskomitee LOCOG die private Sicherheitsfirma unter Vertrag genommen. Sie sollte mehr als 13.700 Sicherheitsleute rekrutieren und ausbilden. Das Sicherheitsbudget für die Sportstätten liege bei rund 553 Millionen Pfund (700 Millionen Euro).

Chaos bei Sicherheitsfirma?

Vor wenigen Tagen war im Parlament bekanntgeworden, dass G4S in den verbleibenden Tagen bis zum Olympiastartschuss am 27. Juli noch 9.000 Mitarbeiter rekrutieren muss. 4.000 Mitarbeiter würden bereits arbeiten, bei 9.000 habe es leider Verzögerungen gegeben, hieß es vonseiten der Firma: Der Auftrag sei „beispiellos und komplex“. Allerdings wurde der Vertrag bereits 2010 geschlossen, eigentlich hätte es also genug Vorbereitungszeit gegeben, sagen Kommentatoren.

Weltgrößte Sicherheitsfirma

G4S ist die weltweit größte Sicherheitsfirma. Sie operiert mittlerweile in 125 Ländern, darunter auch in Österreich. Durch Zukäufe von anderen Unternehmen hat der Konzern mittlerweile 657.000 Beschäftigte.

In britischen Medien wie dem „Guardian“ meldeten sich etliche Leser, die von chaotischen Zuständen bei dem Unternehmen berichteten. Sie hätten Zusagen für die Arbeit bei G4S bekommen und ein Training absolviert, würden aber zwei Wochen vor den Spielen immer noch keine Details über ihren Einsatz erfahren haben. Andere berichten, dass sie sich beworben, aber nie eine Antwort erhalten hätten, weil das Unternehmen mit der Masse an Bewerbern offenbar nicht zurechtgekommen sei.

Cameron will G4S zur Kasse bitten

Premierminister David Cameron will nun G4S zur Kasse bitten. „Firmen, die ihre Verträge nicht erfüllen, müssen zahlen“, sagte Cameron am Freitag in London nach einer Sitzung mit Innenministerin May und Sportminister Jeremy Hunt. Der liberal-demokratische Abgeordnete Ian Swales erklärte, das Unternehmen habe seine Rechnungen um 198 Millionen Pfund (rund 240 Mio. Euro) nach oben geschraubt.

G4S sollte dem Abgeordneten zufolge zunächst 86 Millionen Pfund dafür bekommen, dass es die olympische Sicherheit mit eigenen Kräften abdeckt - etwa das Röntgen von Taschen und Abtasten von Gästen an den Eingangsschleusen. Als klar war, dass die ursprünglich geplante Zahl an Sicherheitsleuten nicht ausreicht und diese auf mehr als 10.000 verdoppelt werden musste, verlangte G4S wegen der zusätzlichen Belastung 284 Millionen Pfund. „Wir hatten damals schon angenommen, dass da eine enorme Gewinnspanne für G4S drinsteckt“, sagte Swales. Aber man habe gedacht, dafür dann auch einen perfekten Service zu bekommen.

Soldaten sauer

Sauer sind offenbar auch die Militärs: Tausende Soldaten hatten sich eigentlich auf ihren Urlaub gefreut, stattdessen müssen sie nun arbeiten. Auch wo sie untergebracht werden, ist noch völlig ungeklärt. Es sei „erniedrigend“, wenn hochprofessionelle Soldaten, die eben noch ihre Dienste in Afghanistan abgeleistet haben, nun gewöhnliche Sicherheitskontrollen durchführen müssen, sagte ein hochrangiger Militär dem „Daily Telegraph“. „Und nur, weil die Olympiaveranstalter es nicht schaffen.“ Ministerin May versprach den Soldaten Unterstützung: Ihr Urlaubsanspruch bleibe bestehen, zudem versprach sie mehrere tausend Olympiatickets.

Londons Bürgermeister Boris Johnson erklärte, niemand stelle infrage, dass die Spiele sicher seien. „Es geht darum, dass im letzten Moment alle auf Nummer sicher gehen wollen“, sagte Johnson. Kurz vor dem Start der Spiele am 27. Juli gebe es deshalb noch einige Verschiebungen.

Geheimdienste überfordert

Der parlamentarische Ausschuss für Nachrichten- und Sicherheitsdienste kritisierte indes, die Spiele hätten die britischen Geheimdienst unter „beispiellosen Druck“ gebracht. Während der Spiele werde der MI5 wohl doppelt so vielen Hinweisen nachgehen müssen als sonst. Die Spiele in London, für die Großbritannien die größte Sicherheitsoperation seit dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen hat, sei kein leichtes Ziel für Terroristen, sagte auch Jonathan Evans, Generaldirektor des Inlandsgeheimdienstes MI5. „Aber es gibt nicht so etwas wie eine Sicherheitsgarantie.“

Eine konkrete terroristische Bedrohung für die Spiele in London besteht jedoch nicht. Die Sicherheitsstufe musste nicht erhöht werden und bleibt bei „substanziell“ - die dritthöchste Stufe auf der Skala. Die 3.800 Geheimdienstmitarbeiter des MI5 haben während der Spiele Urlaubssperre.

Auch Grenzbehörden stöhnen auf

In einem am Donnerstag vorgelegten Bericht kritisierte zudem der Chefinspektor für Grenzfragen und Einwanderung, John Vine, dass viele zusätzliche Mitarbeiter an der Einreisekontrolle auf dem Londoner Flughafen Heathrow für den Besucheransturm während Olympia nicht ausreichend ausgebildet seien. Es gebe bei den Behörden Vorbehalte, Mitarbeiter zu beschäftigen, die nur eine Grundausbildung absolviert und keine Erfahrung bei der Einwanderung hätten, hieß es in dem Papier.

Das Zusatzpersonal brauche sogar noch länger als bei der gewöhnlichen Abfertigung eintreffender Passagiere, obwohl den Reisenden weniger Fragen gestellt werden müssten, hieß in dem Bericht. Um die erwartete Einreise von rund 100.000 Passagieren pro Tag bewältigen zu können, heuerten die Grenzbehörden demnach auch frühere Mitarbeiter wieder an.

Kriegsschiff und Boden-Luft-Raketen

Der Sicherheitsaufwand in London ist enorm. Während der Spiele wird das Kriegsschiff HMS Ocean am Themse-Ufer in der Nähe von Greenwich festmachen. Sie dient als Hubschrauberlandeplatz, logistischer Stützpunkt und als Unterkunft für 800 Soldaten. Ein weiteres Kriegsschiff kreuzt vor Weymouth an der Südküste, wo die olympischen Segler ihre Kreise ziehen.

An mehreren Orten in der Nähe des Olympiaparks wurden Boden-Luft-Raketen stationiert. Die Bewohner eines betroffenen Hauses in London hatten argumentiert, ihr Wohnblock werde durch die Fernlenkwaffen am Dach zum möglichen Ziel für einen Terroranschlag. Unter anderem erklärten sie, sie seien nicht genug informiert worden. Ein Richter des Londoner High Courts wies ihre Klage allerdings ab. Das Verteidigungsministerium selber hatte die Raketen einen wichtigen Bestandteil des Sicherheitskonzepts für Olympia genannt. Was jedoch passiert, wenn in einer dicht besiedelten Großmetropole wie London tatsächlich Raketen abgefeuert werden, will sich niemand so richtig vorstellen müssen.

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