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Schnellfeuergewehre und Spitzhacke

In Timbuktu in Mali haben Islamisten mit der Zerstörung der zum Weltkulturerbe erklärten antiken Mausoleen begonnen. Mit Schnellfeuergewehren und Spitzhacken bewaffnete Kämpfer der Al-Kaida-nahen Ansar Dine zerstörten am Wochenende nach Angaben von Zeugen mehrere der jahrhundertealten Grabstätten.

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Die UNO-Kulturorganisation UNESCO reagierte ebenso wie Einwohner entsetzt und forderte eine Intervention der Völkergemeinschaft. Einwohner berichteten, die der besonders strengen salafistischen Richtung des Islam angehörenden Kämpfer hätten ihr Zerstörungswerk am Sonntag den zweiten Tag in Folge fortgesetzt.

Denkmal in Timbuktu

APA/EPA/Evan Schneider

Eines der Heiligengräber in Timbuktu

Timbuktu liegt etwa tausend Kilometer nördlich von Malis Hauptstadt Bamako. Die Stadt am Rande der Sahara wird auch „Perle der Wüste“ genannt und zählt seit 1988 zum Weltkulturerbe. Neben drei großen Moscheen gehören 16 Friedhöfe und Mausoleen zum Weltkulturerbe. Radikale Islamisten wie etwa die Salafisten lehnen jede Form der Verehrung von Heiligen ab, selbst wenn es sich um Weggefährten des Propheten Mohammed handelt.

„Jedes Mausoleum dieser Stadt zerstören“

Die Männer von Ansar Dine hätten damit gedroht, alle 16 Heiligengrabmäler zu zerstören. Es seien bis Sonntag etwa acht Mausoleen und mehrere einfache Gräber vernichtet worden. Ein Sprecher von Ansar Dine sagte der Nachrichtenagentur Reuters, der Bau von Grabdenkmälern sei unislamisch, deshalb würden die Bauwerke zerstört. Der Sprecher Sanda Ould Boumana sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Gruppe wolle „ohne Ausnahme jedes Mausoleum in der Stadt zerstören“. „Gott ist einzig. All das ist Sünde. Wir sind alle Muslime. Was ist die UNESCO?“, sagte Boumana.

„Die Seele“ getroffen

Laut Augenzeugen wurden am Samstag mindestens drei Mausoleen zerstört. Ansar-Dine-Mitglieder hätten binnen weniger Stunden die aus ockerfarbenem Lehm errichteten Grabstätten der Heiligen Sidi Mahmud, Sidi Moctar und Alpha Moya zerschlagen. „Sie haben alles kaputtgemacht. Es sind etwa zehn Leute, und sie sind mit Hämmern und Äxten unterwegs. Es ist schrecklich. Die Bevölkerung von Timbuktu ist sehr, sehr zornig“, sagte ein Augenzeuge aus Timbuktu dem französischen Rundfunksender RFI.

Auch „heilige Tür“ zerstört

Die Islamlisten zerstörten am Montag nach Angaben von Augenzeugen auch den Eingang der Sidi-Yahia-Moschee in Timbuktu. Die Angreifer hätten die „heilige Tür“ des zum Weltkulturerbe zählenden Gebäudes zerstört, die normalerweise nie geöffnet werde, sagte ein Bewohner der Stadt der Nachrichtenagentur AFP.

Die Sidi-Yahia-Moschee gehört zu den drei großen Moscheen der Stadt und wird zusammen mit 16 islamischen Heiligengräbern von der UNESCO als Weltkulturerbe gelistet. Die zerstörte Tür führte einem Augenzeugen zufolge zu einem Heiligengrab. Dem örtlichen Glauben zufolge bringt es Unglück, sie zu öffnen. Ein anderer Augenzeuge sagte, die Islamisten hätten zeigen wollen, dass das Öffnen der Tür keine Folgen hat.

Anklage wegen „Kriegsverbrechen“ möglich

Die Zerstörungen lösten international Empörung und Entsetzen aus. Die Regierung in Malis Hauptstadt Bamako verurteilte das Vorgehen als „Kriegsverbrechen“ und kündigte „nationale und internationale Schritte“ an, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die Taten hätten „nichts mit dem Islam zu tun“.

Die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), Fatou Bensouda, bezeichnete die mutwillige Zerstörung von Welterbestätten in Mali durch Islamisten als „Kriegsverbrechen“. „Meine Botschaft an diejenigen, die an diesen Verbrechen beteiligt sind, ist eindeutig: Hört sofort mit der Zerstörung dieser religiösen Gebäude auf!“, sagte Bensouda in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP am Sonntag in Dakar. „Das ist ein Kriegsverbrechen, für dessen Untersuchung meine Behörde die vollständige Befugnis hat.“

Die UNESCO und Frankreich verurteilten die willkürliche Zerstörung muslimischer Mausoleen. „Die systematische Zerstörung dieser Orte der Andacht und des Gebets, die seit Jahrhunderten zur Seele dieser prestigeträchtigen Stadt gehören, ist eine unerträgliche Handlung“, teilte das Außenministerium in Paris mit. Gewalt und Intoleranz müssten ein Ende haben.

Appell an internationale Gemeinschaft

UNESCO-Generaldirektorin Irina Bokova sagte, nichts könne eine solche Vernichtung rechtfertigen. Sie forderte die Kämpfer in Mali auf, diese „schrecklichen und unumkehrbaren Zerstörungen“ sofort einzustellen. Die internationale Gemeinschaft sollte sich zusammenschließen, um diese historischen Stätten zu schützen.

Die russische Direktorin des UESCO-Weltkulturerbe-Ausschusses, Eleonora Mitrofanova, sagte, besonders tragisch sei die Nachricht über die Zerstörung der Mausoleen für die Bewohner von Timbuktu, die diese Monumente jahrhundertelang gepflegt und unterhalten hätten. Die Mausoleen zeugen vom Goldenen Zeitalter der Wüstenstadt im 16. Jahrhundert und gehen zum Teil bis ins 5. Jahrhundert zurück.

In den Fußstapfen der Taliban

Die Ministerin für Kultur und Tourismus Malis, Fadima Toure Diallo, forderte die Vereinten Nationen zu konkreten Schritten gegen diese „Verbrechen gegen das Kulturerbe der Menschen“ auf. Diese „kriminellen Handlungen haben nichts mit dem Islam und der Toleranz zu tun, die die Angreifer für sich beanspruchen“, sagte sie auf der Sitzung des Welterbekomitees in St. Petersburg.

Angesichts des Machtzuwachses der Islamisten rief die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) den UNO-Sicherheitsrat auf, die Entsendung einer regionalen Eingreiftruppe zu unterstützen. Die Extremistengruppe Al-Kaida im Islamischen Maghreb warnte derweil, mit „Entschlossenheit“ gegen alle vorzugehen, die mit einer Interventionstruppe zusammenarbeiten.

Es ist nicht das erste Mal, dass unschätzbare historische Bauwerke vernichtet werden. Als radikal-islamische Taliban 2001 zwei gigantischen Buddha-Statuen im Bamian-Tal in Afghanistan in die Luft sprengten, löste das einen internationalen Aufschrei aus.

Machtvakuum ausgenützt

Wegen des bewaffneten Konflikts im Norden von Mali hatte das UNESCO-Welterbekomitee Timbuktu erst am Donnerstag auf die Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt. Zusammen mit den Kämpfern des Tuareg-Volkes hatte Ansar Dine seit April im Norden Malis zwei Drittel des Landes unter ihre Kontrolle gebracht, darunter die Städte Kidal, Gao und Timbuktu.

Möglich gemacht hatte das ein Putsch von Soldaten gegen den früheren Präsidenten Amadou Toumani Toure am 22. März, der für ein Machtvakuum gesorgt hatte. Der Umsturz ermöglichte es den Tuareg, mehreren islamistischen Bewegungen und verschiedenen kriminellen Gruppen, innerhalb weniger Tage den gesamten Norden unter ihre Kontrolle zu bringen. Seitdem ist das Land faktisch geteilt.

Erbitterte Kämpfe zwischen Ex-Verbündeten

Doch in den letzten Tagen kam es laut Berichten auch zu einem bewaffneten Konflikt zwischen den bisherigen Verbündeten Tuareg und Islamisten. Die Tuareg-Rebellen verließen am Donnerstag auch Timbuktu und ihre Umgebung. Wie Augenzeugen der Nachrichtenagentur AFP berichteten, gaben die Islamisten den ursprünglich mit ihr verbündeten Tuareg-Rebellen zwei Stunden Zeit, die historische Wüstenstadt im Nordwesten des Landes zu verlassen. Zuvor hatten die Islamisten nach heftigen Kämpfen die Tuareg-Rebellen bereits aus der Stadt Gao vertrieben, wo diese ihr Hauptquartier für den ganzen Norden Malis eingerichtet hatten.

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