Wenn das Handy erst einmal aus ist
Daniel Kehlmann hat einen Film geschrieben. Eigentlich war „Ruhm“ ein Episodenroman mit mehreren, nur lose bis kaum zusammenhängenden Handlungssträngen. Aber schon beim Lesen des Buchs lief eher ein Film im Kopf ab. Nun wurde er mit einem österreichisch-deutschen Starensemble in Szene gesetzt.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Der Abstand zu Kehlmanns rekordebrechendem Roman „Die Vermessung der Welt“ ist nun - endlich - groß genug, um einen unverkrampften Umgang mit dem Autor zu finden. Niemand muss ihn mehr als oberflächlichen Kommerzschriftsteller verdammen, und auch nicht als zweiten Goethe oder Schiller abfeiern. Kehlmann selbst glänzt in Interviews mit Understatement. Er sei faul, sagt er etwa, was freilich nicht stimmt.
Kehlmann hat seit der Veröffentlichung der „Vermessung“ ein Theaterstück geschrieben und, ohne sich in aktuelle Debatten zu verstricken und dadurch seinen eigenständigen Standpunkt aufs Spiel zu setzen, dennoch in zahlreichen Essays zu Wort gemeldet. Ruhm war 2009 erschienen, konnte zwar an die astronomischen Verkaufszahlen der „Vermessung“ (2005) nicht anschließen, hatte aber dennoch bald die Marke von 500.000 verkauften Exemplaren im deutschen Sprachraum überschritten.

Filmladen Filmverleih
„Ruhm“ läuft diese Woche in österreichischen Kinos an
Plausible Nummernrevue
Die Verfilmung seiner Romane ist der nächste logische Schritt. Die „Vermessung“ unter der Regie von Detlev Buck, mit Florian David Fitz, Albrecht Abraham Schuch, Karl Markovics und Georg Friedrich kommt im Herbst in die Kinos. „Ruhm“ läuft bereits diese Woche an. Für die Regie zeichnet Isabel Kleefeld verantwortlich. Was vielen anderen Filmen zum Verhängnis wird, ist in diesem Fall ein Segen: Durch die Verknappung werden die Verknüpfungen der verschiedenen Schicksale plausibler, als das beim Roman der Fall war.
Der Techniker Joachim Ebling (Justus von Dohnanyi) legt sich, ein Mobilfunkverkäufer kann es kaum glauben, sein allererstes Handy zu. Allerdings wird ihm dieselbe Nummer zugewiesen wie dem deutschen Hollywood-Star Ralf Tanner (gespielt von Heino Ferch). Anfangs ist er genervt, doch dann beginnt er die Telefonate mit Tanners Geliebten und Agenten zu genießen.
Nur keine Geschichte werden
Tanner wiederum kann seinem eigenen verstummten Handy etwas abgewinnen und beginnt sich als sein eigener Doppelgänger auszugeben. In seiner neuen, scheinbaren Bedeutungslosigkeit lernt er Nora (Ursula Strauss) kennen. Die Freiheit ermöglicht Gefühle, die er als Star nicht mehr gekannt hat.
Schnitt. Der Schriftsteller Leo Richter (Stefan Kurt) ist so in seiner Arbeit gefangen, dass er seine Freundin Elisabeth (die in Österreich geborene Julia Koschitz) nur noch als Romanfigur wahrnimmt, was so weit geht, dass sie ihre Sorgen nicht mehr mit ihm teilt, weil sie keine Lust hat, ihm Stoff für seine Geschichten zu liefern. Dabei gibt es über Elisabeth weit Spannenderes zu berichten als über den larmoyanten Autor.
Kehlmann auf der Leinwand
Denn zwei befreundete Kollegen von ihr bei Medecins Sans Frontieres wurden entführt. Während Richter sie anjammert, wird sie per Handy über den Stand der Dinge unterrichtet und muss auf Videosequenzen sehen, wie brutal ihre Freunde von den Entführern behandelt werden. Dennoch hält sie mühsam die Fassade aufrecht - Hauptsache, Richter macht sich keine Notizen.
Richter gibt Kehlmann nicht zuletzt die Möglichkeit, sich ätzend zum Literaturbetrieb zu äußern. Der Autor übernimmt sogar selbst eine Rolle im Film - als nervtötender, ignoranter Laudator, der Richter in der Schweiz einen Preis verleihen darf und dabei keine hohle Floskel auslässt.
Verloren ohne Handy
Richter überlässt seiner weit weniger erfolgreichen Schriftstellerkollegin Maria Rubinstein (Gabriela Maria Schmeide) eine Pressereise in ein zentralasiatisches autoritäres Regime, wo sie den Anschluss an ihre Gruppe verliert und ihr schließlich auch noch das Handy genommen wird. Ohne Kommunikationstechnologie ist sie verloren, zum Niemand degradiert. Herr Mollwitz (Axel Ranisch) hingegen hat Kommunikation im Überfluss: Er arbeitet für ein Telekommunikationsunternehmen und schreibt täglich Hunderte Postings in Society-Foren, bis er zu einem Kongress in die Schweiz abgeordnet wird - wo er auf Tanner trifft, und diesen gehörig nervt.
In der Schweiz hält sich auch Rosalie auf, auf der Höhe der Kunst von Senta Berger gespielt. Sie ist unheilbar krank und will ihr Leiden durch Sterbehilfe verkürzen. Richter entpuppt sich als Autor ihrer Geschichte, und sie beschwert sich bitterlich bei ihm, weil er ihr so ein grausames Schicksal zugedacht hat. Wird sie es schaffen, ihn davon zu überzeugen, ihr Ende doch noch umzuschreiben?
Kommunikation - gelingend, scheiternd
In der Schweiz laufen also die Fäden zusammen, und die Klammer um die Handlung ist Kommunikation – gelingende, gescheiterte, durch Technologie gestützte Kommunikation. „Ruhm“ ist Kehlmanns Appell, die Würfel neu zu werfen und die Perspektiven zu wechseln, ausgetretene Pfade zu verlassen, in die Rolle anderer zu schlüpfen, sein Schicksal nicht als gegeben hinzunehmen. Ist das Handy verloren, bricht eine Welt zusammen - und eine neue kann entstehen.
Der Film besticht durch kluge Gedanken und schauspielerische Höhepunkte. Aber er krankt auch an den Schwächen des Romans. Jede der Geschichten birgt großes Potenzial in sich, das aber nicht ausgeschöpft wird. Die Handlung ist arm an echten Höhepunkten und plätschert über weite Strecken dahin. Große Gefühle sind für das Kino unabdingbar, sie können durch bestechende Einfälle und eine kunstvolle Komposition nicht kompensiert werden. Robert Altman hat das 1992 mit seinem legendären Episodenfilm „Short Cuts“ hinbekommen.
Kluge TV-Unterhaltung
So besehen hat der Stoff seine Bestimmung im Kino noch nicht gefunden. Gut möglich, dass er im Fernsehen besser funktioniert. Das hat nicht nur damit zu tun, dass die Schauspielerriege ein handverlesener TV-Cast ist. Das Switchen zwischen den Handlungssträngen kommt dem Zappen durch die Kanäle gleich. Und vor dem Fernsehschirm kumuliert das Aneinanderreihen großer Momente zu kluger Unterhaltung. Man darf sich also auf die TV-Premiere von „Ruhm“ freuen.
Simon Hadler, ORF.at
Links: