Ein Diktator dankt ab
Gäbe es keine Diktatoren mehr, sie könnten einem fast leidtun, so sehr werden sie von Sacha Baron Cohen in seinem jüngsten Film durch den Kakao gezogen. So aber hält sich das Mitleid in Grenzen - zu viele Parallelen erinnern an noch existierende Autokratien.
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Admiral General Aladeen, gespielt wie immer bei Baron Cohen vom Regisseur selbst, schart Frauen in Uniform vom Typ „scharfe Bräute“ um sich wie einst Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi. Er will eine Atombombe und der Welt in New York vor der UNO die Leviten lesen - wie der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad. Der Personenkult um ihn erinnert an den verstorbenen nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Il und an den 2006 verschiedenen „Turkmenbaschi“, den turkmenischen Diktator Saparmyrat Nyyazow.
300 Worte aus der Sprache seines fiktiven nordafrikanischen Staates hat er durch seinen Namen ersetzt. „Positiv“ heißt etwa genauso „Aladeen“ wie „negativ“, was durchaus zu praktischen Problemen führen kann - etwa bei der Bekanntgabe des Ergebnisses eines Aids-Tests: „Sie sind HIV-Aladeen.“ Wenn jemand den General auch nur schief anschaut, wird er zur Exekution abgeführt. Aladeen hat nur ein Problem: Er ist einsam, niemand will mit ihm kuscheln.

2012 Paramount Pictures
Der Diktator, ein verwöhnter Bub
Wenn die Witzwalze rollt
Als der Diktator in New York eintrifft, um wegen eines drohenden Militärschlags vor der UNO-Vollversammlung zu sprechen, nimmt der Screwball-Comedy-Plot seinen Lauf, mit jeder Menge Slapstick und einem brachialhumoristischen Pointenfeuerwerk, das keinesfalls geschmackssicher ist und bei dem einem mitunter das Lachen im Hals steckenbleibt. Die andauernden Vergewaltigungswitze etwa sind nur bedingt lustig.
Das Prinzip „Borat“
Baron Cohen ist dafür bekannt, dass seine Komödien immer auf mehreren Ebenen funktionieren. Als Ali G. nahm er subkulturelle Codes genauso auf die Schaufel wie den Mainstream und die Politik. Als Borat machte er sich nur vordergründig über Kasachstan lustig, in erster Linie zielte er auf den Alltagsfaschismus von US-Bürgern ab. Ähnlich ging er als schwuler österreichischer Modejournalist Brüno vor.
Seinen stärksten politischen Moment hat „Der Diktator“ dort, wo Aladeen vor Amerikanern erklärt, was die Vorzüge einer Diktatur gegenüber der Demokratie sind: Man kann Politik so gestalten, dass nur ein Prozent der Bevölkerung reich wird - und falls die sich wirtschaftlich verzockt, sie mit einem „Bail-out“ retten. Man braucht sich nicht um die Gesundheitsversorgung der Armen zu kümmern. Man kann seine Bürger überwachen - und vieles mehr. Baron Cohen spielt damit unmissverständlich auf die USA an.
Ein Faschist im Ökoladen
Als Aladeen von seinem Gegenspieler durch ein Double ersetzt wird, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich ausgerechnet in einem anti-rassistischen, feministischen New Yorker Ökoladen zu verstecken. Könnte nicht die Managerin, eine radikale Politaktivistin, endlich die Frau zum Kuscheln werden? Dem stehen zunächst viele Missverständnisse, eine unterschiedliche Weltanschauung und ihre vielen Achselhaare im Weg.
Auch hier erlaubt sich Baron Cohen jede Menge Unkorrektes, bei dem immer die Gefahr besteht, dass am Ende die falschen Leute darüber lachen und später mit den Pointen hausieren gehen. Aladeen lässt keinen frauenfeindlichen Witz aus - und es wäre nicht Baron Cohen, wenn selbst diese Witze nicht echte Schenkelklopfer wären. In Österreich kann der Kabarettist Lukas Resetarits ein Lied von dem Problem singen, das dadurch entsteht. Er ließ seinen Urwiener auf Ausländer schimpfen - und amüsierte damit zu seinem Missfallen auch Ausländerfeinde: „Hau di eine in D-Wogen, auffe am Südbahnhof und ab in die Heimat!“
Aber auch hier will Cohen nicht in erster Linie den Machismo nordafrikanischer Diktatoren entlarven - sondern die Naivität und Selbstgerechtigkeit vieler politisch bewegter Kämpfer wider Sexismus, Umweltzerstörung, Faschismus und das Establishment in seiner Gesamtheit. Mit diktatorischem Eifer bringt Aladeen den Ökoladen auf Vordermann.
Brachiale Reizüberflutung
Diktatoren im Film sind freilich nichts Neues, von Charly Chaplins Hitler-Parodie „Der große Diktator“ über Woody Allens „Bananas“ bis hin zu Faschistenauftritten in der „Nackten Kanone“. Anders als bei „Bananas“ und der „Nackten Kanone“ steht Baron Cohen sein Zwang zur höchstmöglichen Aufreger- und Pointendichte allerdings bei der Entfaltung des Plots im Weg, der ab der Hälfte des Films recht beliebig wirkt.
Letztlich sorgt Baron Cohen für eine brachiale Reizüberflutung. Er bringt es zustande, dass Witze zu so unterschiedlichen Themen wie Diktaturen, US-Politik und „Gutmenschen“ trotzdem den Eindruck eines One-Line-Jokes hinterlassen: Die Grenzüberschreitung bleibt immer dieselbe, und sie stumpft ab. Die lauten Lacher im Publikum verstummen zusehends. „Der Diktator“ muss abdanken.
Simon Hadler, ORF.at
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