Wahlkampfthema Al-Kaida
Als eine kleine Einheit von US-Elitekämpfern Al-Kaida-Chef Osama bin Laden am 2. Mai 2011 im pakistanischen Abbottabad tötete, war US-Präsident Barack Obama im Lagezentrum des Weißen Hauses live dabei. Ein Fotograf hielt die bangen Momente im „Situation Room“ fest, auf einem Bild starrt der Präsident umringt von seinen engsten Beratern gebannt auf eine Videoleinwand.
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Obama ging mit der nächtlichen Kommandoaktion ein hohes Risiko ein. Ein Jahr später hofft er nun auf die politische Dividende - und brüstet sich im Wahlkampf mit der Tötung des meistgesuchten Terroristen. „Der Oberbefehlshaber erhält eine Chance, die richtige Entscheidung zu treffen“, beginnt ein Internetvideo, das Obamas Wahlkampfteam vor wenigen Tagen veröffentlichte. Darin preist der frühere Präsident Bill Clinton die Courage seines Nachfolgers, unterlegt ist die Lobrede mit grünen Nachtsichtaufnahmen des Einsatzes und Fotos eines grübelnden Obama. „Er musste entscheiden. Und dafür ist ein Präsident angestellt“, doziert Clinton.

APA/EPA/Justin Lane
Jubelnde US-Bürger nach der Tötung Bin Ladens
Dann stellen die Macher des Videos die Gretchenfrage: Wie hätte Mitt Romney in dieser Situation gehandelt, der höchstwahrscheinlich für die Republikaner bei der Wahl am 6. November gegen Obama antreten wird? Die Antwort folgt in Form einer Aussage, mit der Romney vor vier Jahren in US-Medien zitiert wurde: „Es lohnt sich nicht, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen und Milliarden von Dollar auszugeben, nur um eine Person zu fangen.“
Mehr als nur „eine Person“
Obamas Wahlkämpfer wissen nur zu gut, dass Bin Laden für die Menschen in den USA mehr war als nur „eine Person“. Im diffusen Krieg gegen den Terror nach den Anschlägen vom 11. September 2001 stellte der bärtige Al-Kaida-Anführer ein Feindbild aus Fleisch und Blut dar. Die Attacken des Terrornetzwerks mit entführten Flugzeugen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington versetzten der sich unverwundbar fühlenden Supermacht USA einen tiefen Schock. Der damalige republikanische Präsident George W. Bush gab die Devise aus, Bin Laden müsse gefasst werden - tot oder lebendig.
Bushs Nachfolger Obama erledigte den Job. „Der Gerechtigkeit ist Genüge getan“, sagte der Präsident, als er seinen Landsleuten die Nachricht vom Tod Bin Ladens überbrachte. Wenige Stunden zuvor hatten Hubschrauber etwa zwei Dutzend Soldaten der Eliteeinheit Navy Seals im Schutz der Dunkelheit zu Bin Ladens Anwesen in Abbottabad geflogen. Die Kämpfer stürmten das zweistöckige Haus und erschossen Bin Laden, der ganze Einsatz dauerte knapp 40 Minuten. Die Leiche des Al-Kaida-Chefs wurde auf einen im Arabischen Meer kreuzenden US-Flugzeugträger gebracht und auf See bestattet.
„Bin Laden tot, General Motors lebt“
Mit dem gewagten Einsatzbefehl konnte Obama die Vorwürfe der Republikaner entkräften, ihm fehle der nötige Mumm beim Schutz der nationalen Sicherheit. Vizepräsident Joe Biden fasste die Bilanz von Obamas erster Amtszeit kürzlich mit dem Slogan „Osama bin Laden ist tot, General Motors lebt“ zusammen. Am Jahrestag von Bin Ladens Tötung am kommenden Mittwoch strahlt der TV-Sender NBC ein Interview aus, in dem der US-Präsident im „Situation Room“ die Schlüsselmomente des Einsatzes vor den Augen des Wahlvolkes noch einmal Revue passieren lassen kann.
Ein Jahr nach Bin Ladens Tod starte Obama eine weitere „Kommandoaktion“, kommentierte das Onlinemagazin „Politico“: „Eine groß angelegte PR-Offensive, die darauf abzielt, mit dem Bin-Laden-Einsatz die Wiederwahlchancen des Präsidenten zu erhöhen.“ Die Republikaner reagierten empört auf Obamas kalkulierten Umgang mit der Tötung des Terrorchefs. „Wir sind betrübt darüber, dass der Präsident der Vereinigten Staaten dieses Ereignis politisiert“, erklärte Romneys Wahlkampfteam. „Das ziemt sich nicht für den Oberbefehlshaber.“
In den Umfragen bescheinigen die Wähler Obama hohe Kompetenz bei der nationalen Sicherheit - ein Thema, bei dem gewöhnlich die Republikaner punkten. „Der Tod Bin Ladens ist einer der Gründe dafür“, sagt Thomas Mann von der renommierten Denkfabrik Brookings. Die Wahl werde Obama deswegen aber nicht gewinnen. Im November werde es vor allem um die lahmende Wirtschaft gehen.
Gregor Waschinski, AFP
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