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Kein Abschiedsbrief gefunden

Der ehemalige libysche Ministerpräsident und Ölminister Schukri Ghanem ist am Wochenende in Wien durch Ertrinken gestorben. Das gab Polizeisprecher Roman Hahslinger am Montag in Wien bekannt. Die Obduktion sei beendet, es gebe laut dem vorläufigen Ergebnis der gerichtsmedizinischen Untersuchung keine Hinweise auf Fremdverschulden oder Selbstmord.

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Es sei kein Abschiedsbrief oder Ähnliches gefunden worden. Auch eine akute Bedrohung sei nicht vorgelegen, gab Hahslinger an. Passanten hatten auf der Donauinsel bei der Copa Cagrana etwa 20 Meter vom Ufer entfernt die Leiche Ghanems in der Neuen Donau entdeckt. Der Mann trug Straßenkleidung und lag mit dem Kopf unter Wasser. Wo und wann er in die Neue Donau gestürzt war, ist der Polizei derzeit nicht bekannt - gefunden wurde er um etwa 8.40 Uhr. Die Tochter Ghanems bemerkte erst gegen etwa 10.00 Uhr, dass ihr Vater nicht zu Hause war - bis dahin sei auch keine Vermisstenanzeige erstattet worden.

Kein Herzinfarkt, keine Krankheit

Der Polizei liegen keine Informationen über eine akute oder latente Krankheit Ghanems vor, wie der Polizeisprecher ergänzte. Auch Meldungen über einen Herzinfarkt hätten sich nicht bestätigt - wie es zu diesem Gerücht kam, ist nicht ganz klar. Hahslinger vermutete einen „Übermittlungsfehler“ durch einen mit der Familie Ghanem bekannten ausländischen Journalisten.

Ghanem arbeitete laut Angaben als Berater einer Firma in Wien. Er habe keine Ausweise bei sich gehabt, es habe aber Hinweise auf die Firmenadresse gegeben. Die Polizei nahm daraufhin Kontakt zu der Firma auf. Ein Mitarbeiter habe Ghanem schließlich eindeutig identifiziert.

Rose treibt im Wasser der Neuen Donau in Wien in der Nähe des Fundorts der Leiche des Libyschen Ex-Premierministers Shukri Ghanem

APA/Andreas Pessenlehner

An diesem Abschnitt der Neuen Donau wurde die Leiche gefunden

Am Samstag noch bei Tochter

Ghanem hatte einige hundert Meter vom Fundort entfernt einen festen Wohnsitz in Wien-Donaustadt unweit der UNO-City. Nach Angaben der Familie verbrachte Ghanem den Samstagabend gemeinsam mit seiner Tochter, so der Polizeisprecher. Die beiden hätten ferngesehen. Das sei ganz normal abgelaufen, Ghanem habe seiner Tochter lediglich mitgeteilt, dass es ihm nicht gutgehe.

Bis zum abschließenden Gutachten sowie dem toxikologischen Befund wird es „noch geraume Zeit dauern“, gab die Polizei bekannt - so wird mit dem Ergebnis erst für kommende Woche gerechnet. Dieses soll dann Aufschluss über die Todesursache ergeben. Die Ermittlungen leitet das Landeskriminalamt Wien - die Staatsanwaltschaft Wien wird erst dann entscheiden, was nach dem Ende der gerichtsmedizinischen Untersuchungen mit dem Leichnam geschieht.

Verwirrung um Aussage der Familie

Der Tod des langjährigen Gefolgsmannes von Ex-Machthaber Muammar al-Gaddafi hatte am Sonntag Rätsel aufgegeben. Die Familie hatte ursprünglich gegenüber Journalisten erklärt, der 69-Jährige sei Sonntagfrüh leblos in seiner Wohnung entdeckt worden. Die Polizei berichtete am Sonntagabend jedoch, dass die Leiche Ghanems in der Neuen Donau gefunden wurde. In weiterer Folge sei der Tote zweifelsfrei als Schukri Ghanem identifiziert worden.

Hahslinger sagte am Montag, sowohl im privaten als auch im geschäftlichen Umfeld des Verstorbenen würden Ermittlungen durchgeführt, ob es Umstände gebe, die an einer natürlichen Todesursache zweifeln ließen. In eine konkrete Richtung werde aber nicht ermittelt, da es im Moment keinen Verdacht auf Fremdverschulden gebe.

Abkehr von Gaddafi-Regime

Ghanem hatte jahrelang zum engsten Kreis um Gaddafi gezählt, ehe er dem Regime Mitte Mai des vergangenen Jahres den Rücken kehrte. Ghanem war von März 2003 bis Mai 2006 Ministerpräsident und von März 2006 bis Mitte Mai 2011 Chef der staatlichen libyschen Ölgesellschaft, also Ölminister, gewesen. Bei einer Pressekonferenz in Rom klagte er im Juni des Vorjahres jedoch über die „unerträgliche Gewalt“ des damaligen Regimes in Tripolis und über den Bürgerkrieg in seinem Land.

Ghanem war Österreich durchaus eng verbunden, so hatte er mehrere Jahre die Position des Vizegeneralsekretärs der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) inne, die ihren Sitz in Wien hat. Vor seiner Abkehr vom Gaddafi-Regime war er im März des Vorjahres verdächtigt worden, in Österreich Milliardensummen für den damaligen Machthaber in Wien geparkt zu haben. Es wurde sogar überlegt, seine Konten zu sperren. Auch in der Schweiz soll er über beträchtliches Vermögen verfügt haben.

„Schönes Leben“ in Wien

In Libyen war Ghanem nach seiner Abkehr von Gaddafi weder bei dessen Loyalen noch bei Vertretern des Übergangsrats beliebt. Gerade die neue Regierung forderte zunehmend Auskunft über angeblich verschwundenes Geld. „Es gab in Libyen viele, die dachten, er hätte viel Geld gestohlen und würde sich jetzt im sicheren Wien ein schönes Leben machen“, sagte David Bachmann, der österreichische Handelsdelegierte in Tripolis.

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