Qualität scheitert an Qualifikation
Zumindest zwei weitere EU-Sprachen soll jeder Europäer lernen, so die Forderung der EU-Bildungsminister - je früher, desto besser. Schon im Kindergarten sollte dabei angesetzt werden, spätestens aber in der Volksschule. Als „nutzlosen Frühstart“ bezeichnete hingegen ein „Zeit“-Artikel den frühen Englischunterricht für Volksschüler.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Kritik käme vor allem von Lehrenden weiterführender Schulen, dass sie trotzdem im Gymnasium noch einmal von Anfang an beginnen müssten. Der Unterricht in der Volksschule sei zu verspielt, unterfordere und demotiviere Schüler. Es sei ein Irrtum, dass der frühe Start beim Lernen einer Fremdsprache schon eine Erfolgsgarantie sei.
Ein ORF.at-Rundruf unter österreichischen Gymnasiallehrern und Bildungsexperten zeigt für den heimischen frühen Fremdsprachenunterricht ein anderes Bild. „Die beste Zeit, eine erste Fremdsprache zu erwerben, liegt vor dem Ende des Volksschulalters“, betont die Expertin für frühen Fremdsprachenerwerb an der Pädagogischen Hochschule Burgenland, Barbara Buchholz im ORF.at-Interview.
„Besser als nichts“
Selbst AHS-Lehrer glauben zumindest Fortschritte bei den Englischkenntnissen der Erstklässler im Vergleich zu vor 20 Jahren zu erkennen: „Besser als nichts“, lautet die Devise. „Es gibt aber große Niveauunterschiede bei den Volksschulabsolventen“, erzählt eine langjährige AHS-Englischlehrerin.
Einen Motivationsschub ortet hingegen eine jüngere Kollegin bei ihren Unterstufenschülern, wenn sie etwas lernen, was sie bereits aus der Volksschule kennen. Die Vorkenntnisse einiger Schüler ändern aber nichts daran, dass der Englischunterricht doch meist wieder bei null angefangen werden muss, um „eine gemeinsame Basis zu schaffen“, wie es ein AHS-Englischlehrer formuliert.
„Unzureichender Englischunterricht“
Die Basis sollte eigentlich spätestens seit 2003 bei allen gleich sein. Seitdem ist für alle Volksschüler vier Jahre Englischunterricht von zumindest einer Stunde pro Woche vorgesehen. War bis zum Ende der 90er Jahre der Englischunterricht in der Volksschule eine unverbindliche Übung für die 3. und 4. Klasse, wurde der frühere Schulversuch - Englisch von der 1. bis zur 4. Klasse mindestens einmal pro Woche - zum Normalfall. Darüber hinaus läuft nun der Schulversuch Fremdsprachenintensivierung. Dabei haben Volksschüler täglich eine Stunde Englisch.
Diese zusätzliche Ausweitung halten Experten für sinnvoll - allerdings nur mit sprachlich entsprechend gut ausgebildeten Pädagogen. „Sonst ist es Vergeudung“, warnt Claudia Mewald von der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich gegenüber ORF.at. An der Qualifikation der Volksschullehrer und dem daraus folgenden fehlenden Engagement und mangelhaften Unterricht scheitere vielfach die erfolgreiche Zielerreichung im frühen Fremdsprachenlernen, ist Buchholz überzeugt: „Eine Studie auf Basis von Unterrichtsbeobachtung zeigt, dass in je rund 40 Prozent der Klassen Englisch nicht beobachtbar ist bzw. unzureichend unterrichtet wird.“
Der Lehrplan sieht „inhaltsintegratives Fremdsprachenlernen“ vor, so Buchholz. Da sei es schlicht nicht ausreichend, wenn „noch kurz vor dem Läuten schnell ein englisches Lied gesungen wird“.
Kontrolle fehlt
Im Normalfall ist es nach Ansicht der beiden PH-Pädagoginnen an den Volksschulen auch nicht üblich, den vorgeschriebenen Lehrplan einzuhalten. Buchholz: „Die vorgesehene Stunde pro Woche wird oft nicht wahrgenommen bzw. fällt aus. Da bis zur 3. Klasse Englisch in den Gesamtunterricht fällt, ist das für Eltern auch nicht erkennbar, ob Englischunterricht stattgefunden hat.“
Die Expertin kritisiert die Beliebigkeit bei der Zielerreichung und mangelnde Kontrolle - weder mittels Noten noch durch die Schulaufsicht: „Die Wichtigkeit wird nicht erkannt.“
Lernziele großteils nicht erreicht
Dennoch sollten die Schüler am Ende der Volksschule zumindest beim Hören und Sprechen das A1-Niveau nach dem Europäischen Sprachenreferenzrahmen erreichen können, also alltägliche Ausdrücke und einfache Sätze verstehen und auf einfache Art kommunizieren können. „Das können sie zu 50 Prozent nicht“, stellt Buchholz in ihrer Studie „Facts & Figures im Grundschulenglisch“ fest: „Die Schüler lernen über vier Jahre meist nur isolierte Worte oder englische Lieder, die sie bald vergessen. Auch das Schriftbild wird meist nicht eingeführt.“
„Mit der zunehmenden Zahl an ausgebildeten Lehrern für die Primarstufe an den Pädagogischen Hochschulen wird es sicher eine Veränderung geben“, gibt sich Mewald zuversichtlich. Die fehlende Qualifikation sei vor allem Ende der 90er Jahre mit der flächendeckenden Erweiterung des Fremdsprachenunterrichts ein Problem gewesen. Doch gebe es nach wie vor Aufholbedarf bei der Weiterbildung von Volksschullehrern, die schon 20 Jahre und mehr in der Klasse stünden. „Genauso lange haben sie auch kein Englisch gebraucht“, erklärt Mewald.
Holpriges Englisch oder Universitätsniveau?
Einer Studie von Buchholz zufolge absolvierten nur 45 Prozent der Volksschullehrer eine fachdidaktische Englischausbildung an den PÄDAKs/PHs. Der Großteil wurde nachträglich in zusätzlichen Fortbildungen ohne Prüfungen geschult. 19 Prozent der Lehrer haben weder Zusatzqualifikationen noch Ausbildung. Ständige Weiterbildung findet nicht statt. An Englischfortbildungen herrsche weitgehend Desinteresse, so Buchholz in der Studie.
Große Diskrepanzen gibt es demnach auch zwischen der Fremd- und Selbsteinschätzung der Englischkenntnisse. Während auf Basis von Unterrichtsbeobachtungen die Fremdsprachenkompetenz der Klassenlehrer zu 69 Prozent als nicht ausreichend bewertet wurde - holpriges Englisch, Defizite bei der Aussprache, limitierter Wortschatz, grammatikalische Fehler - sehen sich 36 Prozent der Volksschullehrer selbst auf Maturaniveau und 18 Prozent sogar auf Universitäts- bzw. Native-Speaker-Level.
Professionalisierung gefordert
Umso mehr wünscht sich Buchholz daher eine verstärkte Selektion bereits vor Beginn des Studiums an einer PH unter Berücksichtigung der Fremdsprachenkompetenz. Sie fordert eine Professionalisierung des Grundschulenglisch entweder durch „bestens ausgebildete VolkschullehrerInnen oder durch besonders ausgebildete Spezialisten sowie Native Speakers, die an den Schulen den Englischunterricht übernehmen bzw. beim integrativen Unterricht als Sprachassistenz fungieren“.
Bekräftigt wurde dieser Vorstoß auch vonseiten der Politik. Englischdidaktik für die sprachliche Frühförderung und die Elementarstufe müsse unbedingt in der Lehrerausbildung neu mitbedacht werden, betonte die Wissenschaftssprecherin der ÖVP Wien, Katharina Cortolezis-Schlager: „Kinder können mehrere Sprachen zugleich lernen.“
Simone Leonhartsberger, ORF.at
Links: