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Hochkultur als Steinbruch der Wildnis

Den ehrwürdigen Zuschauerraum des Burgtheaters als Schiffsbauch und wilde Insel durften die Besucher der „Robinson Crusoe“-Premiere Freitagabend am Wiener Burgtheater erleben.

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Ein entfesselter Joachim Meyerhoff spielt in der Inszenierung von Jan Bosse und im Bühnensetting von Stephane Laime den Kaufmannssohn Robinson Crusoe, der mit Abenteuerlust zur See aufbricht und zugleich die Standesbiografie des Vaters, vor der er eigentlich fliehen wollte, in der Eroberung der neuen Welt noch überhöht. Beim Versuch, per Schiff Sklaven aus Guinea für seine Plantagen in Brasilien zu holen, gerät Robinson bekanntlich in Seenot und strandet auf einer einsamen Insel.

Joachim Meyerhoff sitzt als "Robinson Crusoe" nackt im leeren Zuschauerraum des Burgtheaters

Reuters/Herwig Prammer

Meyerhoff als nackter Robinson im leeren Zuschauerraum der Burg

Hier setzt der Witz der Burginszenierung an - denn war man im Publikum (das vom Parkett aus in den eigentlichen Bühnenraum gesetzt wurde) zunächst mehr Teil einer dramatisierten Erzählung durch den Helden des Geschehens selbst, wurde das Stranden auf der Insel zum großen Slapstick: Das Mobiliar des Burg-Zuschauerraums, etwa ein Logenvorhang, wird für Meyerhoff, der lange nackt durch die Sitzreihen und das denkmalgeschützte Inventar turnt, zur Grundausstattung für die Rezivilisierung.

Ein Kaufmannssohn schafft Ordnung

Der Ort der Hochkultur ist zunächst eine Zivilisationsbaustelle - und dem Original getreu versucht der Kaufmannssohn für sich ein Stück Ordnung zu schaffen: So wird aus einer Tür des Zuseherraums ein Tisch und ein Bett, ein Kleiderständer wird wiederum an die Wand einer Loge genagelt.

Wie der Kaufmannssohn in der Wildnis das Gesetz der Ordnung und letztlich auch das Gewaltmonopol frei nach Hobbes festlegt, wird besonders in dem Moment deutlich, als Freitag die Insel betritt. In diesem Fall spielt Ignaz Kirchner den von außen kommenden „Wilden“, der zivilisiert und nicht zuletzt mit Mitteln wie der Bibel unterjocht wird.

Joachim Meyerhoff hängt als "Robinson Crusoe" im Burgtheater am Kreuz

Reuters/Herwig Prammer

Der gekreuzigte Robinson als Glaubensvermittler

Erstes Medium der Unterjochung ist freilich der Erwerb der richtigen Sprache und Ausdrucksweise. Hier lässt Bosse dem Slapstick eines Zweipersonenstücks mit dem Hauch von Beckett freien Lauf; allerdings verläuft sich hier der Witz auch in Durchschaubarkeiten und kleinen Ermüdungen. Dagegen setzt die Regie wiederum wirksame Bilder, etwa wenn Robinson Freitag aus der Staatsloge von oben herab als Gekreuzigter erscheint, um dem Wilden den „richtigen“ Glauben zu vermitteln.

Der Sohn ist immer in den Fußstapfen des Vaters

Manches an dieser Stückfassung eines Romanklassikers, die sehr auf die Imagination setzt und mit der Differenz von Hochkulturwildnis spielt, erinnert an eine Unplugged-Version des Theaters von Robert Lepage, bei dem sich letztlich auch der Schauspieler sein Bühneninventar aus fremden Gegenständen selber zurechtlegt. Dass Robinson Crusoe jedenfalls nie das Kinderbuch war, als das es lange rezipiert wurde, sondern nicht zuletzt ein hoher Traktat über Staatskunst und die Position eines neuen Bürgertums, wird in kurzen Momenten des Stücks deutlich. Kirchner, der Wilde, war ganz zu Beginn auch in der Rolle des enttäuschten Vater Robinsons zu erleben. Sein Sohn hat die Biografie, der er entfliehen wollte, jedenfalls deutlicher verwirklicht, als es sich der Vater hätte wünschen dürfen.

Das Publikum belohnte an diesem Abend nicht zuletzt die schauspielerischen Leistungen - allen voran jene von Meyerhoff, der den Abend mit Spielfreude und auch einiger Athletik trägt.

Gerald Heidegger, ORF.at

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