Frauen und Migranten als Profiteure
Anonymisierte Bewerbungen ohne Namen, Geschlecht, Foto und Nationalität begünstigen die Chancen von Migranten und Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Das ist das Fazit eines Modellprojekts in Deutschland. Das positive Ergebnis lässt auch in Österreich Rufe nach einem derartigen Projekt laut werden, nicht alle sind jedoch davon begeistert.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Acht deutsche Institutionen - Unternehmen, Behörden und Kommunen - hatten sich von November 2010 bis Ende 2011 an dem Versuch beteiligt. Dabei geht es um Bewerbungen, in denen ohne Nennung von persönlichen Daten allein Auskunft über die Qualifikation des Stellensuchenden erteilt wird. Vor allem im englischsprachigen Raum sind anonyme Bewerbungen bereits seit Jahrzehnten üblich.
Foto als großes Hindernis
So wurden in dem Pilotprojekt Bewerber etwa mit türkischem Namen und Frauen mit Kindern bei anonymisierten Bewerbungsverfahren häufiger zu Vorstellungsgesprächen eingeladen als bei konventionellen Ausschreibungen, berichtete die Leiterin der deutschen Antidiskriminierungsstelle, Christine Lüders. Besonders das Foto in Bewerbungsunterlagen lenke häufig von der eigentlichen Qualifikation des Bewerbers ab, berichtete Lüders. „Ist die erste Hürde genommen und der Bewerber zum Vorstellungsgespräch eingeladen, kann er besser seine Qualifikationen deutlich machen.“
Grüne: Ministerien sollen ersten Schritt machen
Das Projekt stößt auch in Österreich auf großes Interesse. Die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch forderte am Mittwoch in einer Aussendung die schrittweise flächendeckende Einführung anonymisierter Bewerbungsverfahren sowohl im öffentlichen Bereich als auch bei privaten Unternehmen. Und Alev Korun, Menschenrechtssprecherin der Grünen, forderte alle Ministerien auf, mit gutem Beispiel voranzugehen und anonymisierte Bewerbungsverfahren für den öffentlichen Dienst einzuführen. Längerfristig sollte sich das auch die Privatwirtschaft zum Ziel setzen.
Als „begrüßenswert“ bezeichnete auch der Leiter des Berufsförderungsinstituts (bfi) derartige Projekte. Auch er könne sich durchaus vorstellen, dass in öffentlichen Bereichen diese Form der Bewerbung gesetzlich vorgeschrieben werden könnte, so Michael Sturm gegenüber ORF.at.
AMS-Chef: Initiative muss vom Arbeitgeber ausgehen
Bei all den Vorteilen hat die Initiative aber auch Schattenseiten, wie AMS-Chef Johannes Kopf gegenüber ORF.at erklärt. Das Projekt sei zwar „eine interessante und spannende Idee“, das funktioniere aber nur, wenn die Initiative vom jeweiligen Arbeitgeber selbst ausgeht.
Es gibt in Österreich seiner Ansicht nach einige Unternehmen, die eventuell Interesse hätten, anonyme Bewerbungsverfahren zu testen, das seien in der Regel aber Organisationen, die sich ohnehin mit dem Thema Diskriminierung von unterschiedlichen Menschen befassen und darauf sensibilisiert sind. Diese Arbeitgeber fragen laut Kopf zum Beispiel bewusst nach Menschen mit Migrationshintergrund nach, weil sie von deren Mehrsprachigkeit profitieren. „Diese Unternehmen sind ja oft schon sehr weit, was diese Themen betrifft“, so Kopf.
„Zwingen“ lässt sich dazu keiner
Aber selbst diese seien vor „unbewusster“ Diskriminierung nicht gefeit. Die anonymen Bewerbungen würden in diesem Fall Interessenten helfen, „wenigstens die erste Hürde“ zu meistern und zum Gespräch eingeladen zu werden, auch wenn sie zum Beispiel einen offensichtlich ausländischen Namen haben.
Einen Arbeitgeber zu einer solchen Maßnahme zu zwingen, habe keinen Sinn, ist Kopf überzeugt. Denn im Bewerbungsgespräch könne der Arbeitgeber dann ja erst wieder jene Personen aussortieren, die er nicht einstellen möchte. „Dann diskriminiere ich halt im zweiten Schritt.“ Auch würde er es „keinem“ empfehlen, sich ohne konkrete Aufforderung eines Unternehmens anonym zu bewerben. „Der würde wohl aussortiert werden.“
Bfi-Chef: Firmen wollen sich „Bild“ machen können
Auch Bfi-Chef Sturm verweist im Interview mit ORF.at darauf, dass es zwar auf gesamteuropäischer Ebene bereits Bemühungen gibt, Lebensläufe zu standardisieren. Richtig durchgesetzt habe sich das jedoch noch nicht. Seinem Eindruck nach tendieren Personalentscheider in Unternehmen eher zu Bewerbungen, „die persönliche Angaben enthalten, um sich ein umfassendes ‚Bild‘ machen zu können und eventuell auch besser abschätzen zu können, wie diese Person in ein Team passt“.
Bewusstseinswandel aus wirtschaftlichen Motiven
Nichtsdestotrotz ist Kopf der Überzeugung, dass es für Unternehmen notwendig ist, umzudenken: Egal ob es darum geht, ältere Dienstnehmer in den Arbeitsmarkt zu integrieren oder Mädchen für klassische „Männer“-Lehrberufe einzustellen, - der Bewusstseinswandel sei für Unternehmen nicht aus sozialen, sondern wirtschaftlichen Gründen schlicht notwendig. Das zeige allein schon der Fachkräftemangel in vielen Branchen.
Links: