Kein Schmutz
Asche zu Asche, Staub zu Staub - die Assoziationen in der Wissenschafts- und Kulturgeschichte sind zahlreich: von der Bibel bis zu Queens „Another One Bites the Dust“. Wenn es um Staub geht, geht es um die grundlegenden Dinge des Universums und des Lebens. In Moskau ist ihm eine Ausstellung gewidmet.
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Die Schau ist eine Kooperation zwischen dem Laboratoria Art & Science Space und dem Österreichischen Kulturforum, kuratiert von dessen Leiter Simon Mraz und von Darja Parchomenko. Mraz ist seit 2009 Österreichischer Kulturattache in Moskau und hat seither - so viel Kalauer muss erlaubt sein - ordentlich Staub aufgewirbelt mit seiner Schwerpunktsetzung auf zeitgenössische Kunst.
Gemeinsam mit Peter Weibel kuratierte er etwa 2011 den einzigen heimischen Beitrag bei der Moskau-Biennale, die international viel beachtete Ausstellung „Gute Aussichten“ in seiner eigenen Wohnung gegenüber dem Kreml mit Positionen russischer und österreichischer Künstler.

LABORATORIA Art&Science Space; Simon Mraz
„Schall und Rauch“: Symbolischer Staub statt Worte aus dem Hörer
Am Ende bleibt der Staub
Nun betätigte sich Mraz gemeinsam mit Parchomenko als Staubfänger (pardon) und hat damit einen ästhetisch inspirierenden und wissenschaftlich spannenden Angelpunkt gefunden, von dem aus inhaltlich buchstäblich alles und nichts erzählt werden kann. Staub überdauert die Menschheit, am Ende des Tages zerfällt alles zu Staub - beim Aufbau geordneter Strukturen nimmt die Entropie ab, bei ihrem Zerfall nimmt sie zu, Energie wird abgegeben bzw. umgewandelt.
Für „Dust“ wurde Energie angehäuft, und es wurden bestehende Werke von heimischen und russischen Künstlern geliehen oder in Auftrag gegeben. Der Anspruch war, sich dem Thema möglichst umfassend zu widmen: elektronischem Staub, Pollenstaub, Staub als Schmutz, als Kunstwerk und nicht zuletzt kosmischem Staub. Nicht zufällig wurde die Ausstellung am Donnerstagabend eröffnet - in Russland der offizielle Tag der Kosmonauten.

LABORATORIA Art&Science Space; Simon Mraz
„An was sich Staub erinnert“: Staub spricht aus den Kopfhörern
Weißes Rauschen als digitaler Infostaub
Staub existiert auch im digitalen Zeitalter, wie die Gruppe Upward! Community zeigt. Hinter jedem Dokument steckt eine Reihe von Nullen und Einsen und hinter jedem Bild einzelne Pixel. Wenn die Information überhand nimmt und man das Wesentliche nicht mehr herausfiltern kann, bleibt Rauschen, also elektronischer Staub. Veranschaulicht wird das im Netzkunstwerk „Dust of the net“: Jeweils ein Pixel in einem Meer von bunten Bildpunkten repräsentiert ein beliebiges Video aus dem Internet, das durch (zielloses) Anklicken erreicht werden kann.
Die Ansammlung in ihrer Gesamtheit ist für uns sinnlos - eine Erkenntnis, die früheren Internetutopien zuwiderläuft. Das Netz an sich ist eine neutrale Plattform, mit der dann erst Politik gemacht wird, die dann erst mit Informationen aufgeladen wird, die dann erst zur Kommunikation genutzt wird. Ohne Ordnung, ohne Hinweise flottieren die Informationen frei im Raum. Erst Google, Blogs, Social Networks und Onlinemedien - die Staubpartikelfilter der digitalen Welt, heben die einzelnen Partikel, hier Pixel, hervor. Aber welchem Schleusenwärter soll man trauen?
Rauchzeichen aus dem Telefon
Um Kommunikation geht es auch in der interaktiven Installation „Schall und Rauch“ von Laurent Mignonneau und Christa Sommerer. Zwei Ausstellungsbesucher sprechen über alte Wählscheibentelefone miteinander. Ihre Sprache wird jedoch in Lärm transformiert - und in Rauch umgewandelt, der aus dem Hörer kommt. Die Gesprächspartner können die Worte ihres Gegenübers buchstäblich einatmen. Staub ist schließlich immer Ergebnis eines Transformationsprozesses.
Ausstellungshinweis
Dust: Laboratoria Art & Science Space, Moskau, 13.04. bis 15.07.2012.
Um Transformation geht es folgerichtig auch in anderen Werken. Bei Alexej Blinows Arbeit „An was sich Staub erinnert“ etwa können Besucher den Ausstellungsraum mit einem Wischmopp aufwischen. Dreck auf dem Boden wird dabei zu Tönen im Kopfhörer - zum Sound des unsichtbaren Universums von Partikeln. Bartholomäus Traubecks Plattenspieler „Jahre“ wiederum tastet die Altersringe von Baumscheiben ab und schlägt entsprechende Klaviertöne an.
Die Melancholie im Augenblick „danach“
Ein melancholischer Grundtenor ist dem Thema Staub inne, wird von den Künstlern aber gerne humorvoll und ironisch gebrochen - etwa bei Erwin Wurm. Er zeigt - nichts, beziehungsweise nichts außer dem staubigen Abdruck von etwas, das augenscheinlich nicht mehr da ist. Er fängt damit den Augenblick „danach“ ein. Wieder einmal war es nur der Staub, der geblieben ist.
Parchomenko und Mraz schreiben in ihrem Begleittext zur Ausstellung, dass ihnen Staub als Ausstellungsgegenstand janusköpfig entgegengetreten sei: „Zum einen konstruktiv als grundlegender Rohstoff, aus dem das Universum entstand: Staub verdichtet sich zu Sternen und Planeten, Pollenstaub befruchtet Blüten und schafft neue Pflanzen. Die zweite Bedeutung wiederum erscheint als Metapher für Zerstörung, als Symbol für das Vergangene, als Fluchtpunkt jeden Verfalls.“
Wissenschaftlich abgesichert
Begleitend zur Ausstellung finden verschiedene Veranstaltungen statt, darunter eine Vorlesung von Dietmar Offenhuber, einem Künstler und Forscher am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) zum Thema „Räume fühlen / Gefühle einräumen“, er nimmt dabei explizit auf das Thema der Ausstellung und die Exponate Bezug. Also lässt sich in Moskau wissenschaftlich abgesichert eine letzte Assoziation anbringen: Jetzt staubt’s - aber ordentlich.
Simon Hadler, ORF.at
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