„Er ist ein wahrer Volkstribun“
Er trägt eine rote Krawatte, hat eine rote Nelke im Knopfloch und singt bei seinen Kundgebungen die „Internationale“: Jean-Luc Melenchon unterscheidet sich nicht nur durch Symbole von den anderen Politikern im französischen Präsidentschaftswahlkampf. Der Kandidat der Linksfront hat inzwischen auch so viel Zulauf, dass die Sozialisten mit zunehmender Sorge auf den Konkurrenten schauen.
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Während die Umfragewerte für den sozialistischen Kandidaten Francois Hollande von einer klaren Spitzenpositionen inzwischen auf einen knappen Vorsprung auf Amtsinhaber Nicolas Sarkozy gesunken sind, klettern sie für Melenchon immer weiter nach oben. Mit 15 Prozent liegt der 60-Jährige in Umfragen nun bereits vor seiner Erzfeindin Marine Le Pen von der rechtsextremen Front National. Melenchon sei „das Ereignis des Wahlkampfes“, schreibt die linksgerichtete Zeitung „Liberation“.
Radikale Forderungen
Den Popularitätsschub brachte zuletzt wohl vor allem seine Wahlkampfkundgebung an der Bastille in Paris, wo sich nach Angaben seiner Partei Mitte März rund 120.000 Anhänger versammelten - so viele wie bisher bei keinem anderen Kandidaten. Vor einem bunt gemischten Publikum aus Arbeitern und Akademikern kritisierte der Linkspolitiker 25 Minuten lang das „durch Ungerechtigkeiten entstellte Frankreich“. „Er ist ein wahrer Volkstribun“, sagte eine elegante Mittsechzigerin aus dem schicken 16. Arrondissement hinterher, die nur gekommen war, um sich den Kandidaten anzuschauen.

Reuters/Pascal Rossignol
Jean-Luc Melenchon
Der 60-Jährige hat ein stramm linkes Programm: Mindestlohn von 1.700 Euro, hundertprozentige Besteuerung aller Monatseinkommen über 30.000 Euro, Verstaatlichung von Banken. Damit grenzt Melenchon sich deutlich von der Sozialistischen Partei (PS) ab, deren Mitglied er mehr als 30 Jahre lang war. Der Bruch kam nach dem Referendum über die EU-Verfassung 2005 in Frankreich, als Melenchon sich gegen den Willen der PS an die Spitze der Gegner setzte.
Attacken gegen „Tretbootkapitän“ Hollande
Im November 2008 folgte nach dem Vorbild der deutschen Linken die Gründung der Linksfront in Frankreich - mit der deutschen Linksikone Oskar Lafontaine als Gastredner. „Der historische Sozialismus, für den wir stehen, hat keinen Platz mehr in einer Mitte-links-Partei“, sagte Melenchon, der zwei Jahre lang Minister einer sozialistischen Regierung war. Heute grenzt der Linkspolitiker sich klar von den Sozialisten ab.
Mit bissiger Rhetorik geißelte der in Marokko geborene Franzose im Herbst eine schwache Vorstellung Hollandes in der Finanzkrise: „Warum soll man mitten im Sturm einen Tretbootkapitän wie Hollande wählen“, fragte der Europaabgeordnete, der sich gegen ein „Spardiktat“ der EU stemmt. Heute eint Melenchon und die PS fast nur noch die Ablehnung von Präsident Nicolas Sarkozy. Die PS fürchtet dabei, dass gerade Melenchon den Machtwechsel in Frankreich verhindert, weil er Hollande zusehends alt aussehen lässt.
Sarkozy hofft auf linkslinken „Retter“
Dass „nur Melenchon Sarkozy retten kann“, ist auch aus der konservativen UMP des Staatschefs zu hören. Die SP wirbt umgekehrt bereits demonstrativ unter Melenchons Anhängerschaft für Hollande.
„Der einzige, der klare Antworten hat, ist Francois Hollande, der einzige, der Nicolas Sarkozy schlagen kann“, formulierte Parteichefin Martine Aubry etwa beinahe flehentlich ihren an Melenchon-Sympathisanten gerichteten Appell.
Hollande hofft auf Melenchons Wahlempfehlung
Die Aussicht auf eine Niederlage Sarkozys dürfte die Melenchon-Wähler aber nach allgemeinem Dafürhalten eher dazu bringen, im zweiten Wahlgang für Hollande zu stimmen: Laut einer aktuellen Umfrage sind 82 Prozent seiner Wähler zu diesem Votum bereit. Melenchon kündigte Ende März allerdings an, er wolle nicht „bedingungslos kapitulieren“. „Wir werden uns nicht zu Geiseln von Francois Hollande machen“, sagte der Vater einer erwachsenen Tochter gegenüber dem Radiosender France Info.
Welche Bedingungen er für eine Unterstützung Hollandes in der zweiten Wahlrunde stellt, ließ der diplomierte Philosoph allerdings offen. Hollande signalisierte jetzt schon Entgegenkommen und machte sich Teile von Melenchons Forderungen für seine eigenen Wahlkampfversprechen zu eigen. Eines ist aber auf alle Fälle klar: Melenchon wird sich nicht durch einen Ministerposten bestechen lassen. Der 60-Jährige kündigte bereits an: „Ich werde in keine Regierung gehen, außer in eine, die ich selbst führe.“
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