Menschenrechtsorganisation protestiert
Schulhefte mit dem Porträt des sowjetischen Diktators Josef Stalin sorgen in Russland für Aufregung. Swetlana Gannuschkina von der Menschenrechtsorganisation Memorial sprach am Samstag im Radiosender Moskauer Echo von der „Schändung unserer Geschichte“ und der Beleidigung der zahlreichen Stalin-Opfer.
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Initiativen wie die des Verlags, bei dem die Hefte erschienen, zeugten von der Weigerung Russlands, sich kritisch mit seiner Geschichte auseinanderzusetzen, sagte Gannuschkina. Im Gegenteil: Der Kult lebt weiter - und die Führung tue wenig dagegen, meinen Experten. So wird Stalin in einem vom Bildungsministerium abgesegneten Lehrbuch als „effizienter Manager“ gewürdigt.
Verlag verteidigt Porträt
Ein Verlagsvertreter verteidigte im Radiosender die Entscheidung, Stalin in die Reihe „Große Namen“ der russischen Geschichte aufzunehmen - zusammen etwa mit dem Komponisten Sergej Rachmaninow und Zarin Katharina II. „Stalins Rolle lässt sich nicht ignorieren. Über ihn lässt sich diskutieren, er kann kritisiert werden, aber er hat existiert, das ist die Geschichte Russlands, die die Kinder in der Schule lernen“, sagte Dimitri Krasnikow vom Verlag Alt.
Stalin stand fast drei Jahrzehnte bis zu seinem Tod 1953 an der Spitze der Sowjetunion. Sogar seine Anhänger räumen ein, dass er Millionen Menschen in die von ihm gegründeten Straflager (Gulags) und damit in den Tod schickte. Immer mehr Dokumente werden inzwischen in Moskau veröffentlicht, die Stalins grausame Befehle belegen. So veröffentlichten etwa die regierungskritische Zeitung „Nowaja Gaseta“ und der Radiosender Echo eine Anordnung Stalins, wonach auch Kinder ab zwölf Jahren erschossen werden durften.
Kult lebt weiter
Dennoch erfreut er sich bei vielen Russen, die ihn mit dem Sieg der Roten Armee über Nazi-Deutschland in Verbindung bringen, großer Beliebtheit. Die noch immer einflussreichen Veteranenverbände feiern jährlich mit roten Fahnen, Nelken und Plakaten Geburts- und Todestag des Diktators. Ordenbehangene Kommunisten küssen dabei Stalin-Porträts wie Heiligenbilder.

Reuters/Denis Sinyakov
Veteranen feiern Stalin als Sieger im „Großen Vaterländischen Krieg“
Dass der Diktator den Mord an Hunderttausenden befahl, wissen jüngere Leute kaum. Auch über die Schrecken der Gulags, die Deportationen und die große Hungersnot von 1932/33 mit mindestens sechs Millionen Toten in der ganzen Sowjetunion ist Schülern kaum etwas bekannt. Eine nationale Gedenkstätte für die Opfer des Sowjetterrors gibt es bis heute nicht. Nur schwer erhalten Historiker und Journalisten Zugang zu Archiven.
Im Jahr 2008 landete der Diktator in einer Wahl des Staatsfernsehens zum größten Helden der russischen Geschichte auf Platz drei. Angeblich hatte nur der Kreml, der die Medien in Russland kontrolliert, Stalins Sieg verhindert, um einen internationalen Skandal zu vermeiden.
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