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„Demokratischer Prozess“ bedroht

Ägyptens Muslimbrüder haben stets betont, sie wollten das Parlament nicht dominieren und keinen Präsidentschaftskandidaten nominieren. Nun haben sie ihre Meinung geändert. Die stärkste und am besten organisierte politische Gruppierung in Ägypten kündigte am Samstag an, dass ihr stellvertretender Vorsitzender Chairat al-Schater bei der Wahl am 23. und 24. Mai antreten werde.

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Bisher hatten sich die Muslimbrüder für eine islamistische Bündniskandidatur ausgesprochen. Ihren Meinungsumschwung erklärte ihr Generalsekretär Mahmud Hussein damit, dass der „demokratische Prozess in Ägypten bedroht“ sei. Der oberste Führer der Muslimbrüder, Mohammed Badie, bestätigte die Nominierung auf einer Pressekonferenz in Kairo. Schater erklärte, wegen seiner Kandidatur trete er von seinem Posten als Badies Stellvertreter zurück.

Der 61-jährige Schater, Hochschullehrer für Ingenieurswissenschaften und reicher Geschäftsmann, trat der Muslimbruderschaft 1981 bei, ist einer ihrer wichtigsten Geldgeber und wurde 1995 Mitglied ihres Exekutivrats. Wegen seiner politischen Aktivitäten war er mehrmals im Gefängnis.

Chairat al-Schater, Kandidat der Muslimbrüder

APA/EPA/Khaled Elfiqi

Schater gehört seit 1981 zur den Muslimbrüdern und ist einer ihrer wichtigsten Finanziers

Spannungen mit dem Militärrat

Seit dem Sturz des langjährigen Präsidenten Hosni Mubarak durch eine breite Protestbewegung im Februar 2011 liegt die Macht beim Obersten Militärrat. Dieser hat angekündigt, die Macht nach der Präsidentschaftswahl an eine Zivilregierung abzugeben. In den vergangenen Monaten machte sich jedoch der Eindruck breit, dass die Armee ihren Einfluss auf die Regierungsgeschäfte behalten will.

Das führt zu Spannungen mit der Muslimbruderschaft. Diese wiederum befindet sich im offenen Streit mit liberalen und linksgerichteten Parteien wegen der Zusammensetzung eines Parlamentsausschusses zur Ausarbeitung der künftigen Verfassung. Dort haben Islamisten eine breite Mehrheit. Die Partei der Freiheit und Gerechtigkeit verfügt im Parlament über 47 Prozent der Mandate. Zusammen mit islamistischen Gruppen stellt sie drei Viertel der Abgeordneten.

1928 gegründet

Die Muslimbruderschaft ist die älteste sunnitisch-islamistische Bewegung. Sie wurde 1928 von Hassan al-Banna gegründet. Ihre Lehre folgt dem „Tawhid“, der Einheit zwischen Staat und Islam. In ihrer langen Geschichte pendelte die Bruderschaft immer wieder zwischen gewalttätiger Opposition und Zusammenarbeit mit der Führung, zwischen Einsatz für einen islamischen Staat und Bekenntnissen zur Demokratie.

In den 40er Jahren verübten die Muslimbrüder blutige Angriffe, so etwa den Mord an Ministerpräsident Mahmud Fahmi al-Nokraschi im Jahr 1948. In den folgenden Jahrzehnten ging die ägyptische Führung hart gegen die Bruderschaft vor. Um den von der Sowjetunion unterstützten Staatschef Gamal Abdel Nasser zu schwächen, unterstützte der US-Geheimdienst CIA ab 1956 die Muslimbruderschaft.

In der Gesellschaft verankert

Nassers Nachfolger Anwar al-Sadat erließ 1971 eine Generalamnestie für die Muslimbrüder. Als sich Sadat aber politisch umorientierte und Frieden mit Israel schloss, wandte sich die Bruderschaft enttäuscht ab. Radikalisierte ehemalige Muslimbrüder ermordeten Sadat 1981.

Die Muslimbruderschaft festigte jahrzehntelang auch ihren Einfluss in der ägyptischen Gesellschaft. Sie ist besonders aktiv in den Moscheen des Landes, kümmert sich um Bedürftige und hat zudem Einfluss auf Universitäten und Gewerkschaften. Bei den Protesten gegen Mubarak Anfang des Jahres standen die Muslimbrüder in der ersten Reihe, verteilten Wasser und versorgten Verletzte.

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