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Er nannte sich Old Shatterhand

Karl May hat mit seinen Abenteuerromanen Generationen von Kindern geprägt: Kaum jemand, der nie mit Winnetou oder Old Shatterhand in Kontakt kam. Edel, gerecht und wagemutig waren diese Helden. Zahllose Blutsbrüderschaften in deutschen und österreichischen Hinterhöfen wurden nach ihrem Vorbild geschlossen.

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Am Anfang der Geschichte von May und seinen wackeren Romanfiguren steht ein Zufall. Wäre nicht 1861 jener vermeintliche Uhrendiebstahl gewesen, der sächsische Volksschullehrer hätte sich wohl bis an sein Lebensende in der Fabrikschule von Altchemnitz abgeplagt, ohne dass die Öffentlichkeit je von seiner Existenz Notiz genommen hätte. Mit einer Gesamtauflage von über 100 Millionen Exemplaren - seine Werke wurden in über 25 Sprachen übersetzt - gehört May zu den meistgelesenen Autoren deutscher Sprache.

Die Schauspieler Lex Barker und Pierre Brice posieren in ihren Rollen als Old Shatterhand und Winnetou

picturedesk.com/Interfoto/Friedrich

Lex Barker und Pierre Brice als Old Shatterhand und Winnetou

Betrügereien, Diebstähle

Geboren wurde Karl Friedrich May am 25. Februar 1842 in der Kleinstadt Hohenstein-Ernstthal im Erzgebirge als Sohn eines Webers und einer Hebamme. Bald nach der Geburt erblindete er für vier Jahre. Von seinen insgesamt 14 Geschwistern starben neun in früher Kindheit. Mit den letzten Ersparnissen seiner Familie wurde er zum Lehrerseminar im nahen Waldenburg geschickt.

Nach einer kurzen Karriere als Lehrer zunächst in Glauchau und Chemnitz warf man ihm vor, die Uhr eines Zimmergenossen gestohlen zu haben. May musste für sechs Wochen ins Gefängnis und anschließend den Schuldienst quittieren. Ein verhängnisvoller Weg in die Kriminalität begann. Mehrere Betrügereien und Diebstähle brachten ihm „Arbeitshaus“ und von 1870 bis 1874 eine vierjährige Zuchthausstrafe ein.

Die erste grafische Winnetou-Darstellung, aus dem Jahr 1879

Public Domain

Eine der ersten Winnetou-Illustrationen (1879)

Freiheitsromane vom Gefängnis aus

Im Gefängnis fing May zu schreiben an. Seinen Träumen von Freiheit, Gleichheit, ewiger Freundschaft und edlen Menschen verlieh er von 1875 an in Fortsetzungsromanen und später in den berühmten Reiseerzählungen Gestalt, die er zunächst für Zeitschriften verfasste. Von Anfang an schrieb er in der Ich-Form, so dass der Eindruck entstand, er habe alle Abenteuer selbst erlebt.

Mit Kara ben Nemsi und Hadschi Halef Omar begann der mittlerweile 50-jährige Autor im Jahre 1892 berühmt zu werden. Ein Jahr später folgte die dreibändige Erzählung „Winnetou“, mit der May endgültig zum Volksschriftsteller wurde.

Leben in der „Villa Shatterhand“

In Radebeul, dem Zentrum sächsischer Obst- und Spargelkultur, kaufte er sich ein Siebenzimmerhaus, das er „Villa Shatterhand“ nannte. Zwischen Wasserpfeifen, maurischen Lampen, Sitzkissen und exotischem Mobiliar schrieb May seine Abenteurerfantasien und beantwortete seine immer umfangreicher werdende, teils skurrile Leserpost: „Wir sind arm, aber einen Dank sollen Sie haben. Seit wir Ihre Werke gelesen haben, sind wir keine Sozialdemokraten mehr.“

Auf Vortragsreisen enthusiastisch gefeiert, von Prälaten, Adelsdamen und kaiserlich-habsburgischen Familienmitgliedern hoch gelobt, identifizierte er sich schließlich mit dem heroischen Geist. Seine Visitenkarten trugen die Aufschrift „Karl May, genannt Old Shatterhand“.

Portätaufnahme des deutschen Autors Karl May

APA/dpa

Karl May bereiste seine Schauplätze erst in späten Jahren

Als Karl May aufflog

Er ließ sich als Old Shatterhand und Kara ben Nemsi verkleidet ablichten. Allerdings hatte er zu dem Zeitpunkt keinen der Orte gesehen, an denen seine Geschichten spielen. Eine 16-monatige Reise führte ihn erst 1899/1900 in den Orient. 1908 reiste er als Tourist erstmals in die Nähe des Schauplatzes der Old-Shatterhand-Abenteuer.

Auch sein Doktortitel, mit dem er sich zuweilen schmückte, war nicht echt. Die allgemeine Hochachtung, die so lange das literarische Schaffen Mays begleitete, schlug jäh ins Gegenteil um, als die behauptete Wahrheit sich als bloße Dichtung herausstellte und zu allem Überfluss auch noch seine Vorstrafen bekanntwurden.

Viele Kritiker machten sich daran, das einstige Idol vom Sockel zu stoßen. Permanente juristische Auseinandersetzungen, unter anderem mit Verlagen, überschatteten nachhaltig die letzten Lebensjahre des Sachsen. Vor 100 Jahren, am 30. März 1912, ging May in die ewigen Jagdgründe ein.

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