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Speicherung für sechs Monate

Seit dem Inkrafttreten am 1. April ist die umstrittene Vorratsdatenspeicherung in Österreich Realität. Die Diskussionen finden damit aber kein Ende, im Gegenteil: Neben den Kosten wird weiter über die Gesetzmäßigkeit der anlasslosen Speicherung von Kommunikationsdaten gestritten - in Österreich, aber auch europaweit.

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Die Vorratsdatenspeicherung, auch Data Retention genannt, ist auf eine EU-Richtlinie zurückzuführen, die 2006 unter den Eindrücken der Terroranschläge in New York, London und Madrid mit der Zustimmung Österreichs verabschiedet wurde. Die EU-Richtlinie sieht vor, dass Kommunikationsanbieter wie etwa Telefonieprovider bis zu zwei Jahre, aber mindestens sechs Monate lang speichern, mit wem ihre Kunden kommuniziert haben. Als geltendes EU-Recht muss die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden, sonst droht ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit hohen Strafzahlungen.

Was genau gespeichert wird

Gespeichert werden müssen im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung neben der IP-Adresse eines Computers inklusive des Namens und der Anschrift des Inhabers auch der Standort und die genaue Gerätekennung eines Mobiltelefons sowie Sender und Empfänger von SMS, MMS, E-Mails und Telefoniediensten inklusive Internettelefonie - kurz: Es wird gespeichert, wer mit wem wann wie kommuniziert, egal ob in gesprochener oder schriftlicher Form, ob über Internet, Festnetz oder Mobilfunk. Inhalte werden dabei keine aufgezeichnet, doch schon die Standortdaten eines Handys reichen aus, um einen Nutzer nachverfolgen zu können.

Kosten von mindestens 20 Mio. Euro

In Österreich werden rund 165 Kommunikationsanbieter, also Mobilfunker oder Internetprovider, die in ihren Netzen anfallenden Daten sechs Monate aufheben müssen. Universitäten und andere öffentliche Einrichtungen sind von der Speicherpflicht ausgenommen. Die einmaligen Kosten für die für die Speicherung notwendige Infrastruktur werden zu 80 Prozent vom Staat getragen, der Rest und der laufende Betrieb inklusive Abfragen wird von den Anbietern finanziert - mehr dazu in fm4.ORF.at.

Wie hoch die genauen Kosten sein werden, ist derzeit noch unklar, so der Generalsekretär der Internet Service Provider Österreich (ISPA), Maximilian Schubert, gegenüber ORF.at. Das Ministerium ging zuletzt von 20 Mio. Euro aus, Schubert glaubt aber nicht, dass diese Summe reicht. Abzuwarten bleibt, ob die Branche diese Kosten auf die Nutzer überwälzt, wenn sie der Staat übernimmt, müssen ohnedies alle dafür zahlen.

Justiz- und Innenministerium wollten mehr

Österreich hatte lange gezögert, die umstrittene Richtlinie umzusetzen, schlussendlich beugte man sich den angedrohten Strafzahlungen. Das für die Umsetzung zuständige Infrastrukturministerium beauftragte das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (BIM) damit, einen Gesetzesvorschlag auszuarbeiten. Das Infrastrukturministerium strebte grundsätzlich eine Mindestumsetzung an, während Innen- und Justizministerium unter Maria Fekter (ÖVP) und Claudia Bandion-Ortner auf deutlich mehr Daten länger Zugriff haben wollten.

Die Behörden hoffen, aus den Daten Rückschlüsse für ihre Ermittlungen ziehen zu können. Zwar ist die Speicherpflicht mit sechs Monaten nun am unteren Ende der Möglichkeiten und die Übermittlung der Vorratsdaten für Taten mit über einem Jahr Strafandrohung mit Antrag des Staatsanwalts mit richtlicher Genehmigung definiert, über die Strafprozessordnung und das Sicherheitspolizeigesetz gibt es jedoch Wege, diesen Richtervorbehalt zu umgehen, vor allem bei IP-Adressen.

Genaue Protokollierung der Abfragen

Die eigentlichen Abfragen der gespeicherten Daten laufen über eine Durchlaufstelle, eine Art Mail-Box, die zwischen den Providern und den anfragenden Behörden steht. Jede Anfrage von Vorratsdaten (bestehen aus Verkehrsdaten und Stammdaten) wird dort registriert und protokolliert, so soll in Zukunft eine Überprüfung der Vorratsdatenspeicherung möglich sein. Die Durchlaufstelle soll auch das systematische Sammeln und Auswertung von Daten (Data Mining) verhindern helfen, so Christof Tschohl, der die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung als BIM-Mitarbeiter mitausgearbeitet hat.

Diese Einrichtung ist einzigartig - bei einer ersten Überprüfung der Vorratsdatenspeicherung musste die EU-Kommission letztes Jahr feststellen, dass die Kontrollen in den meisten Ländern unzureichend und die Daten fehlerhaft sind. Nicht zuletzt deswegen ordnete die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström eine Überarbeitung der Richtlinie an, für heuer wird ein erster öffentlicher Entwurf erwartet. Bis zu einer Umsetzung einer neuen Richtlinie können Jahre vergehen.

Kritiker wollen Aufhebung der Richtlinie

Kritiker wie der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) wollen allerdings keine Überarbeitung, sie fordern die ersatzlose Streichung der Richtlinie und der entsprechenden nationalen Gesetze. Sie sehen durch die Vorratsdatenspeicherung das Menschenrecht auf Privatsphäre sowie das Grundrecht auf Datenschutz verletzt. Die AK Vorrat hat daher angekündigt, gemeinsam mit den Grünen gegen das Vorhaben vor den Verfassungsgerichtshof (VfGH) zu ziehen - mehr dazu in help.ORF.at.

EuGH soll Rechtmäßigkeit prüfen

Mit der Rechtmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung soll sich auch der EuGH demnächst befassen: Das irische Höchstgericht will unter anderem wissen, ob die EU-Richtlinie gegen das Recht auf Privatsphäre (Artikel sieben und acht) und das Recht auf freie Meinungsäußerung gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt und auch die gebotene Verhältnismäßigkeit laut EU-Vertrag einhält. Ein entsprechender Antrag soll demnächst eingebracht werden, eine endgültige Entscheidung wird erst in rund zwei Jahren erwartet. Bis dahin werden erst einmal alle Kommunikationsdaten gespeichert.

Nadja Igler, ORF.at

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