„Sicherlich gibt es mich: Ich bin ich“
„Auf der bunten Blumenwiese geht ein buntes Tier spazieren.“ Gleich bei einem der ersten Bücher, die Eltern ihren Kindern vorlesen, haben viele ein Deja-vu-Erlebnis. Denn Mira Lobes Kinderbuch „Das kleine Ich-bin-Ich“ ist schon seit 40 Jahren ein Klassiker - genauso wie zahlreiche andere Werke der Autorin, die als fixer Bestandteil in so gut wie jedem Kinderbuchregal zu finden sind.
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Ob es die „Omama im Apfelbaum“ ist oder „Die Geggis“, „Bimbulli“ oder „Valerie und die Gutenachtschaukel“ - Freundschaft, Konkurrenz, Hilfsbereitschaft, Teamgeist, Ausbeutung, Abschied, Trauer, Vertrauen und Versöhnung sind die Themen, die Lobe in klarer und gleichzeitig poetischer Sprache in ihren Kinderbüchern so verpackt hat, dass sie auch 17 Jahre nach dem Tod der Schriftstellerin nicht altbacken wirken.
Die Autorin wurde am 17. September 1913 in der niederschlesischen Kreisstadt Görlitz als Tochter einer wohlhabenden jüdischen Familie geboren. Nach der Matura in Deutschland emigrierte sie 1936 nach Palästina, wo sie 1940 den Regisseur Friedrich Lobe heiratete. Ihr erstes Buch - die Robinsonade „Insu-Pu“ - schrieb sie, als das erste Kind des Paares unterwegs war. Das Buch erschien dann auch ins Hebräische übersetzt.
Rückkehr nach Wien
1950 zog die Familie nach Wien, kurz nach der Gründung des Staates Israel. Ihre Eltern hätten nicht akzeptieren können, wie die arabische Bevölkerung aus Tel Aviv und anderen Städten vertrieben wurde, erklärte Claudia Lobe, die Tochter des Paares in einem Interview mit dem Radiosender Bayern2. „Ich kann nicht in einem Land leben, das mit Leuten genauso umgeht, wie das, was wir in Deutschland erfahren haben - dass Menschen einfach vertrieben werden,“ habe die Mutter den Grund für die Rückkehr nach Wien erläutert.

Jungbrunnen-Verlag
„Ich habe Sehnsucht danach, zu schreiben. Einfälle haben, Gedanken haben, Gefühle haben ...“ (Mira Lobe, 1992)
Friedrich Lobe arbeitete als Regisseur am Wiener Theater Scala. Als das Theater geschlossen wurde, ging das Ehepaar nach Ostberlin, doch Mira Lobes Sehnsucht nach der neuen und endgültigen Heimat Österreich war entscheidend für die Rückkehr der Familie nach Wien nach nicht einmal einem Jahr. 1958 erhielt Mira Lobe die erste offizielle Anerkennung, den österreichischen Kinderbuchpreis für „Titi im Urwald“. Im selben Jahr starb ihr Mann an einem Schlaganfall.
„Das zweitbeste Gefühl nach der Liebe“
Lobe schrieb weiterhin unermüdlich für Kinder und erhielt schließlich 1980 den Österreichischen Würdigungspreis für Kinder und Jugendliteratur für ihr Gesamtwerk. „Produzieren ist schön, einfach schön, da fühlt man sich leben. Das ist nach der Liebe das zweitbeste Gefühl“, beschrieb sie ihren Antrieb 1992 in einem Interview mit dem „Standard“.
Am 6. Februar 1995 starb Lobe in Wien. Ihre Kinder- und Jugendbücher, der Großteil davon von Susi Weigel illustriert, wurden in Dutzende Sprachen übersetzt. Der seit 1965 immer wieder aufgelegte Hit „Die Omama im Apfelbaum“ ist auch in Afrikaans, Arabisch und Japanisch erschienen, „Das kleine Ich-bin-ich“ ist mittlerweile auch in einer Ausgabe erschienen, die deutsch, türkisch, serbisch und kroatisch in einem Band vereint.
Die kleinen Helden ihrer Bücher versuchen immer wieder, sich den „anderen“, den Großen, verständlich zu machen. Oft genug werden sie dabei vor die Wahl „Anpassung oder Außenseitertum“ gestellt. In „Das Städtchen Drumherum“ ergreifen Kinder die Initiative zu einer Aktion Umweltschutz, das „kleine Ich-bin-ich“ - ein einzigartiges Wesen mit Ponyfransen, Dackelohren und Stampferbeinen - ist seit 40 Jahren für unzählige Kinder ein Quell für Selbstvertrauen und -bewusstsein.

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Buchhinweis
Mira Lobe und Susi Weigel: Das kleine Ich-bin-ich. Jungbrunnen, 32 Seiten, 13,90 Euro.
Die Idee zum Buch stammte von Weigel. In einem Interview mit der „Kronen Zeitung“ sagte sie 1990: „Wir hatten eine liebe Kinderfrau, die ich sehr gern mochte.“ Im hohen Alter sei diese Frau etwas verwirrt gewesen und habe immer wieder gefragt: „Wer bin ich – ich bin ich?“ Diese Erinnerungen wirkten nach: „Mir ist plötzlich bewusst geworden, dass es Kindern ähnlich geht, sie sind auf der Suche nach ihrer eigenen Identität“.
Frühe Liebe zum Schreiben
Lobe entdeckte ihre Liebe zum Schreiben im Alter ihrer späteren Zielgruppe, wie sie in „Das Schwalbenkind“ schilderte. Als ihr mit ungefähr zwölf Jahren von ihrem Deutschlehrer die Hausaufgabe aufgetragen worden sei, ein selbst erfundenes Tiermärchen zu verfassen, habe sie sich die Geschichte eines Schwalbenkindes ausgedacht, das, anstatt in wärmere Gebiete zu fliegen, den Winter mit seinem Freund Spatz verbringen wollte.
Der Lehrer habe der Schülerin nicht geglaubt, dass diese Geschichte von ihr erfunden war. „Wenn ein Professor dein Märchen so enorm findet, dass er es dir nicht zutraut, es selbst geschrieben zu haben, dann bist du offenbar nicht unbegabt“, habe sie sich damals gedacht, so Lobe.
Bücher als Ort der Sehnsucht
Der Anspruch, den die Schriftstellerin an Bücher - für Kinder, aber auch für Erwachsene - hatte, war kein geringer und zugleich ein sehr einfacher, wie in einem Zitat auf der offiziellen Mira-Lobe-Website deutlich wird: „Bücher sind zu mancherlei da ... Damit man lacht, zum Beispiel. Lachen ist wichtig. Damit man gescheiter wird. Gescheit sein ist wichtig. Damit man Sehnsucht bekommt. Das ist vielleicht das Wichtigste.“
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