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China vor Umbruch

Chinas Regierungschef Wen Jiabao bereitet sein Volk auf schwere Zeiten vor. Zum Auftakt der diesjährigen Tagung des Volkskongresses sagte der Ministerpräsident am Montag in Peking in seiner vom Staatsfernsehen übertragenen Rede, China stehe vor „großen Schwierigkeiten und Herausforderungen“. Das Wachstum befinde sich bei hohen Preisen in einem Abwärtstrend.

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Die Weltwirtschaftskrise dämpfe das chinesische Wachstum: „Der Weg zur globalen wirtschaftlichen Erholung wird qualvoll.“ In diesem Jahr dürfte China nur noch 7,5 Prozent Wachstum erreichen, sagte Wen. Es ist die niedrigste Prognose seit 2004. Im Vorjahr hatte die Wirtschaft noch um 9,2 Prozent zugelegt, die angestrebte Marke von acht Prozent wurde damit übererfüllt.

Premier Wen Jiabao und potentieller Nachfolger Xi Jinping

APA/EPA/Adrian Bradshaw

Vizepräsident Xi Jinping und Premier Wen Jiabao bei der Eröffnung

Experten gehen davon aus, dass das Wirtschaftswachstum auch dieses Jahr mit 8,0 oder 8,5 Prozent die Zielmarke übertreffen, allerdings hinter 2011 zurückbleiben wird. Die exportorientierte chinesische Wirtschaft leidet derzeit unter der lahmenden Nachfrage in der EU und den USA.

Der Volkskongress

Der Volkskongress tritt einmal im Jahr in der Großen Halle des Volkes in Peking zusammen. Die rund 3.000 Abgeordneten haben nur begrenzte Entscheidungsbefugnisse. Vielfach werden die Beschlüsse bereits im Vorfeld getroffen, wirkliche Debatten gibt es nicht. Es ist die letzte Sitzung des Parlaments vor dem geplanten Führungswechsel im Herbst, bei dem Staatschef Hu Jintao, Regierungschef Wen Jiabao und fünf weitere Führungsmitglieder ihre Posten aufgeben werden.

Die Umstrukturierung der Wirtschaft werde „immer dringender, aber auch immer schwieriger“, sagte der Ministerpräsident den 3.000 Delegierten in der Großen Halle des Volkes. Die Entwicklung sei unausgewogen und nicht aufrechtzuerhalten. „Außerdem steht die Wirtschaft vor neuen Problemen.“

Binnennachfrage als neues Heilmittel?

Das Wachstum gehe zurück. Die Preisen blieben hoch. Die Kontrolle des überhitzten Immobilienmarktes sei in einer „entscheidenden Phase“, sagte Wen weiter. In diesem Jahr wolle sich die Regierung vor allem auf eine Ankurbelung der Binnennachfrage konzentrieren, kündigte er an. Das Ziel sei es, „eine Entwicklung auf höherem Niveau mit höherer Qualität über längere Zeit“ zu erreichen, sagte Wen.

Demnach strebt die Regierung wie bereits im vergangenen Jahr eine Inflationsrate von vier Prozent an. Tatsächlich hatten sich die Verbraucherpreise 2011 um 5,4 Prozent erhöht. Dank einer restriktiven Geldpolitik war es der Regierung jedoch gelungen, die Inflation im Laufe des zweiten Halbjahrs um mehrere Prozentpunkte zu senken.

Volkskongress

APA/EPA/How Hwee Young

Die fast vollen Reihen beim Nationalen Volkskongress

Mehr Geld für Sicherheitsapparat

In seiner Rede sprach sich Wen auch für eine Stärkung der Streitkräfte aus, um im Informationszeitalter „regionale Kriege“ gewinnen zu können. Die Ausgaben für die innere Sicherheit steigen im neuen Haushalt auch wieder stark, und zwar um 11,5 Prozent auf 701 Milliarden Yuan (84 Mrd. Euro). Damit sind die Ausgaben für den Sicherheitsapparat - einschließlich Gerichte und Gefängnisse - größer als der offizielle Verteidigungshaushalt, der in diesem Jahr um 11,2 Prozent auf 670 Milliarden Yuan (80 Mrd. Euro) steigt.

Wen will Bauern und Volksgruppen beruhigen

Wen sagte in seiner Ansprache, das Recht der Bauern an ihrem Land dürfe nicht verletzt werden. Die illegale Enteignung von Ackerland und Bauflächen durch örtliche Beamte ist die größte Quelle von Protesten und Unruhen in China. In dem südchinesischen Fischerort Wukan kam es infolge derartiger Enteignungen kürzlich zu einem beispiellosen Volksaufstand.

Mit Blick auf Uiguren und Tibeter versprach Wen, die „gesetzlichen Rechte und Interessen der religiösen Gruppen“ zu achten. Nur wenn alle ethnischen Gruppen vereint für die Entwicklung des Landes arbeiteten, werde China zu Wohlstand gelangen, sagte der Regierungschef. Die buddhistischen Tibeter und die muslimischen Uiguren in der westlichen Provinz Xinjiang klagen seit langem über soziale, kulturelle und wirtschaftliche Diskriminierung durch Peking.

Der Auftakt wurde von der Nachricht über zwei neue Selbstverbrennungen von Tibetern überschattet. Seit einem Jahr haben sich schon mehr als 20 Tibeter selbst angezündet und getötet, um damit gegen die chinesische Herrschaft über das tibetische Volk zu protestieren.

Machtübergabe sorgt für Streit hinter den Kulissen

Die zehntägige Sitzung wird begleitet von Spekulationen über ein heftiges Tauziehen um die künftige kommunistische Führung. Bei dem geplanten Generationswechsel im Herbst soll Vizepräsident Xi Jinping das Ruder vom heutigen Staats- und Parteichef Hu Jintao (69) übernehmen. Ein Skandal um den ehrgeizigen Parteichef der Metropole Chongqing, Politbüromitglied Bo Xilai, und seinen als „Super-Bullen“ bekannten Polizeichef hatte Diskussionen ausgelöst, ob die sorgfältig vorbereitete Machtübergabe vielleicht doch nicht reibungslos ablaufe.

Für die Delegierten aus Chongqing wurde die Teilnahme an der Eröffnung zum Spießrutenlauf, weil sich Reporter auf sie stürzten, während sie nicht interviewt werden wollten. „Es ist kein Machtkampf vor dem Führungswechsel“, versicherte der Delegierte Li Pengde aus der Provinz Shaanxi der Nachrichtenagentur dpa. „Die Lage in China ist stabil.“ Andere Delegierte beklagten aber auch, dass die zensierten chinesischen Medien kaum etwas über den Skandal berichtet hätten. „Ich weiß nichts darüber“, sagte ein Abgeordneter.

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