Kopierte Ikonen, synthetische Superstars
Am 22. Februar 1987 ist Andy Warhol in einem Krankenhaus in New York an den Folgen einer Operation gestorben. Seine Kunst, die mit Wiederholungsmustern, der Übernahme populärer Fotos und mit Instant-Superstars spielte, weist weit über seinen Tod hinaus - auf das Ende der industriellen Popkultur.
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Eigentlich war es ein Routineeingriff, den die Ärzte am New York Hospital am 20. Februar 1987 an Andy Warhol vornahmen. Der Künstler war schon seit Wochen von seiner schmerzenden Gallenblase geplagt worden, aber seine Angst vor Ärzten und Krankenhäusern hatte ihn den Gang zum Spezialisten lange hinauszögern lassen. Nach der Notoperation, bei der das Organ entfernt werden musste, besserte sich Warhols Zustand aber schnell.
Vielleicht war das auch der Grund, weshalb das Pflegepersonal in der Nacht vom Samstag auf Sonntag, den 22. Februar, nicht mehr regelmäßig nach ihm sah. Erst um 5.45 Uhr bemerkte die zuständige Krankenschwester bei der Routinekontrolle, dass Warhols Körper aus Sauerstoffmangel blau angelaufen war. Die Ärzte konnten ihn nicht wieder ins Leben zurückholen, um 6.31 Uhr wurde Andy Warhol für tot erklärt. Offizielle Todesursache: Herzinfarkt. Er wurde nur 58 Jahre alt.
Aufstieg mit der Konsumgesellschaft
Zu Lebzeiten hatte Warhol den „amerikanischen Traum“ für sich verwirklicht. Er war einer der interessantesten Menschen in der wichtigsten Metropole des mächtigsten Landes der Welt. Dabei stammte er aus bescheidenen Verhältnissen. Seine Eltern waren Einwanderer aus der damaligen Tschechoslowakei, sein Vater, ein Arbeiter, starb früh, als Andy erst 13 Jahre alt war.
Im Sommer 1949 zog Warhol, mit einem Abschluss in Grafikdesign in der Tasche, von seiner Heimatstadt Pittsburgh nach New York, wo er sich schnell als Gebrauchsgrafiker etablierte und schon ab 1951 für die Frauenzeitschrift „Harper’s Bazaar“ arbeitete - es war ihm gelungen, keinen geringeren als Alexey Brodovitch von seiner Arbeit zu überzeugen, den wichtigsten und auch härtesten Art Director der Branche. Er war nun im Zentrum der Werbe- und Modeindustrie angelangt.
Massenproduktion der Bilder
Warhols Können und sein Ruhm wuchsen mit der US-amerikanischen Konsumgesellschaft der Nachkriegszeit. Obwohl er in seinem Handwerk sehr erfolgreich war, wollte er mehr. Er saugte die massenproduzierte Bilderwelt seiner Umgebung - Comics, Markenzeichen, Zeitungsfotos - auf und unterwarf sie dem Produktionsprozess seiner eigenen, zunächst kleinen Hinterhofindustrie.
Warhol hat die Pop Art nicht erfunden, aber er hat sie früh radikalisiert. Wie Roy Lichtenstein malte er anfangs noch die einzelnen Punkte des Farbrasters billiger Comics mit Hilfe eines Diaprojektors riesengroß in Handarbeit auf die Leinwand ab, schon bald aber reproduzierte Warhol seine Motive im Siebdruck. Er wollte dabei die Handarbeit so weit wie möglich ausschalten, die technischen Bilder isolieren, replizieren, überlebensgroß und ubiquitär machen.

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Andy Warhol 1968 mit seinen Superstars Ultra Violet (l.) und Viva (r.)
Die Verwertung des Schlafs
Schon in den frühen 1960er-Jahren verlegten sich Warhol und seine Truppe auch aufs Filmemachen. Berühmte Beispiele aus dieser Zeit sind „Sleep“ (1963) und „Empire“ (1964). „Sleep“ zeigte einfach nur Warhols schlafenden Freund John Giorno - fünf Stunden und 20 Minuten lang, „Empire“ nur das Empire State Building - acht Stunden am Stück.
Warhol nahm seine Umwelt, wie sie war - und hielt mit Kameras und Aufnahmegeräten drauf. Die zentrale Logik seiner Strategie, das unmittelbare Umsetzen und Verwerten seines medialen und sozialen Umfelds mit einfachen technischen Mitteln, sollte er bis zu seinem Ende beibehalten.
Leben als Reality-Show
In seinem Atelier, der Factory, herrschte eine spannungsvolle und freie Atmosphäre, die komplexe Persönlichkeiten anzog, reiche Erbinnen ebenso wie Transvestiten. Seine extrovertierte Entourage nutzte Warhol als Personal für seine eigene kleine Underground-Filmindustrie, „Superstars“ nannte er Darsteller wie Edie Sedgwick, Brigid Berlin und Viva. Ihr Leben verwertete Warhol als Reality-Show, ihre bloße Existenz hielt den Laden mit am Laufen.
Auch Valerie Solanas gehörte zu dieser Entourage, ihre Energie richtete sich jedoch schnell gegen Warhol selbst. Am 3. Juni 1968 tauchte sie mit einer Waffe in der Factory auf und feuerte drei Kugeln auf den Künstler. Eine davon traf. Die Ärzte konnten Warhols Leben retten, aber die Leichtigkeit, die seine Arbeiten durchdrang, war von da an dahin. In dem Buch „POPism“, das Warhol und Pat Hackett verfasst haben, beschreibt er seine Angst nach der Rückkehr in die Factory, die neuen Sicherheitsmaßnahmen. Es war der Beginn einer Abschlussbewegung.

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Pop von oben: Salonlöwe Warhol 1985 mit Industriestar Joan Collins
Jagd auf Prominente
Bob Colacello, Chefredakteur von Warhols Magazin „Interview“, beschreibt in seinen Erinnerungen, wie sein Boss in späteren Jahren die Jagd auf Prominente intensivierte, um ihnen Porträts aus seiner Produktion zu verkaufen. Warhol schreckte nicht davor zurück, auch Imelda Marcos zu hofieren, die Gattin von Ferdinand Marcos, des damaligen Diktators der Philippinen. Die Kunstmaschinerie musste in Betrieb gehalten werden, mit Werbung, Fernsehsendungen, Lizenzprodukten. Die Factory der späten Jahre: ein KMU mit nervösem Chef.
Der frühe Warhol war Pop von unten. Er sammelte Material von der Straße, aus den Supermärkten, aus Zeitungen und dem Kino, verdichtete es in schnellen und direkten Bewegungen zu puren Symbolen für seine Zeit. Der späte Warhol steht für den Pop von oben, für die Repräsentation der Herrschaft, manifestiert in seinen unzähligen Fließbandporträts von Herrschern, Prominenten und reichen Unternehmern.
Pop als Massenproduktion
Für die Verlängerung dieser Bewegung über den Tod hinaus sorgt die Warhol Foundation, eine Stiftung, die die Rechte an den Werken des Künstlers hält. Sie ist in der Position, Arbeiten aus seiner Maschinerie für echt und wertvoll oder für unauthentisch und damit wertlos erklären zu können - selbst wenn sie von Warhol selbst signiert wurden, wie einige Fälle zeigen, die der Autor Richard Dorment im „New York Review of Books“ 2009 dokumentiert hat.
„In den 1970ern hatte Warhol nicht mehr viel mit der Massenproduktion seiner Bilder zu tun“, stellt Dorment fest. Er zitiert auch einen Abschnitt aus der Warhol-Biographie von Tony Sherman und David Dalton über die Produktionsweise in einer früheren Phase des Meisters: „Das Original war Warhol derart egal, dass er es nicht einmal mehr zeichnete - sein langjähriger Assistent Nathan Gluck machte die erste Skizze (...) Warhol kam erst hinzu, um die Konturen mit Tusche nachzuziehen. (...) Was über Warhols ganze Karriere hinweg konstant blieb, (...) war seine Faszination mit dem Simulakrum, der Kopie, dem abgeleiteten Bild.“
Kunst-Konzern Warhol
Serielle Fabrikation von Kunst unter Werkstattbedingungen hat es auch schon sehr lange vor Warhol gegeben. Bei ihm aber wurde sie zum Selbstzweck, zum Programm, ja zur Ideologie. In seinem Fall überhaupt nach einem Original zu fragen, ist nach Warhols eigener Maßgabe schon ein Fehler.
Der schnörkellose Arbeitsablauf der frühen Factory, dessen Unbekümmertheit Warhols massenproduzierten Kunstwerken eine gewisse Schwerelosigkeit verlieh, könnte heute nicht mehr so verwirklicht werden. Warhols eigener finanzieller Erfolg ist daran nicht unschuldig, auch Kunst ist ein Investment - und in der postindustriellen Wirtschaft zählen Symbole mehr als Waren. Entsprechend hart ist der Zugriff von Bürokratie und Macht, wie auch die jüngsten Proteste gegen das Copyright-Abkommen ACTA zeigen.

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Campbell’s-Suppendose als Kunst: Der Hersteller dankte Warhol für die Gratis-Publicity
Pop von unten, Pop von oben
Damit schrumpft der Zeichenvorrat, aus dem sich der „Pop von unten“ bedienen kann, um sich zu erneuern. Als der Street Artist Shepard Fairey das berühmte „Hope“-Poster für die Präsidentschaftskampagne von Barack Obama schuf, begann sofort eine Jagd nach dem Foto, das er dafür als Vorlage abgepaust haben könnte. Zu Warhols Zeiten passierte es höchstens, dass ein Manager der Campbell’s-Suppenfabrik der Factory ein Dankesschreiben und eine Palette Suppenkonzentrat frei Haus liefern ließ - heute würde er wohl eine Brigade Anwälte schicken.
Auch für Künstler, die gezielt die Grenzen von Warhols Aneignungsstrategie testen, sind die Zeiten schlecht. Der US-Fotograf Richard Prince verlor 2011 einen dreijährigen Rechtsstreit mit dem französischen Fotografen Patrick Cariou, dessen Bilder er in seinem Projekt „Canal Zone“ weiterverwendet und teils verfremdet hatte. Prince konnte sich den millionenschweren Rechtsstreit leisten, denn er ist etabliert und reich - und die Publicity hat ihm auch nicht geschadet. Junge Neo-Andys mit Kopiergelüsten aber sind vorgewarnt.
Das Reich des Illegalen
Gleichzeitig wird der Begriff dessen, was eine illegale Kopie ist, auf Betreiben der Medienindustrie immer weiter ausgedehnt, beispielsweise durch die Verlängerung von Schutzfristen und Verbote auf das Umgehen von Kopierschutzmaßnahmen. Ist die Marschrichtung einmal vorgegeben, schränken Gerichtsurteile die Möglichkeiten noch weiter ein. Ende Jänner urteilte ein britisches Gericht, dass nicht nur eine direkte Kopie, sondern bereits die Wahl eines ähnlichen Motivs - hier ein roter Londoner Doppeldeckerbus vor Schwarz-Weiß-Stadtkulisse - Schutzrechte verletzen kann.
Pop von unten, wie ihn Warhol am Anfang betrieben hat, entsteht in einer Grauzone, in der es zuweilen hässlich zugeht. Dort aber entstehen die irren Ideen, die dann von Konzernen gekärchert, geschrubbt und aufpoliert der Kundschaft zum Konsum vorgesetzt werden. Von Warhols zugespitzten Konzepten lebt die Industrie noch heute. Der Pop von oben kann ohne den Pop von unten nicht existieren.
Die Unterbrechung des Kreislaufs
Die Factory von heute ist das Internet. Und hier gerät die Popindustrie in ein gefährliches Dilemma. Sie muss ihre Waren vor Missbrauch schützen, kann aber dabei schnell zu Mitteln greifen, die ihren eigenen Bestand gefährden: Einführung automatisierter Inhaltekontrolle, drakonische Gesetze und entfesselte Anwaltstruppen.
Diese Maßnahmen legen nämlich schnell auch jenen Sumpf trocken, in dem die Mutationen entstehen, die der Pop von oben für seine eigene Erneuerung braucht. Ist der Bestandsschutz wichtiger als die Bewirtschaftung der Grauzone, wird der Warhol-Kreislauf unterbrochen. Und so kann es kommen, dass sich der industrielle Pop nicht lange nach seinem Großmeister in seine letzte Ruhestätte legen wird.
Günter Hack, ORF.at
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