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Wann kommen die Mörder zurück?

Bence Fliegauf arbeitet in seinem eindringlichen, düsteren Berlinale-Wettbewerbsbeitrag “Csak a Szel“ (“Just the Wind“) das Thema der Morde an mehreren Roma-Familien in Ungarn in den Jahren 2008 und 2009 auf und beschwört die Atmosphäre permanenter Bedrohung in einer Roma-Siedlung herauf.

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Die ungarische Regierung nahm “Csak a Szel“ durchaus ernst - allerdings auf ungewöhnliche Weise. Sie ließ vor der Pressekonferenz zum Film an alle Journalisten ein Handout verteilen. Auf dem Papier mit dem Briefkopf “Ministerium für öffentliche Verwaltung und Justiz - Staatssekretariat für Integration“ wurde von offizieller Seite noch einmal betont, dass Fliegaufs Film die Gewalttaten gegen Roma in Ungarn in den Jahren 2008 und 2009 nicht so darstelle, wie sie sich wirklich abgespielt hätten.

Ausschnitt aus “Csak a Szel“

Berlinale

Bence Fliegaufs Film zeigt eindringlich die ständige Bedrohung, der Roma in Ungarn ausgesetzt sind

In Wirklichkeit nämlich habe man vier Verdächtige festgenommen, nachdem FBI-Ermittler der ungarischen Polizei zu Hilfe gekommen seien. Weiters ist davon die Rede, dass die Regierung “Just the Wind“ mit 18 Millionen Forint (etwa 61.000 €) gefördert habe, was “die äußerste Wichtigkeit", die das Thema für Ungarn habe, unterstreiche.

„Offizieller Bullshit“

Eine PR-Kampagne der Regierung, um ihr im Ausland angeschlagenes Image aufzupolieren, oder der Beleg dafür, dass sie die Diskriminierung der Roma und die Aufklärung der Morde wirklich ernst nimmt? Während der Pressekonferenz wurde diese Frage nicht geklärt, weil weder Fliegauf noch die Produzenten das Papier bekommen hatten.

Der Pressekonferenz-Moderator sah es nicht als notwendig an, ihnen dann die Zeit zu lassen, sich kurz damit zu befassen. Erst nach Ende der Konferenz sagte Fliegauf gegenüber ORF.at, es handle sich bei dem Papier um “offiziellen Bullshit“. Hat ihn die Regierung denn wirklich unterstützt? Das Geld habe er jedenfalls bekommen, so Fliegauf, der unterstrich, dass Ungarn durchaus effiziente Programme zur Förderung der Roma-Integration in die Tat umgesetzt habe.

Unverhohlene Drohungen

Dennoch: Die Diskriminierung sei Alltag, so erkundigten sich Roma in der Regel erst telefonisch nach einem ausgeschriebenen Job. Stellten sie sich nämlich gleich irgendwo vor, bekämen sie ihn oft gar nicht. Eine leidvolle Erfahrung, die auch die Hauptdarstellerin des Films, Katalin Toldi, schon gemacht hat, wie sie sagt. Fliegauf drehte mit Laienschauspielern.

Toldi spielt die Mutter einer vierköpfigen Familie in einer abgelegenen Roma-Siedlung am Waldrand. Sie, ihr kranker Vater und die schulpflichtigen Kinder sind gezeichnet von der Atmosphäre der Angst, Apathie und Resignation, die über den armseligen Behausungen der Roma-Familien liegt. Es herrscht Pogromstimmung um sie herum, die rassistischen Schmähungen, denen die Kinder und die Mutter in der Schule ausgesetzt sind, werden ihnen direkt ins Gesicht gesagt. Gerade ist wieder eine Familie mit Kindern ermordet worden, wann werden die Täter wieder kommen? Zwei Polizisten führen hilflos Ermittlungen durch. „Es traf die falsche Familie, das waren doch gar keine Parasiten, sondern hart arbeitende Roma“, sagt der eine.

Kein Zusammenhalt unter den Roma

Die äußerst bewegliche Kamera ist den Figuren immer dicht auf den Fersen: der Mutter, die in einem staatlichen Arbeitseinsatz Müll aufsammelt. Dem Sohn, der sich bereits im Wald eine Erdhöhle eingerichtet hat, wohin er fliehen kann, wenn es ernst wird. Der Tochter, die verschämt mit ihrem Vater in Kanada telefoniert, der wieder einmal verspricht, dass er sie alle nachholen wird. Doch in diesem düsteren und ausweglosen Film gibt es auch unter den Roma keinen Zusammenhalt.

Ein Schuldeneintreiber aus der Siedlung bedroht die Familie. Gerüchte kursieren, dass eine andere Roma-Familie an den Morden beteiligt war. Endzeitstimmung: Als die Tochter der Vergewaltigung einer Mitschülerin durch zwei Buben in der Schule beiwohnen muss, geht sie einfach weg. Ein Lehrer geht vorbei, doch sie bleibt stumm.

Fliegauf hat mit “Just the Wind“ nicht nur einen Film über Roma gedreht, er hat mit ihnen gedreht. Atmosphärisch ungeheuer dicht und verfremdet durch den extrem reduzierten Soundtrack, der mit ein paar hingetupften Hackbrett-Tönen auskommt, entfaltet er einen geradezu halluzinativen Sog. Es ist nur der Wind, sagt die Mutter gegen Abend zu ihren Kindern, die vor Angst nicht einschlafen können. Doch es gibt offenbar keinen Grund, ihren Beteuerungen zu glauben.

Alexander Musik, ORF.at

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