Jeder antwortet jedem
Volle Mailboxen, wütende Abgeordnete und eine verzweifelte Bundestagsverwaltung: Am Mittwoch hat eine einzige E-Mail im deutschen Parlamentsbetrieb stundenlang für Wirbel gesorgt. In der Früh war vom Bundestag eine Infomail an alle Büros gegangen, dass die neue Ausgabe des „Kürschner“-Handbuchs - ein Nachschlagewerk für Abgeordnete - vorliegt.
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Eine Mitarbeiterin der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (Grüne) namens Babette Schulz bat dann eine Kollegin, ihr ein Exemplar mitzubringen. Jedoch verschickte sie die Mail in Kopie („CC“) aus Versehen an alle Adressaten im Bundestagsverzeichnis - vom Minister bis zum Portier, also insgesamt rund 4.000 Menschen.
Grüße an Mutti und Wetterberichte
Einige Zeit passierte nichts, doch dann antwortete ein Mitarbeiter eines SPD-Abgeordneten wieder an alle: Er schickte einen Link zu ironischen Regeln für E-Mail-Versender. Punkt 20 lautet: „Versenden Sie Mails an alle“. Dann brach das Chaos aus.
Hunderte fühlten sich angesprochen und antworteten - wieder im Riesenverteiler. Der Schneeballeffekt war nicht mehr aufzuhalten, der Bundestag elektronisch außer Rand und Band. Immer mehr Nonsens wurde versendet („Ich grüße meine Mutti“), andere antworteten mit Wetterberichten: „In Hannover-Linden sind drei Grad, es ist trocken und leicht bewölkt.“
Facebook und Twitter mittendrin
Es gab auch wütende Reaktionen: „Ja seid Ihr denn alle ein bisschen bluna!“ Das Büro von Frank Steffel (CDU) kam auf die Idee, die E-Mail-Schlacht für eine Verlosung zu nutzen. Zwei Karten für ein Handballspiel der Berliner Füchse wurden angeboten, berichtete Bild.de. Steffel ist Präsident des Bundesliga-Clubs.
Auf Facebook wurde eine erste Fangruppe eingerichtet - Titel: „Babette war’s“. Später verschwand der Eintrag wieder, schreibt Heute.de. Ein Grünen-Mitarbeiter twitterte: „Mein erstes Kind soll Babette heißen“. Auf Twitter kam die Mailpanne unter dem Stichwort „#kürschnergate“ in kürzester Zeit auf Platz eins der wichtigsten Themen, der „Trending Topics“.
„Es ist halt passiert“
Im Laufe des Tages wurde es der Bundestagsverwaltung zu viel, nachdem offenbar auch die Website des Bundestags zwischenzeitlich nicht erreichbar war. Sie warnte vor einem Missbrauch des E-Mail-Verteilers: „Aufgrund des derzeitigen Missbrauchs des E-Mailsystems können Zustellverzögerungen von bis zu 30 Minuten auftreten.“
„Es ist halt passiert“, sagte Schulz, Wahlkreismitarbeiterin Kotting-Uhls aus Karlsruhe, noch leicht geknickt der Nachrichtenagentur dpa. Eigentlich wollte sie nur Kollegen in der Fraktion bitten, ihr den „Kürschner“ mitzubringen, und löste damit das Schlamassel aus. Nach dem ersten Schrecken habe sie noch auf E-Mails dazu geantwortet. „Als dann die Mail-Lawine ihre skurrile Eigendynamik entwickelte, wurde mir das etwas unheimlich - bis die überwiegend netten, humorvollen Mails auch mich sehr zum Lachen brachten.“ Viele hätten ihr auch parteiübergreifend Verständnis bekundet - es habe sogar den Vorschlag gegeben, sie zur Mitarbeiterin des Monats zu wählen.
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