Apfelaroma statt Apfel
Die ewig gleichen Appelle an Lebensmittelproduzenten und Konsumenten gleichermaßen hat der deutsche Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) offenbar satt: Untermauert durch neue Studienergebnisse forderten die Konsumentenschützer im Jänner „wirkungsvolle Sanktionen“ gegen die Rosstäuscherei bei „Kinderlebensmitteln“.
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Bisherige Selbstverpflichtungen der Branche reichten nicht aus, verwies der vzbv auf eine - wirkungslos gebliebene - selbst auferlegte Werbebeschränkung der deutschen Lebensmittelbranche aus dem Jahr 2009. Spezielle Lebensmittel für Kinder seien allen Werbeversprechen zum Trotz lediglich „überflüssig und teuer“. Alle Lebensmittel müssten für Kinder unschädlich sein, stellte der vzbv klar. Das Gegenteil sei jedoch oft der Fall.
Immer mehr Werbung für immer Ungesünderes
Gerade die seit drei Jahren theoretisch gültige Branchenselbstbeschränkung zeigt für den vzbv, wie nötig gesetzliche Regeln sind. Eine Studie der Universität Hamburg zeigte, dass seit der Einführung der Selbstverpflichtung mehr TV-Werbespots für „Kinderlebensmittel“ liefen als davor. Der Anteil stieg demnach innerhalb von drei Jahren von 14,5 Prozent auf 18,5 Prozent an. Und gerade die ungesündesten Produkte werden am meisten beworben.
Der Anteil der Werbespots für Produkte mit ungünstigen Nährwertprofilen - also etwa mit viel Zucker oder viel Fett - stieg laut der Untersuchung von 88,2 Prozent auf 98,2 Prozent. In anderen Worten: Wenn im TV Lebensmittel als „kindergerecht“ verkauft werden, kann man fast mit Sicherheit davon ausgehen, dass sie ungesund sind. Überhaupt stellt der vzbv klar: Ab dem Alter von einem Jahr könnten Kinder am Familientisch essen und bräuchten keine „Extrawurst“.
40 Prozent glauben Branche kritiklos
Wie wichtig Werbebeschränkungen wären, zeigt eine aktuelle Umfrage, die vom vzbv in Auftrag gegeben wurde: Demnach glauben 40 Prozent der Verbraucher, dass als „Kinderlebensmittel“ beworbene Produkte bei Fett-, Zucker- und Salzgehalt an deren Bedürfnisse angepasst seien. „Eltern und Kinder werden von Anfang an entmündigt und auf Fertigprodukte geeicht“, kritisierte vzbv-Vorstand Gerd Billen. Neben dem TV werde dabei auch das Internet immer wichtiger.
Kinder sollten den Geschmack von Obst nicht durch Aromen, sondern echtes Obst kennenlernen, ärgert sich der Verbraucherschützer. Als neue Zielgruppe seien zudem nun bereits Kleinkinder entdeckt worden, für die zusehends eigene Lebensmittel entwickelt würden. Die Gewöhnung an künstliche Geschmacksrichtungen beginne schon mit Getreidebrei, der für Kinder ab sechs oder acht Monaten etwa in den Sorten Keks oder Stracciatella angeboten werde.
Kinder als ideale „Opfer“ der Werber
Kinder gelten als attraktive Zielgruppe für den Handel. Laut der „Kids-Verbraucheranalyse“ hatten Sechs- bis 13-Jährige zuletzt 24,80 Euro Taschengeld im Monat. Zudem beeinflussen sie in vielen Bereichen die Kaufentscheidungen ihrer Eltern. Darüber hinaus sind Kinder die idealen „Opfer“ der Werber: Sie lernten schnell, gingen unerfahrener und unkritischer mit Botschaften um und könnten bis zum Alter von fünf Jahren gar nicht zwischen Werbung und anderen Inhalten unterscheiden, so die Verbraucherschützer.
Den oft wiederholten Einwand der Lebensmittelbranche, dass gesetzliche Beschränkungen nicht machbar oder praktikabel wären, lässt der vzbv nicht gelten: Die Regeln für Babynahrung würden das Gegenteil zeigen. Diese seien den Normen für diätische Lebensmittel unterworfen. Daher müssen sie beispielsweise auf Farb- und Konservierungsstoffe verzichten und dürfen nur wenig Salz enthalten.
„Süßigkeit Teil ausgewogener Ernährung“?
Die Antwort der Branche fiel nur wenig überzeugend aus. Auf die einzelnen Argumente des vzbv ging der deutsche Branchendachverband BLL dabei nicht ein. Stattdessen wurde beteuert, die Unternehmen würden ihre Verantwortung für sichere und hochwertige Produkte insbesondere für Kinder ernst nehmen. „Eine Süßigkeit hat natürlich immer mehr Kalorien als ein Apfel, aber Süßigkeiten können sehr wohl Teil einer abwechslungsreichen und ausgewogenen Ernährung sein“, meinte der Verband außerdem.
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