Premiere für WEF-Kritiker
Krawalle am Rande des Weltwirtschaftsforums (WEF) im Schweizer Davos schließt auch in diesem Jahr niemand aus. Doch die Bereitschaft zur Gewalt scheint gesunken zu sein - vielleicht auch, weil Davos Kritik eher tolerieren will.
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Fünf Kantonspolizisten: Mehr wurden Anfang der 1980er Jahre nicht gebraucht, um in Davos das „Treffen der Mächtigen“ zu schützen. Heute sind Hunderte von Sicherheitskräften für das WEF im Einsatz, das am Mittwoch von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eröffnet wird. Die Kosten für Schutzmaßnahmen werden auf rund sieben Millionen Euro geschätzt. Die Vorkehrungen reichen bis zur Alarmbereitschaft der Schweizer Luftwaffe mit mehreren F/A-18-Kampfjets. Doch die Veranstalter und die betroffenen Gemeinden im Alpenkanton Graubünden wollen das Image der „Festung Davos“ loswerden.
Zum ersten Mal sollen deshalb in diesem Jahr beim großen Globalisierungspalaver von Regierungschefs, Konzernmanagern und Showbiz-Promis auch Kritiker wie die „Occupy“-Bewegung mitmischen - zwar nicht beim Tete-a-tete der Einflussreichen in den Wandelgängen des Kongresszentrums, doch immerhin in Sichtweite der an- und abreisenden Teilnehmer: Auf dem Parkplatz der Parsenn-Seilbahn unweit des Bahnhofs Davos Dorf dürfen „Occupy“-Aktivisten ein Iglu-Dorf betreiben.
„Reine Heuchelei“
Nicht nur fernab und im Internet, auch im „Camp Igloo“ mit seinen bisher fünf Schneehütten, zwei Jurten und einer Feldküche können sie kritisieren, dass Davos „reine Heuchelei“ sei. „Die Manager, PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen, die am WEF teilnehmen, haben wirklich die Dreistheit zu behaupten, sie lösen die Probleme unserer Welt“, liest man auf der Camp-Website. „Doch dabei sind sie Motor der Probleme. Dagegen protestieren wir.“
Den prominenten Platz für das Camp verdanken die WEF-Kritiker vor allem dem Davoser Gemeindevorsteher Hanspeter Michel. Wohl auch um dauerhafte Imageschäden für die Kur- und Wintersportregion zu vermeiden, hatte sich Michel nach dem Motto „Weniger Konfrontation“ als Vermittler zwischen dem WEF und jenen seiner Gegner angeboten, die sich zu rein friedlichen Protesten bekennen.
170 Festnahmen in Bern
Szenen der Gewalt mit Steinwürfen und Abschießen von Feuerwerkskörpern gegen Polizisten könnten zwar auch in diesem Jahr in Schweizer Städten nicht ausbleiben, wie am Wochenende Zusammenstöße in der Bundeshauptstadt Bern mit mehr als 170 Festnahmen ahnen ließen. Doch wegen des Risikos, mit randalierenden Polithooligans in einen Topf geworfen zu werden, ist bei vielen Davos-Kritikern die Bereitschaft zu Großdemonstrationen gesunken.

AP/Peter Klaunzer
Polizeieinsatz in Bern
„Viele Leute waren der Ansicht, dass das dem Anliegen eher schadet“, sagt Remy Gyger vom globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC der Schweizer Nachrichtenagentur sda. „Unser Ansatz ist heute pragmatischer. Wir analysieren die ökonomische Situation und leiten daraus konkrete Forderungen ab.“ Ob Kritik an Davos-Debatten über einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz dadurch nun weniger oder gar stärker wahrgenommen wird, bleibt abzuwarten.
40 Staatschefs, 1.600 Topmanager
WEF-Gründer Klaus Schwab erwartet für das Forum die Rekordzahl von 2.600 Teilnehmern - unter ihnen 40 Staats- und Regierungschefs und mehr als 1.600 Topmanager. Genügend Anlässe nachzudenken bietet ihnen auch eine Reihe kritischer Veranstaltungen am Rande: vom „Occupy“-Camp über die bereits etablierte Davoser Plattform Open Forum bis hin zu den „Public Eye Awards“, der jährlichen Vergabe der Negativpreise für verantwortungsloses Verhalten von Unternehmen.
Thomas Burmeister, dpa
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