Argentinien zehn Jahre danach
Zehn Jahre nach der Staatspleite in Argentinien wächst die Wirtschaft im südamerikanischen Land in chinesischem Maßstab. Die Bindung des Peso zum Dollar wurde in der Krise aufgehoben. Einige Jahre später wurde eine Umschuldung mit starken Abstrichen ausgehandelt.
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Vor rund zehn Jahren erlebte Argentinien seine schwerste Wirtschaftskrise. Die Staatspleite Ende 2001 hatte auch politische und soziale Folgen mit vernichtenden Auswirkungen auf die Stabilität des Landes. Und doch begann nur wenige Jahre später ein ununterbrochener Wachstumszyklus, der weiter anhält. Bereits 2005 wurden die Werte des Bruttoinlandprodukts von vor der Krise übertroffen. Das demokratische System hat sich gehalten, und Arbeitslosigkeit und Armut sind stark gesunken.
Kaufkraft abgestürzt, Arbeitslosigkeit explodiert
Argentinien hatte nach einer traumatischen Hyperinflation seit 1991 seine Währung eins zu eins an den Dollar gebunden. Die stabile Parität unter dem Präsidenten Carlos Menem brachte aber nicht das gewünschte Gleichgewicht aller anderen Wirtschaftsindikatoren.
Bald machte sich eine lokale Dollar-Inflation bemerkbar, die die Kaufkraft bis Ende der 90er Jahre um rund 20 Prozent minderte. Die Arbeitslosigkeit verdreifachte sich gleichzeitig auf 18 Prozent. Die wachsende Armut konnte nicht gemildert werden, weil der Staat kaum noch Jobs zu vergeben hatte.
Hoffnungsträger als Sündenbock
Unter diesen Bedingungen gewann der Zentrumspolitiker Fernando de la Rua 1999 die Wahlen als Kandidat einer Mitte-links-Koalition. Er galt als Hoffnungsträger und wurde zum Sündenbock der Krise. Unter dem starken Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF), die ansteigenden Staatsschulden trotz sinkender Einkommen zu begleichen, versuchte die Regierung wiederholt, Ausgaben zu senken und Steuern zu erhöhen. Die Maßnahmen stießen immer wieder auf den Widerstand der Gewerkschaften und neuer Protestbewegungen wie der „Piqueteros“, der Arbeitslosengruppen, die in Straßenblockaden ihre Forderungen zum Ausdruck brachten.
Wahl 2001 großteils boykottiert
Die Parlamentswahlen im Oktober 2001 zeichneten ein kritisches Panorama. Über 40 Prozent der Wähler enthielten sich oder gaben ungültige Stimmen ab. Die bereits zersplitterte Regierungskoalition wurde nur von zwölf Prozent der Wählerschaft unterstützt.
Im Vorspiel der Katastrophe spitzte eine starke Kapitalflucht die Situation zu. Die Verweigerung eines neuen IWF-Kredits, weil die Regierung nicht das angestrebte Nulldefizit erreicht hatte, gab den Anstoß zum Endspiel. Wirtschaftsminister Domingo Cavallo ließ alle Bankkonten sperren, Privatpersonen durften nur 250 Pesos (gleich Dollar) pro Woche abheben.
„Que se vayan todos“
Die Bevölkerung ging massiv auf die Straßen. Supermärkte wurden geplündert, Fenster von Banken eingeschlagen. Die Spannung steigerte sich. Der meistskandierte Spruch hieß, in radikaler Ablehnung des gesamten politischen Establishments: „Que se vayan todos“ (Alle sollen gehen).
Die Regierung rief den Notstand aus, erreichte aber damit nur, dass noch mehr Demonstranten an den Protesten teilnahmen. Um die 40 Menschen kamen dabei ums Leben. Am 20. Dezember entschloss sich dann einen Tag nach seinem Wirtschaftsminister auch der isolierte Präsident De la Rua, das Boot zu verlassen. Mit einem Hubschrauber flüchtete er von der Terrasse des Regierungsgebäudes aus, nachdem er seinen Rücktritt unterzeichnet hatte.
Staatsbankrott ausgerufen
Mehrere Interimspräsidenten lösten sich in rascher Folge im Amt ab. Einer von ihnen, Adolfo Rodriguez Saa, erklärte mit gewissem Stolz am 23. Dezember den Staatsbankrott: die fällige Auslandsschuld könne nicht weiter beglichen werden. Zwei Wochen und zwei Präsidenten später wurde der Peso zum Dollar um 40 Prozent abgewertet und nachher langsam bis auf einen Wechselkurs von vier zu eins weiter abgewertet.
Im Gegensatz zu Griechenland heute hatte Argentinien keinerlei internationale Bindungen, die der autonomen Währungspolitik Grenzen setzte. Trotz der langen Inkubationszeit verlief die Krise an sich dann dramatisch rasch.
9,6 Prozent Wirtschaftswachstum
Der für 2003 bis 2007 gewählte Präsident Nestor Kirchner leitete die Umschuldung ein, die von über 90 Prozent der privaten Gläubiger akzeptiert wurde. Noch fällig ist die Staatsschuld gegenüber dem Pariser Club, also den staatlichen Gläubigern. Trotz einiger Gesten scheint die Regierung der Staatschefin Cristina Fernandez de Kirchner keine Eile zu haben, diesen letzten Brocken aufzulösen.
Die Isolierung Argentiniens von den internationalen Finanzmärkten hat dem Land einige Infrastrukturinvestitionen erschwert. Aber gleichzeitig freuen sich die Regierungsvertreter, nicht in die aktuelle Krise verwickelt zu sein. Argentiniens Wachstum wurde in den letzten acht Jahren durch den starken Export an China und Brasilien getragen. Der hohe Soja-Preis hat auch dazu beigetragen, dass chinesische Wachstumsquoten - zuletzt 9,6 Prozent - erreicht wurden.
Erneuter Handlungsbedarf
Für die nächsten zwei Jahre wird mit einem verlangsamten Wachstum von um vier Prozent gerechnet. Bei der starken Inflation von über 20 Prozent im Jahr, einem wieder überbewerteten Peso und schwindenden Überschüssen in den Staatskonten, bleibt jedoch die Frage offen, wie die Regierung den Konsum im Binnenmarkt bremsen wird, der die Importe ankurbelt.
Erste Maßnahmen in dieser Richtung sind die jüngst angekündigten Kürzungen der staatlichen Subventionen der Strom-, Gas- und Wasserversorgung sowie der öffentlichen Transportmittel, die nach der Krise eingesetzt wurden, um die Auswirkung der Abwertung von 2002 auf die Gehälter zu dämpfen.
Einige soziale Spannungen machen sich bereits bemerkbar. Der Gewerkschaftsboss Hugo Moyano, bis vor kurzem ein enger Verbündeter der Regierung, hat gewarnt, die Arbeiterbewegung werde ihre Rechte verteidigen. Aber mit vier Prozent Wachstum in den nächsten Jahren bleibt Argentinien ein Spielraum, um den es in der heutigen Welt von vielen beneidet werden kann.
Juan Garff, dpa
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