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„Wichtiger Schritt“

Der deutsche Bundespräsident Christian Wulff konnte mit seinem Interview zu seiner Kredit- und Medienaffäre die Vorwürfe nicht ausräumen. Davon zeigten sich nach der Stellungnahme von Mittwochabend die deutschen Oppositionsparteien überzeugt.

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„Es bleiben Fragen offen, die aufgeklärt werden müssen“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Hubertus Heil, am Mittwoch nach dem Interview von ARD und ZDF mit dem deutschen Staatsoberhaupt. „Der Bundespräsident hat ein gestörtes Verhältnis zur Presse, zur Wahrheit und zum Geld“, erklärte die Vorsitzende der Linkspartei, Gesine Lötzsch. Für die Grünen warf Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke Wulff vor, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe offensichtlich im Kern nicht verstanden zu haben.

Lob nur von Koalitionsparteien

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe stellte sich dagegen vor Wulff. Es sei richtig gewesen, sich den kritischen Fragen zu stellen. „Ich bin sicher, dass Christian Wulff damit erfolgreich Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewinnen wird.“ Kritiker sollten seine Bemühungen um Offenheit anerkennen. Auch die CSU begrüßte die Ankündigung von Wulff, trotz der gegen ihn erhobenen Vorwürfe im Amt bleiben zu wollen. Seine Partei respektiere natürlich diese Entscheidung, sagte CSU-Chef Horst Seehofer.

Positiv wertete auch die FDP den TV-Auftritt von Wulff. Es sei gut, dass Wulff zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen öffentlich Stellung genommen und Fehler eingeräumt habe. „Das war ein wichtiger Schritt“, betonte der designierte FDP-Generalsekretär Patrick Döring, der gleichzeitig auch ein Ende der Debatte über den Bundespräsidenten forderte. Auch CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt appellierte „an alle demokratischen Parteien in Deutschland, sich der Bedeutung des höchsten Amtes im Staate bewusst zu werden“.

„Taktik des Aussitzens“

Doch von einem Befreiungsschlag könne aus Sicht der Opposition keine Rede sein. Noch immer verharre Wulff „in seiner Taktik des Aussitzens und des Verharrens“, sagte Lötzsch. Er habe das Amt des Bundespräsidenten beschädigt. Heil sagte, das Amtsverständnis von Wulff sei unklar.

Geklärt werden müsse auch, ob der ehemalige Ministerpräsident mit der Annahme eines Privatkredites von der Gattin eines Unternehmers gegen das niedersächsische Ministergesetzes verstoßen habe. „Christian Wulff ist kein Opfer einer Medienkampagne, sondern hat mit Problemen zu kämpfen, für die er selbst verantwortlich ist“, sagte Heil.

„Mehr Rückgrat erwartet“

Nach Ansicht der Grünen könne auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit der Erklärung Wulffs nicht zufrieden sein, wie Bundesgeschäftsführerin Lemke betonte. „Wir erwarten, dass sie dazu Stellung nimmt.“ Von Wulff hätte Lemke zudem „mehr Rückgrat erwartet“. Sie verstehe nicht, „dass er sich in dieser Situation als Opfer widriger Umstände darzustellen versucht“, wo Lemke weiter. Gefehlt habe zudem eine Entschuldigung für sein grundsätzliches Fehlverhalten gegenüber den Medien. Auch die zentralen Fragen um die Kredite für sein Haus seien weiter unbeantwortet.

Erste Rücktrittsforderung aus CDU

Mit der ehemaligen DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld forderte bereits vor dem mit Spannung erwarteten TV-Auftritt erstmals auch eine namhafte CDU-Politikerin den Rücktritt Wulffs. „Es braucht keine neue Enthüllung, um sicher zu sein, dass Wulff gehen muss“, sagte sie dem „Handelsblatt“. Er sei nicht mehr ernst zu nehmen. Lengsfeld sprach sich für Wulffs ehemaligen Gegenkandidaten Joachim Gauck als Nachfolger aus.

„Bild“: „Wulff wollte Bericht unterbinden“

Unterdessen widerspricht die „Bild“-Zeitung der Aussage von Wulff, wonach dieser einen Bericht zu der Kreditaffäre mit seinem Anruf lediglich um einen Tag aufschieben und somit nicht verhindern wollte. „Das haben wir damals deutlich anders wahrgenommen. Es war ein Anruf, der ganz klar das Ziel hatte, diese Berichterstattung zu unterbinden“, betonte mit Nikolaus Blome der Leiter des Hauptstadtbüros der „Bild“-Zeitung im Deutschlandfunk nach Angaben des Senders.

„Öffentlich zelebrierter Kniefall“

Auch Experten werteten den TV-Auftritt von Wulff zwiespältig. Von einem „öffentlich zelebrierten Kniefall“ spricht etwa Medienforscher Bernhard Pörksen. Wulff sei es dabei gelungen, eine ernsthafte Reuebekundung abzugeben. Man könne dennoch nicht auf einen Befreiungsschlag durch ein Interview hoffen. Wulff könnte es laut Pörksen aber auch aus anderen Gründen gelingen, im Amt zu bleiben. Zum einen habe Kanzlerin Merkel angesichts der neuen Machtverhältnisse das Problem, dass sie einen möglichen Nachfolger nicht durchbringen könne. Zudem sei laut aktuellen Umfragen die Empörung bei der Bevölkerung weit geringer als bei den Medien.

Alles andere als überzeugend wertet unterdessen der Körpersprachenexperte Stefan Verra den Auftritt von Wulff. Dessen Körperhaltung und Mimik habe deutlich von Anspannung, Unwohlsein und mangelndem Glauben an sich selbst gezeugt, sagte der Dozent an der Berliner Steinbeis-Hochschule gegenüber der dpa. Wulff habe sich anscheinend „hochgradig unwohl“ gefühlt, bilanzierte Verra: „Ich vermute, dass dieser mittlerweile wochenlange Gegenwind aus der Öffentlichkeit seinen Tribut zollt.“ Wulff sei „am Limit“, sagte der Experte: „Ich interpretiere, dass der Herr Wulff zurzeit schlecht schläft.“

Deutsche über Rücktritt gespalten

Wulff muss sich seit Mitte Dezember gegen Vorwürfe wehren, beim Kauf eines Eigenheimes in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident die genauen Umstände der Kreditaufnahme verschwiegen zu haben. Eine neue Dimension erhielt das Geschäft dadurch, dass der Bundespräsident persönlich mit einem Drohanruf bei „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann versucht hat, die erste Veröffentlichung zu den Krediten zu verhindern. In dem TV-Interview räumte Wulff am Mittwoch zwar Fehler ein, einen Rücktritt lehnte er aber ab. „Ich weiß, dass ich nichts Unrechtes getan habe“, sagte Wulff.

Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass die deutsche Bevölkerung auf die Frage, ob Wulff zurücktreten soll, gespalten ist. 46 Prozent sagen, er sollte sein Amt zur Verfügung stellen. Ebenso viele sagen aber, Wulff solle bleiben. Das ergab eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag der Mediengruppe Madsack.

Ein deutsches Staatsoberhaupt muss zudem nur unter ganz bestimmten Umständen ein Amtsenthebungsverfahren fürchten. Eine Abwahl des Bundespräsidenten ist jedenfalls nicht möglich. Lediglich das deutsche Bundesverfassungsgericht könnte seine fünfjährige Amtszeit vorzeitig beenden. Für eine Präsidentenanklage bestehen laut Artikel 61 des deutschen Grundgesetzes allerdings sehr hohe Hürden. Solange der Bundespräsident im Amt ist, kann auch nicht ohne weiteres gegen ihn strafrechtlich ermittelt werden. Die Immunität kann aber vom Bundestag aufgehoben werden.

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