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Präsident will nicht zurücktreten

Der Rückhalt für Bundespräsident Christian Wulff schwindet spürbar. Nach Bekanntwerden von Drohanrufen bei Journalisten in der Kreditaffäre sprangen dem angeschlagenen Staatsoberhaupt am Dienstag weder Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch andere Mitglieder der Bundesregierung bei.

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Nach den Linken, die am Dienstag als erste Bundestagspartei offen Wulffs Rücktritt forderte, folgte nun eine CDU-Politikerin nach. Gegenüber dem „Handelsblatt“ sprach sich Vera Lengsfeld für einen Rücktritt des Bundespräsidenten aus: „Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung kann ihn nicht mehr ernst nehmen. Es braucht keine neue Enthüllung, um sicher zu sein, dass Wulff gehen muss.“ Lengsfeld schlug Joachim Gauck, den früheren Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde, als Nachfolger vor.

Auch die SPD gab ihre Zurückhaltung auf und legte Wulff nahe, sein Amt bis zur Aufklärung der Vorwürfe ruhen zu lassen. Das Präsidialamt versuchte, ungeachtet des verheerenden öffentlichen Echos auf die neuen Enthüllungen zur Tagesordnung überzugehen.

Druck auch aus Union

Aus der Unionsfraktion im Bundestag hieß es, es sei die ureigenste Sache Wulffs, selbst für Klarheit zu sorgen. Von anderer Seite war von großem Unverständnis in der Fraktion über die Vorkommnisse die Rede. CDU-Vize, Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, sagte, sie wolle Wulffs Krisenmanagement nicht kommentieren.

Namhafte Unionspolitiker forderten, Wulff müsse rasch Klarheit schaffen. Übereinstimmend erklärten CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) und Ex-Ministerpräsident Bernhard Vogel, Wulff müsse alles tun, um die belastende Diskussion zu beenden.

FDP: Neue Dimension

FDP-Vizechef Holger Zastrow sagte, er erwarte noch in dieser Woche eine Erklärung. In FDP-Kreisen wurde darauf hingewiesen, dass die Affäre nun eine andere Qualität besitze. Die neuen Vorwürfe beträfen nicht mehr den früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten, sondern den amtierenden Bundespräsidenten, hieß es.

Aus der ersten politischen Reihe sprang Wulff nur CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe bei. Wulff habe sich bei der „Bild“-Zeitung für seinen Drohanruf entschuldigt. „Das sollte nun auch von allen respektiert werden“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“.

Business as usual

Wulff ließ zunächst nicht erkennen, ob er sich noch einmal öffentlich rechtfertigen will. Eine Sprecherin erklärte, das Staatsoberhaupt werde am Mittwoch regulär seine Arbeit im Amtssitz Schloss Bellevue wieder aufnehmen. Kommenden Freitag hat Wulff demnach seinen ersten öffentlichen Termin mit dem Empfang der Sternsinger. Nach Informationen der ARD vom Mittwoch will Wulff nicht zurücktreten. Er habe sich entschieden, im Amt zu bleiben, meldete das ARD-Morgenmagazin unter Berufung auf zuverlässige Quellen in der Umgebung des Präsidenten.

Der Bundespräsident habe über die Feiertage die Zeit genutzt, um die Fragen zu seinem Privatkredit zu beantworten, sagte die Sprecherin. Es seien zwischen 400 bis 500 Anfragen eingegangen. Zu den Vorwürfen, Wulff habe eine kritische Berichterstattung persönlich verhindern wollen, nahm das Präsidialamt weiter keine Stellung.

Opposition schießt sich auf Wulff ein

SPD, Grüne und Linkspartei verschärften ihre Gangart. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, und der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Fritz Kuhn, legten Wulff nahe, sein Amt ruhen zu lassen. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, man könne sich keinen Bundespräsidenten wünschen, der „seinem Amt weder politisch noch stilistisch gewachsen“ sei.

Wulff müsse beim Staatsgerichtshof Niedersachsen die Feststellung beantragen, ob sein Verhalten als einstiger Ministerpräsident gesetzeswidrig gewesen sei, sagte Oppermann. Der Fraktionsvize der Linkspartei, Ulrich Maurer, trat für den Rücktritt ein: „Das Maß ist voll.“

Anzeige wegen Nötigung

Die „Bild“-Zeitung hatte am Montag zudem bestätigt, dass Wulff in einem Anruf bei Chefredakteur Kai Diekmann im Dezember versucht hat, einen Artikel darüber zu verhindern und mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht habe. Bei der Staatsanwaltschaft Berlin ging laut „Berliner Zeitung“ deswegen eine Anzeige wegen Nötigung ein.

Der stellvertretende Chefredakteur der „Welt“-Gruppe, Oliver Michalsky, bestätigte, dass Wulff im vergangenen Jahr wegen eines Artikels über seine Halbschwester einen Journalisten zu sich zitiert habe, wo er dem Mann mit unangenehmen Konsequenzen gedroht habe. Auch bei höchsten Verlagsstellen sei interveniert worden, berichtete die „Welt“.

Hilfe bei Sponsorensuche

In Hannover wertete die Vizevorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Frauke Heiligenstadt, einen „stern“-Bericht als Beleg dafür, dass Wulff als Ministerpräsident den Landtag 2010 belogen habe. Damals habe die Staatskanzlei erklärt, nichts mit dem Nord-Süd-Dialog zu tun gehabt zu haben.

Der „stern“ berichtete nun vorab, Wulff habe den Chef des Versicherungskonzerns Talanx, Herbert Haas, auf den privat organisierten Nord-Süd-Dialog - ein Treffen zur Werbung für Niedersachen und Baden-Württemberg - hingewiesen. Das habe das Unternehmen bestätigt. Der Konzern habe in der Folge die Veranstaltung mit 10.000 Euro gesponsert, schrieb das Magazin. Auch TUI bestätigte einen ähnlichen Vorfall.

Staatsanwalt prüft Ex-Sprecher

Ausgelöst von einem „stern“-Bericht über kostenlose Ferienaufenthalte Glaesekers auf den Anwesen Schmidts prüft die Staatsanwaltschaft in Hannover inzwischen, ob sie ein Ermittlungsverfahren gegen Wulffs Ex-Sprecher einleiten muss. Glaeseker war zuletzt Sprecher Wulffs im Präsidialamt, verlor diesen Posten aber Ende vergangenen Jahres überraschend.

Wulff steht wegen der Finanzierung seines Privathauses bei Hannover in der Kritik. Er hatte sich als niedersächsischer Ministerpräsident eine halbe Million Euro von der Frau des befreundeten Unternehmers Egon Geerkens geliehen. Später löste er den Kredit durch ein besonders zinsgünstiges Darlehen der Stuttgarter BW-Bank ab. Dieses wiederum wandelte er in einen normalen Kredit um, der aber erst ab Mitte Jänner läuft.

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