„Harte Momente“ mit Cameron
Überschattet von einem Streit mit Großbritannien haben sich die Euro-Länder und sechs weitere EU-Staaten beim Brüsseler EU-Gipfel auf einen Vertrag für strikte Haushaltsdisziplin geeinigt. Vor allem mit dem britischen Premierminister David Cameron hatte es im Laufe der Verhandlungen harte Auseinandersetzungen gegeben.
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Cameron hatte schon vor dem Gipfel klargemacht, dass ein „Yes“ aus London nur schwer zu erreichen ist. Er forderte im Gegenzug Sonderrechte für die Regulierung des britischen Finanzmarkts. Diplomaten zufolge gab es auf dem Gipfel „harte Momente“ in der Diskussion mit Cameron. Großbritannien hatte das Krisenmanagement der Euro-Länder in den vergangenen Monaten wiederholt kritisiert, der eskalierte Streit über die Vertragsänderung könnte nun zu weiteren Spannungen führen.
Text der Schlusserklärung geändert
An der Ablehnung Londons ist vorerst eine Lösung unter Einbeziehung aller 27 EU-Staaten gescheitert, mehr Haushaltsdisziplin zu verankern. Die 17 Staats- und Regierungschefs der Euro-Gruppe änderten ihre in der Nacht auf Freitag verbreitete Schlusserklärung zu Mittag. Demnach erklären Bulgarien, Dänemark, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien nicht mehr ihre Absicht, dem neuen zwischenstaatlichen Vertrag für mehr Haushaltsdisziplin beizutreten. Stattdessen heißt es dort jetzt, diese Regierungen erklärten ebenso wie Ungarn, Tschechien und Schweden, sie könnten sich dem Vertrag nach Beratungen der nationalen Parlamente anschließen. London gilt damit als isoliert.
Großbritannien im Out
Bereits bei vorherigen Gipfeln war es zu Schreiduellen gekommen. Cameron möge doch den Mund halten. Seine Tipps seien unqualifiziert, so Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy damals. Mit der diesmaligen Blockadepolitik könnte Cameron jedoch mittelfristig Großbritannien ins Out befördert haben.
Sarkozy nannte die Forderungen Camerons nach diesem Gipfel „inakzeptabel“. „Wir hätten eine Einigung der 27 vorgezogen, aber das war angesichts der Position unserer britischen Freunde nicht möglich“, so Sarkozy. Cameron hielt dagegen: „Wenn wir keine Schutzklauseln bekommen, ist es besser, draußen zu bleiben.“ „Die Innenpolitik war wieder einmal stärker als die Europapolitik“, sagte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) am Freitag in Richtung Cameron und auch des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban.
Merkel nimmt es mit Ironie
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sieht das Nein der Briten zu einem gemeinsamen Haushaltspakt in der EU gelassen. „Die Briten waren ja schon immer nicht beim Euro dabei, sie haben von Anfang an ein Opt-out aus dem Euro gehabt, und insofern sind wir mit diesem Zustand ja schon vertraut“, sagte Merkel Freitagfrüh zu Beginn des zweiten Gipfeltages. „Gestern hieß es, keine faulen Kompromisse für den Euro zu machen, und das ist uns gelungen“, sagte die Kanzlerin. „Jeder auf der Welt wird sehen, dass wir aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben, dass die Glaubwürdigkeit großgeschrieben wird.“
Cameron „glücklich, nicht den Euro zu haben“
Cameron, der unter massivem Druck seiner europaskeptischen Partei steht, rechtfertigte sich nach der nächtlichen Runde. „Es war eine harte Entscheidung, aber die richtige“, sagte Cameron in Brüssel. „Was geboten wird, ist nicht im Interesse Großbritanniens, deshalb habe ich nicht zugestimmt.“ Die Finanzwirtschaft ist für die britische Volkswirtschaft von sehr großer Bedeutung.
Zugleich betonte Cameron, dass sein Land auch in Zukunft die Gemeinschaftswährung Euro nicht einführen wolle. Ebenso habe London nicht die Absicht, dem Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen beizutreten. „Ich bin glücklich, nicht in Schengen zu sein, und glücklich, nicht den Euro zu haben.“ Zum Vorhaben der anderen Staaten für einen zwischenstaatlichen Pakt zur Rettung des Euro sagte Cameron lapidar: „Wir wünschen ihnen alles Gute.“ Der britische Premier warnte aber vor rechtlichen Problemen: „Es gibt immer Gefahren, wenn man einen Vertrag innerhalb eines Vertrages schließt.“
Hague: Nicht aus dem Club ausgeschlossen
Gleichzeitig ist man allerdings um Schadensbegrenzung bemüht und versucht, die Konsequenz der britischen Beharrungspolitik herunterzuspielen. Großbritanniens Außenminister William Hague stellte sich deshalb gegen Vorwürfe, sein Land spalte die EU und sei nun isoliert. „Das schließt uns nicht aus dem Club aus“, sagte er dem Sender BBC.
Man bleibe bei Fragen etwa der Außenpolitik, der Position gegenüber Syrien und auch in Wirtschaftsfragen führend, so Hague. Innerhalb der EU gebe es immer wieder Bereiche, in denen einige Länder zusammenarbeiteten, andere nicht. Als Beispiele nannte Hague das Schengen-Abkommen und Kooperationen bei der Verteidigungspolitik. Cameron habe genau das getan, was er versprochen habe, und dafür gesorgt, dass Großbritannien nicht noch mehr Eigenständigkeit an Brüssel verliere.
Koalitionsparnter „not amused“
Ungemach droht Cameron vonseiten des pro-europäischen Koalitionspartners, der Liberaldemokraten. Deren Vorsitzender Nick Clegg zeigte sich enttäuscht über die Tatsache, dass keine EU-weit einheitliche Lösung für mehr Haushaltsdisziplin gefunden werden konnte. Die Forderungen Camerons nach Schutzklauseln für Großbritannien seien jedoch „bescheiden und vernünftig“ gewesen.
Cameron erhielt nach der Blockade einer EU-weiten Lösung für die Haushaltsprobleme auch weitere Unterstützung aus seiner Heimat. Camerons Entscheidung sei „sehr bedeutend“ und solle der Start für eine stärkere Loslösung Londons von Brüssel sein, sagte der konservative Abgeordnete und Cameron-Parteikollege Mark Reckless am Freitag der BBC. Cameron habe versprochen, die Interessen des Finanzsektors in der City of London zu schützen, und sich daran gehalten. „Das gibt uns eine neue Möglichkeit, eine neue Beziehung mit der Europäischen Union auszuhandeln, die in unserem Interesse ist.“
Der frühere Chef der sozialdemokratischen Labour-Partei, David Miliband, kritisierte Camerons Entscheidung. Im Internetdienst Twitter schrieb er: „Das Vereinigte Königreich ist mit Ungarn in ein Ruderboot neben dem 25-Nationen-Supertanker gesprungen. Das ist Schwäche, nicht Stärke.“ Die Europa-kritische UK Independence Party sieht nun den richtigen Moment, mehr Unabhängigkeit von der EU durchzusetzen. „Jetzt ist der Zeitpunkt, unsere Position als Mitglied der EU neu festzulegen und uns zurückzuziehen“, sagte die UKIP-Europaabgeordnete Marta Andreasen.
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