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„Acht-Finger-Eddie“ und die Geschichte von Goa

Seine große Zeit war lange schon vorbei. Vergangenes Jahr ist „Acht-Finger-Eddie“, Urgestein der Hippie-Szene von Goa, im Alter von 85 Jahren in einem Dorf am Strand gestorben. Die Region an der indischen Westküste, die unter anderen durch ihn zum Mekka für Tramper und Kiffer wurde, hat sich von ihm und seinesgleichen längst abgewandt.

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Das einstige Paradies der Freaks ist heute gehobenes Reiseziel und Partylocation; Urlauber bevölkern die schicken Hotels und chillen am Strand. Mit dem Reiseverkehr kam der Wohlstand. Goa ist heute nach Pro-Kopf-Einkommen einer der reichsten indischen Unionsstaaten und der Strand von Anjuna ein touristischer Brennpunkt.

Eine ganz andere Szene als damals, als Eddie und seine Kumpels „Junky Robert“, „Hollywood Peter“ und „Trumpet Steve“ dort aufschlugen. Das war 1965 - das Jahr, in dem ein Kosmonaut den ersten Weltraumspaziergang unternahm, die USA Kampftruppen nach Vietnam schickten und Bob Dylan zur E-Gitarre griff. Anjuna war bloß ein winziges Nest mit ein paar Häuschen und Teebuden am unberührten Sandstrand. Schon der Anblick der zottelmähnigen, spärlich bekleideten Hippies mit ihren Haschpfeifchen war für die Einwohner ein Schock.

„König der Hippies“

„Die liebten diesen Ort. Und wir verliebten uns in sie, wegen ihrer Art zu leben“, erinnert sich der einheimische Autor Dominic Fernandes. Wie und warum Eddie als Mittdreißiger nach Indien geriet, weiß keiner so genau. Eigentlich hieß er Yertward Mazmanian, kam 1924 in Amerika zur Welt und hatte an einer Hand nur drei Finger. Daher wurde er in Anjuna „Acht-Finger-Eddie“ gerufen; sein anderer Spitzname lautete „König der Hippies“. Vor Anjuna hatte er ein paar Jahre in dem Küstenort Colva gelebt, wie er 2008 in einem Video-Interview zwecks Erforschung der Hippie-Bewegung in Indien erzählte.

„Ein paar Leute ließen mich bei sich wohnen. Ich habe Essen gemacht, und ich konnte essen. Damals musste man keine Miete zahlen, wenn man nicht von selbst etwas beisteuern wollte. Manchmal waren die Leute skeptisch, aber dann kapierten sie, dass du nichts wolltest“, erinnerte sich Eddie. „Dann erzählte mir ein japanisches Mädchen von einem schönen Strand namens Anjuna, nur ein paar Häuser und niemand in der Nähe. Wir gingen alle dahin. Ich war damals 40, und die anderen Freaks waren Zwanzigjährige.“

Das Ende der Party

Fast ein halbes Jahrhundert verbrachte Eddie in Goa. Manchmal führte er eine Suppenküche, und 1975 gründete er den Flohmarkt in Anjuna, wo Hippies und andere Reisende abhängen und Sachen tauschen konnten. Anfangs „kamen nur Freaks“, berichtete Fernandes. „Die Leute haben Sachen verschenkt ... Es war wie eine Party.“ Heute blüht der Markt am Mittwoch als geschäftiger Umschlagplatz für Lebensmittel, Kleidung, Schmuck und sonstige Handelsware.

Goa selbst zieht heute eine andere Klientel an, die an New Age interessiert ist oder einfach einmal abtauchen will. Jedes Jahr kommen 2,4 Millionen Gäste, fast doppelt so viele wie Einwohner. Das Nachtleben pulsiert, die Restaurants sind gut besucht, dem Hotelsektor hat ein Bauboom 25 Fünfsternehotels und etliche Gästehäuser gehobener Klasse beschert. Goa habe viel von seinem Erfolg Eddie und Leuten wie ihm zu verdanken, die den Wirbel um die Traumstrände entfachten und die erste Touristenwelle auslösten, sagt der Reiseautor Hugh Gantzer.

Doch ebendieser Erfolg machte die Althippies für das neue Establishment überflüssig. „Sie sind nicht mehr nützlich. Goa muss sich von ihnen verabschieden, der Tourismus in Goa hat sich weiterentwickelt. Hippie- und Rucksacktourismus wird zwangsläufig mit Drogen assoziiert und macht keinen gesunden Eindruck.“

Letzte Station des Hippie-Trails

Eddie sah man zuletzt in abgetretenen Schuhen, mit einer billigen Umhängetasche. Als er am 18. Oktober 2010 im Krankenhaus von Anjuna einem Herzanfall erlag, wurde das nur in einer Todesanzeige von „Freunden und Familie in Anjuna und in aller Welt“ in einem englischsprachigen Lokalblatt öffentlich. Sie würdigten ihn als Leitstern der Traveller und als „ersten Ausländer, der sich am südlichen Anjuna Beach niederließ, der zur letzten Station des Hippie-Trails wurde“.

Auch in Sozialen Netzwerken im Internet machte die Todesnachricht die Runde. 941 Freunde zählt eine Facebook-Seite, die ein Jahr vor Eddies Tod in seinem Namen eingerichtet wurde. Ein freier Journalist aus Norwegen, Oystein Krogsrud, hatte eine Spendensammlung begonnen, als Eddie krank wurde. Es kamen mehr als 100.000 Rupien (1.624 Euro) für Medikamenten- und Beisetzungskosten zusammen. Eddie wurde nach Hindu-Ritus eingeäschert. Die Zeremonie sei via Internet an 100 Menschen in aller Welt übertragen worden, sagte Krogsrud. Eddies Asche soll am Strand von Anjuna und auf dem Flohmarkt verstreut worden sein. Der öffnet auch demnächst wieder - die Touristensaison beginnt.

Mayabhushan Nagvenkar, AP

Link:

  • Goa (Wikipedia)