„Die Erfindung des Wilden“
Lilian Thuram hat als Verteidiger der französischen Nationalmannschaft jahrelang Fußballgeschichte geschrieben - und sich schon während seiner Traumkarriere aktiv gegen Rassismus engagiert. Nun initiierte der Rekordnationalspieler im Pariser Musee du quai Branly eine Ausstellung zum Thema Kolonialgeschichte mit dem Titel „Die Erfindung des Wilden. Menschenzoos“.
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„Was mich interessiert, ist die Frage, wie man zu der Vorstellung kommen konnte, dass die schwarze Rasse das fehlende Element zwischen Mensch und Affe wäre“, sagte Thuram. Was Rassismus ist, hat er am eigenen Leib erfahren. Als er als Neunjähriger von Guadeloupe nach Paris kam, wurde ihm klar, was es heißt, ein Schwarzer zu sein und tagtäglich mit Vorurteilen und Angriffen konfrontiert zu werden.
30.000 menschliche Jahrmarktsattraktionen
In der Pariser Ausstellung wird nun gezeigt, wie jahrzehntelang Männer, Frauen und Kinder aus exotischen Ländern wie Tiere vorgeführt wurden - vor den Fürstenhöfen Europas, in Zoos und auf Jahrmärkten. Zwischen 1800 und 1940 wurden rund 30.000 menschliche Jahrmarktsattraktionen von Millionen von Neugierigen und Sensationshungrigen begafft.

Reuters/Regis Duvignau
Lilian Thuram gründete 2008 die Stiftung Fondation Lilian Thuram - Education contre le racisme
In allen großen europäischen Städten wurden „Freakshows“ mit entstellten und körperlich behinderten Menschen organisiert und Somalier, Inder und Inuit als Exoten präsentiert. Einer der ersten Organisatoren solcher „anthropologisch-zoologischer Schauen“ war der Tierhändler und Hamburger Zoobesitzer Carl Hagenbeck. Sein Konzept, mit dem er ab 1870 seine Kassen füllte, war damals ganz neu: Er stellte in seinem Zoo ganze Menschengruppen aus und zeigte, wie sie lebten - mitsamt Tieren, Behausungen und Gerätschaften.
Europatourneen der „Menschenzoos“
Weil das Konzept so erfolgreich war, tourten Aussteller wie Hagenbeck mit ihren „Menschenzoos“ durch ganz Europa. Alleine in Wien fanden zwischen 1870 und 1910 über 50 Völkerschauen statt, der Basler Zoo war Veranstaltungsort von 21 Schauen. Und bei den Pariser Weltausstellungen von 1889 war neben der Einweihung des Eiffelturms ein „Negerdorf“ mit 400 „Eingeborenen“ die Hauptattraktion.
Die Zurschaustellung des Fremden und Anderen bekam durch Mediziner, Anthropologen und Ethnologen den Anstrich des Wissenschaftlichen. Körper und Kopfformen wurden vermessen. Der wissenschaftliche Rassismus hat die Praxis der Ausschließung der Fremden verschärft, wie Thuram betonte. Und er ist überzeugt: „Wenn uns morgen Wissenschaftler kleine grüne Menschen im Freizeitpark Jardin d’acclimatation zeigen, würden wir massenweise hinströmen.“ 1890 wurde dort eine Gruppe von Somaliern ausgestellt.
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