Effizient, aber umstritten
Nackte Menschen warnen auf Plakatwänden und in Zeitungsinseraten vor dem Elektronischen Gesundheitsakt (ELGA): „ELGA stellt Sie vor den anderen bloß“, heißt es in der Kampagne der Ärztekammer. Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom vom Institut für Höhere Studien in Wien, hält den elektronischen Austausch von Gesundheitsdaten für sinnvoll, aber „auch gute Ideen können schlecht umgesetzt werden“.
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Die Grundidee des Elektronischen Gesundheitsakts (ELGA) ist es, Patientendaten wie etwa Röntgenbefunde, Medikamentenverschreibungen und Arztbriefe elektronisch abrufbar zu machen. So müssten Patienten die Befunde nicht in Papierform zum Arztbesuch mitnehmen, und Ärzte wären nicht mehr davon abhängig, ob der Patient auch tatsächlich alle nötigen Unterlagen mitgenommen hat.
Um das zu ermöglichen, sollen Apotheken, Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte mit dem ELGA-System vernetzt werden, damit sie auf die Dokumente zugreifen können. Gespeichert bleiben die Daten bei dem Labor, Arzt oder Krankenhaus, wo sie erstellt wurden. Mit dem Einstecken der E-Card würde der Patient den Arzt zum Einsehen der Gesundheitsdokumente ermächtigen.
Erleichterung für chronisch Kranke
Gerade für Menschen mit chronischen Krankheiten, die eine lebensbegleitende Therapie benötigen, habe die elektronische Verknüpfung von Patientendaten Vorteile, so Gesundheitsökonom Czypionka im ORF.at-Interview. Das ist vor allem bedeutend, da laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) chronische Erkrankungen wie Diabetes und Herzerkrankungen weltweit zunehmen.
Für Czypionka bietet ELGA das Potenzial, die Produktivität des Gesundheitssystems zu erhöhen. Wenn alle für die Behandlung relevanten Dokumente verfügbar sind, könnten nicht erforderliche Doppeluntersuchungen und unerwünschte Arzneimittelwechselwirkungen vermieden werden.
„Gesundheitsökonomisch nur Vorteile“
Auch Gesundheitsökonom Gottfried Haber von der Universität Klagenfurt sieht nur ökonomische Vorteile eines elektronischen Gesundheitsakts. Durch einen effizienteren Informationsfluss werde die medizinische Versorgung kostengünstiger und besser, so Haber. Allen Akteuren sei klar, dass in einem modernen Gesundheitssystem elektronisch jederzeit verfügbare Patientendaten sinnvoll sind, so Haber.
Der Schlagabtausch zwischen ELGA-Gegnern und ELGA-Befürwortern hat für Haber weniger einen ökonomischen als vielmehr einen ideologischen Hintergrund: „Habe ich Angst davor, dass meine Patientendaten zentral verfügbar sind oder nicht?“, so der Gesundheitsökonom.
Ärztekammer will freiwillige Teilnahme bei ELGA
In dem aktuellen Gesetzesentwurf ist eine Opt-out-Regelung vorgesehen. Das bedeutet, dass alle Patienten automatisch an ELGA teilnehmen. Wer nicht will, dass seine medizinischen Unterlagen zentral abrufbar sind, muss aktiv Widerspruch einlegen. Für Gesundheitsdiensteanbieter wie Krankenhäuser und Labore ist ELGA verpflichtend, genauso auch - mit wenigen Ausnahmen - für Ärzte.
Das sei ein Eingriff in das Grundrecht auf ärztliche Verschwiegenheit und Datenschutz, kritisiert die Ärztekammer. Auch Datenschützer Hans Zeger von der ARGE Daten sieht in der Opt-out-Lösung einen massiven Eingriff in die Privatsphäre der Patienten.
Aus ökonomischer Sicht ist die größte Effizienz gegeben, wenn alle an ELGA teilnehmen, erklärt Gesundheitsökonom Czypionka. Allerdings wäre es für das Image des Elektronischen Gesundheitsakts besser, wenn sich die Patienten freiwillig für eine Teilnahme entschieden. Auch Haber glaubt, dass sich ELGA mit einer Opt-in-Regelung durchsetzen kann. „Wenn das ELGA-System gut ist, kann man auch von einer gewissen Marktdurchdringung ausgehen“, so der Ökonom von der Universität Klagenfurt.
„Mehr Kontrolle für Patienten“
Susanne Herbek, Sprecherin der ELGA GmbH, betont die Vorteile des Elektronischen Gesundheitsakts. Erstmals würde der Patient selbst seine Daten einsehen können und bekomme auch ein Protokoll, wer wann seine Gesundheitsdokumente abgefragt hat.
Zusätzlich hat jeder die Möglichkeit, zu entscheiden, ob bestimmte Befunde einsehbar gemacht werden oder nicht. Besonders heikle Patientendaten, wie eine HIV-Infektion oder ein Schwangerschaftsabbruch sollen nur nach ausdrücklicher Zustimmung in ELGA aufgenommen werden, so Herbek.
Schon jetzt werden Gesundheitsdaten von Ärzten und Spitälern elektronisch gespeichert. „Mit ELGA hätten Patienten durch strenge Datenschutzbestimmungen erstmals die Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen, wenn gesetzliche Bestimmungen nicht eingehalten werden“, erklärt Johann Maier, Vorsitzender des Datenschutzrates.
Datenschützer befürchten Überwachung
Aus Sicht der ARGE Daten befriedigt das ELGA-System eher die Bedürfnisse von Controllern und Kostenrechnern, als die der Patienten. Die Datenschützer plädieren für ein System, in dem die Patienten mehr Kontrolle über ihre Gesundheitsunterlagen haben - beispielsweise mit gesicherten Datenträgern wie USB-Sticks oder DVDs.
Derzeit laufen noch Verhandlungen, wie genau der elektronische Austausch von Gesundheitsdaten künftig aussehen wird. In einem Punkt sind sich Datenschützer und Gesundheitsökonomen einig: Bei der Umsetzung des elektronischen Gesundheitsakts muss die bestmögliche Datensicherheit gewährleistet werden. Nur wenn Patienten dem System vertrauen können, wird der elektronische Gesundheitsakt Akzeptanz in der breiten Öffentlichkeit finden.
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