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Fairen Prozess versprochen

Der libysche Übergangsministerpräsident hat die Ergreifung und Festnahme des Gaddafi-Sohnes Saif al-Islam bestätigt. Abdul al-Rahim al-Kib sagte auf einer Pressekonferenz in der westlichen Stadt Zintan am Samstag: „Wir versichern den Libyern und der Welt, dass Saif al-Islam ein faires Verfahren bekommt.“

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Dieses werde „im Rahmen eines fairen Rechtsprozesses“ passieren. Genau das sei „unserem eigenen Volk in den letzten 40 Jahren vorenthalten“ worden, so Kib. Gleichzeitig erteilte er den Forderungen von Menschenrechtlern nach Auslieferung des Gaddafi-Sohns an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) eine Absage. Der seit Wochen flüchtige Saif und mehrere Leibwächter waren in der Nacht auf Samstag von Kämpfern in der südlichen Wüste in Libyen gefasst worden. Kib nannte die Festnahme des prominentesten Gaddafi-Sohnes die „Krönung“ des Volksaufstandes.

IStGH-Chefankläger reist nach Libyen

„Wir respektieren die internationale Rechtsprechung, aber es ist das Recht unseres Volkes, ihn hier vor Gericht zu stellen.“ Saif werde nach der Lehre des Islams über fairen Umgang mit Kriegsverbrechern behandelt. Kib sagte aber zugleich, die libysche Justiz werde gemeinsam mit dem IStGH prüfen, wo der Gesuchte am besten vor Gericht gestellt werden solle.

Der IStGH in Den Haag hatte Ende Juni einen Haftbefehl gegen Saif ausgestellt. Die Anklage wirft dem 39-Jährigen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Vor Kib hatte bereits Justizminister Mohammed Allagui eine Auslieferung des Gefangenen an den IStGH abgelehnt. Dessen Chefankläger Luis Moreno-Ocampo wirft der alten libyschen Staatsführung, inklusive Saif, Morde an Hunderten Zivilisten, Folterungen, militärische Gewalt gegen unbewaffnete Demonstranten und gezielte Massenvergewaltigungen vor.

Moreno-Ocampo wird in der kommenden Woche zu Gesprächen in Tripolis erwartet. Im Falle eines Schuldspruchs wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit könnte der Strafgerichtshof als Höchststrafe lebenslange Haft festlegen. Bei einem Verfahren in Libyen droht die Todesstrafe.

Internationale Appelle

Die USA forderten die neue libysche Führung auf, Gaddafis Sohn einen fairen Prozess zu garantieren und ihn „menschenwürdig“ zu behandeln. Das Außenamt in Washington erklärte, mit der Festnahme und dem nun bevorstehenden Prozess komme das libysche Volk „der friedlichen und demokratischen Zukunft“, die es verdiene, näher. Auch der britische Premierminister David Cameron forderte einen fairen Prozess nach internationalen Standards.

Die Europäische Union drängte die libysche Übergangsregierung dazu, für einen Prozess in voller Kooperation mit dem IStGH zu sorgen. Die NATO zeigte sich zuversichtlich, dass Libyen zusammen mit dem IStGH für ein gerechtes Verfahren sorgen kann. So könne ein neues Libyen auf den Säulen von Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte aufgebaut werden.

Das Verfahren gilt als Test für eine neue Regierung in Libyen. Die Tötung des gestürzten Muammar al-Gaddafi in den Händen der Rebellen hatte die Übergangsregierung international in Bedrängnis gebracht.

Verletzungen an den Händen

Saif habe um sein Leben gebangt, sagte einer der Männer, die ihn festnahmen. „Er dachte, dass wir ihn umbringen.“ Der 39-Jährige wurde später nach Zintan geflogen. An Bord des Flugzeugs sagte er auf die Frage einer Reuters-Journalistin, ob es im gutgehe, „Ja“. Verletzungen an einer Hand rührten von einem NATO-Luftangriff vor einem Monat, sagte er. Etwa zu dieser Zeit war sein entmachteter Vater gefasst und kurz darauf getötet worden. Saif selbst hatte noch vor einem Jahr als designierter Nachfolger seines Vaters gegolten.

Saif al-Islam nach seiner Verhaftung

Reuters/Libya Free TV via Reuters TV

Saif al-Islam nach seiner Festnahme

Die aus Zintan stammenden Kämpfer, die ihn festgenommen haben, wollen ihn vorerst in ihrer Stadt festhalten - so lange, bis er an eine Regierung übergeben werden könne. Mit der Bildung einer neuen libyschen Regierung wird in den kommenden Tagen gerechnet.

Kampflos ergeben

Mit Hupkonzerten und Freudenschüssen wurde in ganz Libyen die Nachricht von der Ergreifung von Gaddafis Sohn gefeiert. Bei dessen Ankunft in Zintan versuchten einige Menschen, das Flugzeug zu stürmen. Sie wurden aber von den Kräften der Übergangsregierung zurückgehalten. Menschenmengen umringten das Flugzeug, so dass Gaddafi vorerst noch in der Maschine blieb. Er wirkte relativ ungezwungen und trug keine Handschellen. Sein bärtiges Gesicht war weitgehend von einem Tuch verhüllt, eine randlose Brille war zu sehen.

Zur Ergreifung von Saif habe ein Hinweis auf einen hochrangigen Flüchtling geführt, sagte Ahmed Ammar, einer der 15 Kämpfer aus Zintan, die Saif festnahmen. In der Wüste rund 70 Kilometer von der kleinen Ölstadt Obari entfernt hatten sie demnach versucht, zwei Autos zu stoppen. Nach Warnschüssen in die Luft seien die Fahrzeuge stehengeblieben. Die Kämpfer hätten schnell Saif erkannt und ihn kampflos festgenommen. Saif hatte zuvor stets angekündigt, bis zu seinem Tode zu kämpfen.

Offenbar Flucht aus Libyen geplant

Saif willigte ein, nach Zintan 170 Kilometer südwestlich von Tripolis gebracht zu werden, wie Ammar weiter berichtete. Die Stadt in den Bergen südlich von Tripolis war eine Hochburg der Rebellen in ihrem Kampf gegen Gaddafi. Die Kämpfer gehen davon aus, dass sich Saif in der Wüste zwischen Obari und der Stadt Bani Walid versteckt hatte, wo er letzten Monat zuletzt gesehen worden war. Nach ihrer Einschätzung habe er vorgehabt, die Grenze zum Niger zu überqueren. In den Autos wurden Gewehre und ein paar Tausend Dollar gefunden.

Der Experte Amer al-Bayati wertete die Festnahme gegenüber der APA als „Signal der Hoffnung“, dass die Gaddafi-Ära endgültig vorbei ist und dass die Libyer die gewonnene Freiheit nun ausgestalten könnten. „Das bedeutet sehr viel.“ Offenbar sei Saif noch von Stammesangehörigen geschützt worden, die aber letztlich begriffen hätten: „Das geht nicht mehr.“ Bayati hält ein Gerichtsverfahren mit Hilfe des IStGH in Libyen für die beste Lösung. Die libysche Justiz allein habe keine Erfahrung, andererseits sollte er auch nicht dem Ausland übergeben werden. Als Problem stuft der Experte die nach wie vor in Libyen im Umlauf befindlichen „Waffen auf den Straßen“ ein.

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