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Ein schrulliger Touristenführer

Lange Zeit galten die Höhlenmalereien von Lascaux als spektakulärste Zeugnisse der Kultur von Urzeitmenschen - bis Anfang der 90er Jahre die weitverzweigte Höhle von Chauvet entdeckt wurde. Regisseur Werner Herzog begab sich auf 3-D-Entdeckungsreise.

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1994 entdeckten Forscher die Grotten in der französischen Ardeche nahe eines Flussufers. Vor 20.000 Jahren hatte ein Felssturz dazu geführt, dass die Höhle geschlossen und somit konserviert wurde. Die Entdeckung war eine Sensation - weit über die Fachwelt hinaus. 400 Bilder, die bis zu 35.000 Jahre alt waren, haben sich an den Wänden und Ausbuchtungen nahezu perfekt erhalten. Die Bilder zeigen hauptsächlich urzeitliche Tiere.

Die Höhle wird streng bewacht und ist für Normalsterbliche nicht begehbar. Nur zweimal im Jahr wird für kurze Zeit ein fixes Team an Experten eingelassen, um zu fotografieren, zu kartografieren und immer wieder neue Details zu entdecken. Nicht einmal ein Filmteam wurde bis vor Kurzem eingelassen. Durch seine Hartnäckigkeit ist es dem in Cannes preisgekrönten Regisseur (zuletzt: „Bad Lieutenant: Cop ohne Gewissen“) mit Faible für Dokumentationen gelungen, eine Drehgenehmigung zu erlangen.

Höhlenmalereien von Pferden, Löwen, Nashörnern und Mammuts

Luna Filmverleih

Tiere in Bewegung - ein kultischer Hintergrund wird vermutet

Werner Herzog

Werner Herzog, 1942 in München geboren, wuchs in einem entlegenen bayerischen Dorf auf. Als Schweißer verdiente er das Geld für sein Regiedebüt im Alter von 19 Jahren und führte seither bei über 50 Filmen Regie. Zu seinen Preisen zählen der Spezialpreis der Jury beim Filmfestival von Cannes für „Jeder für sich und Gott gegen alle“ (1974) und die Auszeichnung in Cannes für die beste Regie für „Fitzcarraldo“ (1982). Zuletzt machte er mit „Bad Lieutenant: Cop ohne Gewissen“ (2009) mit Nicolase Cage als drogensüchtigem Polizisten von sich reden.

Es musste 3-D sein

Herzog durfte die Höhle zunächst einmal kurz betreten - und wusste sofort, dass er, sonst Skeptiker der neuen Technologie, unbedingt in 3-D filmen müsste. Die Malereien sind so sehr den Wölbungen der Höhle angepasst, dass im herkömmlichen Filmformat ein zentraler Aspekt verloren ginge. Nur: 3-D in hoher Qualität unter widrigen Umständen wie jenen in einer Höhle zu drehen, ist an sich schon aufwändig.

Mit nur drei Mitarbeitern, jeweils vier Stunden an acht Tagen Zeit und lediglich der Erlaubnis, sich auf Metallstegen in der Mitte der Höhlengänge zu bewegen, hieß es, bis an die Grenzen des Möglichen zu improvisieren. Herzog und sein Team kauften international Spezialgerät ein und trugen möglichst viele Akkus für die Kamera, aber vor allem für die Beleuchtung an ihrem Körper. Wenn die Masse der Menschen schon nicht real in die Höhle darf, dann zumindest virtuell und möglichst real. Herzog entschied: Der Aufwand zahlt sich aus.

Urzeit-Zoo in Bewegung

Der 68-jährige Bayer behielt Recht - die Aufnahmen sind atemberaubend. Die Zeichnungen wurden kunstfertig mit Holzkohle und Ocker hergestellt. Sie zeigen eiszeitliche Tierarten - von Wollnashörnern und Mammuts bis Höhlenlöwen, Panthern, Uhus und Hyänen. Die Tiere sind gekonnt abstrakt, manche mit zahlreichen Schattierungen, andere nur mit Konturen, dargestellt. Oft befinden sie sich in Bewegung, was mitunter durch verdoppelte Gliedmaßen angedeutet wird wie in Comics - Herzog spricht von einem „Proto-Kino“.

Die Höhle diente vielen Tieren als Behausung, wovon Knochen, die den Boden, der mittlerweile mit einer märchenhaften, kristallinen Schicht überzogen ist, bedecken. Sogar die deutliche Spur eines acht Jahre alten Buben ist genau zu sehen. Die Höhle, heißt es, sei wohl eher zu Kultzwecken verwendet worden. Nichts deutet darauf hin, dass sich Menschen dort dauerhaft aufhielten.

Regisseur Werner Herzog am Drehort

Luna Filmverleih

Werner Herzog in der Chauvet-Höhle

Prototypen in Ekstase

Schöne Bilder zu zeigen alleine reicht freilich nicht, auch nicht für eine Urzeit-Doku. Spannungselemente sind bei Herzog neben dem 3-D-Effekt sphärische, unheimliche Musik und Gespräche mit den verschiedenen Forschern. Und die sind Unikate - als wären sie einem einhundert Jahre alten Abenteuerroman entstiegen. Mit leuchtenden Augen erzählen sie von ihren Erkenntnissen.

Verschmitzt lächelt etwa der weißhaarige Experte mit dem Schnauzer, wenn er vorführt, wie man damals die riesigen Urzeittiere gejagt hat. Ein anderer, er ist experimenteller Archäologe, tritt in Fellbekleidung auf und spielt begeistert auf einer selbst geschnitzten Flöte, wie es sie schon zur Zeit der Höhlenmalereien gegeben haben dürfte. Herzog nähert sich seinem Thema nicht nur auf wissenschaftlicher, sondern auch auf Gefühlsebene.

Keine Angst vor Populärwissenschaft

Was heißt überhaupt Kultur? Was Religion? Was beschäftigte die Menschen damals? Wie fühlte es sich an, in einer Welt mit so dominanter Natur samt riesenhaften Tieren zu leben? Herzog hat keine Scheu, sich in Spekulationen zu ergehen und die Forscher schwadronieren zu lassen. Am Ende versteigt er sich sogar zu einer Art spiritueller Science-Fiction, zeigt weiße Krokodile in einem von AKW-Kühlwasser gewärmten Biosphärenpark und fragt sich, ob in Zukunft - aufgrund der Erderwärmung - sie vielleicht die Gegend rund um die Höhle bewohnen werden.

Ein wenig erinnert der Film von seinem Erzählduktus her an Super-8-Videos von einem populärphilosophisch und esoterisch interessierten Opa und seinen lustigen Freunden, in süddeutschem Akzent präsentiert bei einer Familienfeier. Nur, dass in diesem Stil hoch wissenschaftliche Inhalte vermittelt und unsagbar spektakuläre Bilder gezeigt werden. Diese Mischung hat definitiv Charme. Herzog ist ein schrulliger Führer durch die Höhle von Chauvet - aber einer, der Geschichten zu erzählen weiß.

Simon Hadler, ORF.at

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