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Gericht zieht Grenzen für Forschung

Menschliche embryonale Stammzellen können nach einem am Dienstag gefälltem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht für die wissenschaftliche Forschung patentiert werden. Wenn für deren Gewinnung Embryonen zerstört würden, verstoße das nach Ansicht der Richter gegen den Schutz der Menschenwürde.

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Der Richterspruch wurde von Forschern mit großer Spannung erwartet, da er für bestimmte Forschungen nun aus ethischen Gründen Grenzen ziehen könnte. Die Verwendung embryonaler Stammzellen ist äußerst umstritten, weil sie aus frühen Embryonen stammen, die bei ihrer Gewinnung zerstört werden. Der einflussreiche Rechtsgutachter des EuGH hatte bereits im März dieses Jahres vorgeschlagen, dass auf diese Weise hergestellte Stammzellen nicht patentierbar sein sollten.

Seine Begründung lautet, wenn dem Patent eine Zerstörung menschlicher Embryonen vorausgehe, verstoße das gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten. Diese Ansicht wurde nun von den Luxemburger Richtern grundsätzlich geteilt - Video dazu in iptv.ORF.at.

Umstrittenes Forschungsgebiet

Die Entscheidung gilt für Patente auf embryonale Stammzellen sowie für die Verfahren zu ihrer Herstellung. Nach Ansicht des Gerichts verstößt das gegen die guten Sitten, weil es sich auch bei befruchteten Eizellen rechtlich um Embryonen und somit menschliches Leben handle. Die Richter legten damit in ihrer Begründung den Begriff „menschliches Leben“ eng bzw. jenen des menschlichen Embryos weit aus - mehr dazu in science.ORF.at.

Entscheidend für die Richter war, dass bei unbefruchteten Eizellen, in die einen Zellkern ausgereifter menschlicher Zellen eingesetzt wird, die Entwicklung eines Menschen in Gang gesetzt wird. Deswegen seien auch die neuralen Vorläuferzellen nicht patentierbar. Nach Ansicht von Wissenschaftlern bedeutet das Urteil einen schweren Rückschlag für die Stammzellenforschung in Europa. In den USA haben Pharmafirmen bereits die Erlaubnis, Medikamente auf Basis embryonaler Stammzellen bei Patienten zu testen.

Neurobiologe vs. Greenpeace

Hintergrund der Klage war ein Patentstreit zwischen der Umweltorganisation Greenpeace und dem Bonner Neurobiologen Oliver Brüstle. Dieser ist Inhaber eines 1997 angemeldeten Patents für nervliche Vorläuferzellen. Dabei ging es um ein Patent auf diese Zellen, die der Forscher zur Behandlung neurologischer Krankheiten wie Parkinson oder Multiple Sklerose einsetzen wollte, sowie die Verfahren zu ihrer Herstellung.

Nach einer Greenpeace-Klage hob das deutsche Patentgericht bereits 2006 Brüstles Stammzellenpatent wegen ethischer Bedenken auf, worauf der Forscher Berufung beim deutschen Bundesgerichtshof einlegte. Dieser setzte das Verfahren im Vorjahr aus und wandte sich an den EuGH, der zunächst die Frage nach der Auslegung des Begriffs „menschlicher Embryo“ klären sollte.

Umstrittener Forscher

Mit Stammzellen Krankheiten heilen: Das ist seit Jahren das Ziel des Bonner Wissenschaftlers Oliver Brüstle. Der 49 Jahre alte Forscher konzentriert sich dabei auf neurologische Erkrankungen wie Alzheimer oder Multiple Sklerose. Brüstle gilt als Wissenschaftler, der der teilweise hitzigen Debatte um die ethische Einordnung der Stammzellforschung nicht ausweicht.

„Was ihr macht, ist nicht moralisch“

Brüstle reagierte nun mit großer Enttäuschung auf das EuGH-Urteil und bezeichnete dieses als „ein ganz schlechtes Signal für die Wissenschaftler in Europa“. Zugleich bedeute das Urteil „auch eine Stigmatisierung dieses ganzen Forschungszweigs“. In Luxemburg sei es laut Brüstle nicht nur um ein konkretes Patent gegangen, „sondern um ein weitreichendes Signal. Was ihr macht, das ist nicht moralisch.“

Auswirkungen auf Biopatentrichtlinie

Bei dem Rechtsstreit geht es auch um die Auslegung der europäischen Biopatentrichtlinie. Sie schützt den menschlichen Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung.

Das Grundsatzurteil unterbindet nun auch mögliche Milliardengeschäfte mit Biomedizin. „Die Erteilung eines Patents für eine Erfindung schließt grundsätzlich deren industrielle und kommerzielle Verwendung ein“, schrieben die Richter in ihrer Begründung weiter. Allerdings hält der Gerichtshof eine Ausnahme des generellen Patentverbots für möglich.

Das gelte, wenn Stammzellen für eine Therapie oder Diagnose zum Nutzen des Embryos benutzt würden, zum Beispiel um Missbildungen zu beheben oder die Überlebenschancen des Embryos zu verbessern.

Ersatz durch iPS-Zellen

Embryonale Stammzellen sind noch nicht auf eine bestimmte Aufgabe festgelegt und können damit prinzipiell zu allen Zellentypen werden, weswegen diesen in der Forschung und Medizin bei der Behandlung von Krankheiten eine wichtige, aber umstrittene Rolle zugerechnet werden.

Inzwischen haben Forscher aber Verfahren entwickelt, bei denen sie Körperzellen zurückprogrammieren. Diese sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) besitzen nach derzeitigem Kenntnisstand die wichtigsten Eigenschaften embryonaler Stammzellen, lassen sich aber aus normalen Körperzellen gewinnen. Die Forscher stellen somit eine Art embryonalen Zustand wieder her. Ob solche iPS-Zellen ein vollwertiger Ersatz sein können, muss sich noch zeigen.

„Europäische Rechtsgeschichte“

Greenpeace erwartet daher, dass das Urteil auf die Stammzellforschung insgesamt nur begrenzten Einfluss haben wird: „Forscher haben in den vergangenen Jahren verschiedene Möglichkeiten gefunden, geeignete Stammzellen herzustellen, ohne menschliche Embryonen zu zerstören.“ Christoph Then von Greenpeace sagte, das Urteil schreibe „europäische Rechtsgeschichte“. Der Gerichtshof habe den Schutz menschlichen Lebens gegenüber wirtschaftlichen Interessen deutlich gestärkt.

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