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Im Labyrinth der Trauerweiden

Martin Kusej ist in München angekommen - und mit ihm ein Ensemble bekannter Gesichter. Seine erste Saison als Intendant des Münchner Residenztheaters eröffnete der Kärntner Regisseur am Donnerstag mit seiner eigenen Inszenierung von Arthur Schnitzlers „Das weite Land“, prominent besetzt mit Tobias Moretti und Juliane Köhler in den Hauptrollen.

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Seit Monaten trommelten die Feuilletons einen Theaterkampf zwischen München und Wien ein - Kusej vs. Matthias Hartmann hieß die von den beiden Regieschwergewichten stets dementierte Parole. Beim Premierenabend in München blieb die Kampfansage an das Burgtheater in Wien jedoch aus. Hartmann war extra zu Kusejs Eröffnung aus Wien angereist.

Zweimal „Das weite Land“

Dessen Stückauswahl war alles andere als eine sichere Bank für einen derart vielbeachteten Neustart: einerseits, weil Inszenierungen von Schnitzlers Werken viel Raum für ein Scheitern lassen, andererseits, weil sich Kusej damit dem direkten Vergleich mit der heurigen Burgtheater-Eröffnungspremiere - demselben Stück in der Inszenierung von Alvis Hermanis - ausgesetzt hat.

Doch tatsächlich sind die beiden Bearbeitungen kaum vergleichbar. Während Hermanis fast zu stark auf sein Film-Noir-Konzept setzte, ist Kusejs Inszenierung extrem reduziert. Gute drei Stunden dauert das Münchner „Weite Land“, das der Regisseur als sehr konventionelles Schauspieltheater zeigt.

Das weite Land im Residenztheater München

Residenztheater/Hans Jörg Michel

Kalter Felsen, kalte Menschen

Ehedrama eines Glühbirnenfabrikanten

Regen, glitzernder Steinboden, erstarrte Menschen: Mit einem beeindruckenden Tableau (zu einem leider akustisch völlig unverständlichen Prolog) beginnt Kusej das Stück über den Glühbirnenfabrikanten Friedrich Hofreiter (Tobias Moretti), seine Frau Genia (Juliane Köhler) und ihre unheilvolle Gefangenschaft in der Ehe und der Fin-de-siecle-Gesellschaft.

Hofreiter ist ein notorischer Frauenheld. Als seine Frau den Klaviervirtuosen Korsakov, der sich in sie verliebt hat, aus Treue zu ihrem Mann abweist und dieser daraufhin Selbstmord begeht, reagiert Hofreiter verstimmt. „Dass Deine Tugend einen Menschen in den Tod getrieben hat, das ist mir einfach unheimlich“, bekennt er seiner Frau - und stürzt sich sofort ins nächste Abenteuer, diesesmal mit der jungen Erna (Britta Hammelstein).

Szene aus "Das weite Land" im Residenztheater München

Residenztheater/Hans Jörg Michel

„Es gibt vielleicht wirklich nur ein schweres Wort auf der Welt, und das heißt Lüge"

Offene Gefühle in der Light-Version

„Dieses wird bleiben - ja man könnte fast sagen: Es wird erst kommen“, schrieb Schnitzler über seine Tragikomödie, die 1911 uraufgeführt wurde. Er zeichnet darin subtil und präzise eine spätbürgerliche Gesellschaft, in der ein egozentrischer Hedonismus moralische und ethische Prinzipien ersetzt. Offene Gefühle kennen die Gefangenen seines Dramas nur in der Light-Version, doch hinter der Oberflächlichkeit sitzen die Verletzungen tief - zu tief am Ende.

Das Stück ist inhaltlich aktueller denn je, was sich auch in Kusejs Inszenierung niederschlägt. Die Auflösung von Beziehungs- und Familienstrukturen, die Flucht aus der ehelichen Partnerschaft und heimliche Affären interpretiert er ebenso heutig wie die Unruhe und Rastlosigkeit der gut situierten „Freizeitgesellschaft“ in Schnitzlers Drama.

Moretti als blasser Frauenheld

Die zutiefst zynische Figur Hofreiters, eines blasierten Machtmenschen, der durch die Gier nach Leben und Frauen zum Getriebenen seines eigenen Egos wird, ist bei Moretti seltsam blass und profillos. Auch Köhlers Genia kann nicht völlig überzeugen - das Paar bringt die Kraft und die Spitzen der Schnitzler’schen Texte nur selten über die Rampe.

Das weite Land im Residenztheater München

Residenztheater/Hans Jörg Michel

„Wir versuchen wohl Ordnung in uns zu schaffen, aber diese Ordnung ist doch nur etwas Künstliches“

Viele der anderen Figuren bekommen ihre Chance nicht. Zwar ist die Strichfassung des Textes im Residenztheater (Dramaturgie: Sebastian Huber) an sich sehr klug und strafft das Stück an vielen Passagen, die für den Leser zwar spannend, in der Inszenierung aber kaum zu transportieren sind. Doch gleichzeitig fällt damit Unterfutter für die Rollen rund um die Hofreiters weg. So wird der Freund des Hauses, Doktor Mauer (Markus Hering), zu einer Nebenrolle und die des Bankiers Natter (Gerhard Peilstein) gänzlich uninteressant.

Unheimliches am Grunde der Seele

Schnitzlers titelgebendes weites Land ist bekanntlich jenes der Seele - jenes von Kusejs Haus-und-Hof-Bühnenbildner Martin Zehetgruber meist trostlose Trümmerfelder oder hochtechnisierte Labore. Für die Eröffnungspremiere hat der vielfach ausgezeichnete Österreicher dichte Trauerweiden und schroffe Felsen zur Illustration des Seelenbildes gewählt.

Er schuf damit eine bilderstarke Basis, um auch die Dimension des Archaischen und Unheimlichen aus Schnitzlers Stück abzubilden, die sich in der Inszenierung nicht wiederfinden ließ. Er wolle „ganz altmodisch ein psychologisches Stück mit einer Geschichte erzählen“, hatte Kusej im Vorfeld angekündigt. Ein Versprechen, das er gehalten hat, was aber auch bedeutet: „Das weite Land“ blieb in München ohne Überraschungen.

Hinweis

„Das weite Land“ am Residenztheater in München ist am 6., 7., 9., 15. und 16. Oktober sowie am 1., 5., 6., 20. und 24. November zu sehen.

Herzlicher Willkommensapplaus

Der Applaus fiel dennoch nicht nur freundlich, sondern auch langanhaltend für Ensemble und den Neo-Intendanten aus - ein herzlicher Willkommensgruß für Kusej. Der hat sich für die kommende Saison noch viel vorgenommen - und damit noch zahlreiche Chancen, sich zu beweisen: 27 Produktionen, davon acht Uraufführungen und vier deutsche Erstaufführungen, werden an den ab nun von ihm geleiteten Bühnen Münchens zu sehen sein.

Sophia Felbermair, ORF.at aus München

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