Anklage auf wackeligen Beinen
Amanda Knox ist als „Engel mit den Eisaugen“ bekanntgeworden und hat stets den brutalen Mord an ihrer Mitbewohnerin bestritten: Doch was ist wirklich vor vier Jahren in der Studenten-WG in der italienischen Universitätsstadt Perugia passiert? Vor dieser Frage steht das Berufungsgericht von Perugia, das am Montag ein neues Urteil über die US-Austauschstudentin Knox fällen soll.
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Knox’ Mitbewohnerin, die britische Austauschstudentin Meredith Kercher, war im November 2007 tot in der gemeinsamen Wohnung gefunden worden: mit durchschnittener Kehle, von zahlreichen Messerstichen übersät und vergewaltigt. Zwei Jahre später sprach ein Gericht nach einem elfmonatigen spektakulären Indizienprozess die heute 24-jährige Amerikanerin und ihren drei Jahre älteren italienischen Ex-Freund Raffaele Sollecito des Mordes schuldig.
Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft wurde die 21-jährige Britin gemeinsam von Knox, Sollecito sowie dem Mitangeklagten Rudy Guede ermordet, weil sie Gruppensex verweigerte.

Reuters/Alessandro Bianchi
Auch Sollecito hofft auf Freispruch
Keine Geständnisse im Indizienprozess
Alle drei Verurteilten bestritten die Tat. Doch die DNA des in der Elfenbeinküste geborenen, in Italien aufgewachsenen Guede war in der Vagina des Opfers gefunden worden, sein blutiger Handabdruck in ihrem Zimmer. In erster Instanz wurde er zu 30 Jahren Haft verurteilt. Das Urteil wurde auf 16 Jahre revidiert, weil er das verkürzte Gerichtsverfahren akzeptierte.
Das Mordopfer soll darüber verärgert gewesen sein, dass Knox zwei Männer mit nach Hause gebracht habe – so rekonstruiert die Staatsanwaltschaft die Mordnacht –, und habe darum mit ihrer Mitbewohnerin einen Streit angefangen. In der Folge soll Kercher von Knox und Sollecito mit einem Messer bedroht und von Guede vergewaltigt worden sein. Die tödlichen Stichwunden soll ihr Knox zugefügt haben. Doch keiner der drei Verurteilten gestand die Tat.
Einspruch gegen Hauptbeweise
Es ist ein reiner Indizienfall, in dem jedes Beweisstück genau untersucht werden muss. Genau das dürfte laut einem neuen Gutachten nicht korrekt über die Bühne gegangen sein. Die Staatsanwaltschaft verweist auf angebliche DNA-Spuren des Paars: von Sollecito am BH-Verschluss des Opfers und von Knox auf der vermeintlichen Mordwaffe, einem Küchenmesser, das sie, wie sie immer betonte, oft zum Kochen benutzt habe. Sichergestellt worden war die angebliche Tatwaffe im November 2007 in der Wohnung von Sollecito.
Auch einen Augenzeugen präsentierten die Ermittler, der die beiden am Mordabend in der Nähe des Tatorts gesehen haben will. Doch dessen Aussagen erwiesen sich mittlerweile als fehlerhaft. Vor fast einem Jahr gingen Knox und Sollecito in Berufung. Die Verteidigung hatte in den vergangenen Monaten mit einem neuen unabhängigen Gutachten versucht, Einspruch gegen die Hauptbeweise einzulegen: Forensikexperten aus Rom sprechen darin von gravierenden Ermittlungsfehlern und Schlampereien, wissenschaftliche Verfahren seien nicht angemessen angewendet worden.
Weiteres Gutachten nicht mehr zugelassen
Die Gutachter halten es für möglich, dass Spuren erst nach der Tat auf Gegenstände gekommen sind. So soll der BH des Opfers mit den angeblichen Spuren von Sollecito verunreinigt worden sein. Vor allem besagt das neue Gutachten, dass anders als im ersten Verfahren behauptet auf der angeblichen Tatwaffe doch kein Blut des Mordopfers gefunden worden sei.
Die Staatsanwaltschaft wies das als „Verfälschung der Realität“ zurück und beschrieb die Ergebnisse der Gutachter als „blamabel“. Als Erfolg für die Verteidigung darf jedoch angesehen werden, dass die Forderung der Staatsanwaltschaft nach einem neuen rechtsmedizinischen Gutachten Anfang September abgelehnt wurde.
Knox belastete Unschuldigen
Damit wurde der Anklage ihre wichtigste Argumentation entzogen. Denn ohne ein Motiv und Zeugenaussagen musste sich die Staatsanwaltschaft alleine auf Indizienbeweise verlassen. Und gerade der Umgang mit den DNA-Spuren wurde durch das neue Gutachten besonders stark in Zweifel gezogen. Zugleich sind nicht alle Indizien beseitigt, die gegen Knox und Sollecito als Täter sprechen.
Das Fenster der Wohnung, in der Kercher ermordet wurde, war von innen eingeschlagen worden. Aus Sicht des Schwurgerichts wies das auf einen Täter hin, der im Haus lebte und einen Einbruch vortäuschen und von sich ablenken wollte. Und vor allem blieb bisher die Frage offen, warum Knox bei ihrem ersten Verhör zuerst einen anderen Afrikaner, Patrick Lumumba, der Tat bezichtigte, der sogar mit ihr zusammen verhaftet wurde, dessen Alibi aber unumstritten war.
Anklage wirft Knox PR-Kampagne vor
Während die Staatsanwaltschaft lebenslange Haft für die 24-Jährige fordert, plädiert die Verteidigung auf Freispruch. Am Freitag kam es im Gerichtssaal noch einmal zum erbitterten Schlagabtausch. "Wir glauben nicht an Märchen – und Sie sollten das auch nicht tun“, beschwor Staatsanwalt Giuliano Mignini das Gericht. Im Fall eines Freispruchs bestehe erhebliche Fluchtgefahr, mit den USA bestehe keinerlei Auslieferungsabkommen.
Mignini warf der Angeklagten eine beispiellose Medienkampagne vor: „Haben Sie jemals einen Angeklagten gesehen, der eine große PR-Agentur anheuert?“ Knox habe eine Kampagne im Wert von einer Million Dollar hinter sich. „Wir sind hier, um für ein gerechtes Urteil einzutreten“, sagte Francesco Maresca, Anwalt der Familie des Opfers.
Ergreift Knox selbst das Wort?
Bevor sich das Gericht zur Beratung zurückzieht, könnte Knox selbst noch einmal das Wort ergreifen. Ihre Schwester Deana sagte in der ABC-Sendung „Good Morning America“, dass ihre Schwester hart an diesem Statement gearbeitet habe: „Sie möchte dem Gericht einfach zeigen, wer sie wirklich ist.“ Den Gerüchten zufolge sollte Knox sofort nach einem möglichen Freispruch nach Seattle ausgeflogen werden. Das Urteil wird für den späten Montagabend erwartet.
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