Nur „persönlicher Konflikt“?
Bulgarien ist eigentlich für seine Toleranz für Minderheiten bekannt. Türken, Roma und Juden leben in dem Balkan-Land seit Jahrzehnten friedlich nebeneinander. Doch Ausschreitungen und Proteste gegen Roma überschatten nun den Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
„Zigeuner zu Seife!“ und „Zigeuner raus!“ sind die beliebtesten Parolen der bulgarischen Nationalisten. Doch seit einigen Tagen kursieren ihre rassistischen Sprüche nicht mehr nur im Internet. Man hört sie abends auf offener Straße, bei Demonstrationen in der Hauptstadt Sofia und auch in anderen größeren Städten. Damit lassen Nationalisten und Fußballfans ihrem Hass gegen die Minderheit von mehreren hunderttausend Roma in diesem Balkan-Land freien Lauf. In einem südbulgarischen Dorf wurden sogar die Häuser eines Roma-Bosses niedergebrannt.
Unfall als Auslöser
Wie konnte es so weit kommen? Auslöser war ein Verkehrsunfall in dem südbulgarischen Dorf Katuniza bei Plowdiw. Dort wurde am Freitagabend ein 19-Jähriger slawischer Abstammung von einem Minibus überfahren. Dem zum Kreis des Roma-Bosses „Zar Kiro“ (König Kiro) gehörenden Fahrer wird nun auch offiziell vorgeworfen, den Jugendlichen vorsätzlich getötet zu haben. Die Wut der slawischen Dorfbewohner richtete sich zunächst gegen den Clan von „Zar Kiro“, den sie am Wochenende aus Katuniza vertrieben.
Wer ist dieser selbsternannte Roma-König? Noch während des Kommunismus sei „Zar Kiro“ nach Medienberichten durch illegalen Handel mit Devisen und Gold reich geworden. Nach der Wende von 1989 verkaufte er gepanschten Alkohol. Der Mann habe nach den Worten von Staatspräsident Georgi Parwanow über mehr als zehn Jahren hinweg keine Steuern bezahlt. „Der Protest in Katuniza war gegen einen Oligarchen gerichtet, der 22 Jahre lang toleriert wurde“, erläutert Bulgariens Bürgerbeauftragter Konstantin Pentschew. Zudem klagen die Dorfbewohner, dass der unantastbare „Zar Kiro“ sie terrorisiert habe.
Der 69 Jahre alte Roma-Boss wurde am Dienstagabend in Plowdiw festgenommen. Ihm wird nun vorgeworfen, einem Familienangehörigen des überfahrenen Burschen mit Mord gedroht zu haben. „Raschkow ist dort, wo er seit langem hätte sein sollen“, sagte Hauptkommissar Kalin Georgiew. „Zar Kiro“ und seine Familie hätten „20 Jahre lang straffrei das gemacht, was sie wollten“.
„Kein ethnischer Konflikt“
Der Protest weitete sich nicht zuletzt durch die Nationalisten aus, doch inzwischen ist die Führung in Sofia um Schadensbegrenzung und Eingrenzung der Auseinandersetzung bemüht. „Das ist ein persönlicher und kein ethnischer Konflikt“, meint denn Präsident Georgi Parwanow. Zusammen mit Regierungschef Bojko Borissow besuchte er das inzwischen international bekanntgewordene Dorf im Raum Plowdiw, um mit beiden Volksgruppen zu sprechen.
Trotzdem prägte der Hass gegen die Roma die weiteren Solidaritätskundgebungen für die Familie des getöteten Jugendlichen. „Die Roma kassieren nur ihre Sozialhilfen und zahlen nichts für Strom und Leitungswasser“, klagen slawisch-stämmige Bulgaren.
Mit der Protestwelle entbrannte erneut die Diskussion über die Integration der Roma in dem Balkan-Land. „Wo sind denn die Milliarden Hilfsgelder aus den verschiedenen Fonds?“, kritisierte der Bürgerbeauftragte im Staatsradio, dass EU-Hilfe für Roma meist vorher in unbekannten Kanälen vesickert.
„Werden für alles beschuldigt“
Auch knapp fünf Jahre nach dem EU-Beitritt gehören die Roma - mit wenigen Ausnahmen - zu den Ärmsten in Bulgarien. Ihre geringen Chancen, einen Job zu finden, sind Folge einer schlechten oder gar fehlenden Ausbildung. In der Krise stieg die Kriminalität auch unter den Vertretern dieser Volksgruppe. „Die Roma werden für alles beschuldigt“, klagt die Moderatorin der TV-Sendung „Die Welt der Roma“, Kremena Budinowa. Dazu kommt nun die Angst vor den Nationalisten. „Die Roma schlafen nicht mehr und lassen ihre Kinder nicht zur Schule gehen“, sagt Budinowa.
Die Anti-Roma-Proteste überschatteten auch den Auftakt des Wahlkampfes für die Präsidentschaftswahl am 23. Oktober. Staatspräsident Parwanow warnte vor der Versuchung, den Wahlkampf „ethnisch zu prägen“. Doch für die extrem nationalistische Ataka-Partei kam der neu entflammte Konflikt mit der Roma-Minderheit sehr gelegen. Die in der Volksversammlung in Sofia und auch im EU-Parlament vertretene Ataka forderte die Wiedereinführung der Todesstrafe als Maßnahme gegen die Roma-Kriminalität.
Elena Lalowa, dpa
Links: