Spektaktuläre Ruhe
Karl Markovics ist erfolgsverwöhnt, seit Stefan Ruzowitzkys „Die Fälscher“ mit ihm in der Hauptrolle 2008 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewonnen hat. Mit seinem Regiedebüt hätte er auf Prominenz spielen und einen programmierten Kassenschlager vorlegen können. Markovics hat sich mit „Atmen“ anders entschieden.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
In Interviews erzählt der 47-jährige Schauspieler, dass er schon lange vorhatte, auch einmal als Drehbuchautor und Regisseur in Erscheinung zu treten. Einige Stoffe hatte er bereits in der Schublade liegen, bevor seine Frau ihn überredete, endlich etwas in die Tat umzusetzen und sich nicht länger vor dem eigenen Perfektionismus zu fürchten. Dass er ausgerechnet „Atmen“ umsetzen wollte, zeugt von Markovics’ Bescheidenheit - denn das Spektakuläre dieses Films liegt in seiner Ruhe.
Beine auseinander und husten
Im Mittelpunkt steht der 19-jährige Roman Kogler, der schicksalsergeben eine Jugendhaft absitzt. Einen überbordenden Freiheitsdrang nimmt man bei ihm nicht wahr. Er lässt die Demütigungen des Wachpersonals widerspruchs- und scheinbar emotionslos über sich ergehen. Als Freigänger wird er täglich beim Nachhausekommen perlustriert: sich entkleiden, sich vorbeugen, Beine auseinander und husten, um den Blick nach innen freizugeben. Dazu verletzende Ansagen: „Kogler, vor dem Gefängnis warst Du doch Heimkind!? Noch nie in Freiheit gelebt? Spannend.“

Thimfilm
Einmal nicht atmen müssen - auch eine Art von Freiheit
Der Tod als „Souvenirartikel“
Die Kamera wird oft etwas im Abseits platziert, sie beobachtet scheinbar teilnahmslos, wie sich Roman verhält. In Bewegung gerät das Leben des Burschen erst, als er sich dem Tod widmet und einen Job als Leichenbestatter annimmt. Markovics sagt im Gespräch mit der „Wiener Zeitung“:
„Die Grundidee war, einen Film über Bestattung zu machen. Über den Alltag des Todes und über den Tod als Arbeitgeber. In einer Stadt, in der der Tod fast ein Souvenirartikel ist, in Wienerliedern besungen wird, eine weinselig-sentimentale Aura bekommen hat, die der Tod überhaupt nicht verdient, weil er einfach das Fehlen von Leben ist.“ Es ist tatsächlich schwer, den Film zu vergleichen, weil er gleichzeitig so österreichisch ist und in Österreich dennoch eine Sonderstellung einnimmt.
Glücksfall beim Casting
Je näher Roman dem Tod kommt, desto mehr hat er das Bedürfnis zu leben. Er flirtet mit einem Mädchen, wechselt ein paar nette Worte mit einem Arbeitskollegen und hat Mitleid mit einer jungen Frau, deren Freund im Sterben liegt. Und vor allem macht er sich auf die Suche nach seiner Mutter. Als er sie schließlich findet und fragt, warum sie ihn als Baby zur Adoption freigegeben hat, schließt sich für ihn - und für den Zuseher - der Kreis. Jetzt kommt es nur noch auf die Entscheidung des Richters an: Wird Roman auf Bewährung freikommen?
Markovics arbeitete mit einem handverlesenen Team. Hauptdarsteller Thomas Schubert wollte nur einen Freund zum Casting begleiten, sprach dann aber doch selbst vor - ein Glücksfall. Die Rolle scheint ihm auf den Leib geschrieben. Georg Friedrich ist die Idealbesetzung eines Wiener Leichenbestatters. Karin Lischka überzeugt in der Rolle der Mutter - ihrem ersten Leinwandengagement. Und die Bildersprache der Kamera (Martin Gschlacht) ist nicht auf-, dafür aber eindringlich.
Geehrt von Angelina Jolie
Das sah man auch in Cannes so, wo der Film mit großem Erfolg gezeigt wurde. Österreich schickt „Atmen“ nun sogar ins Rennen um den Auslandsoscar. Bereits in der Tasche hat Markovics den Hauptpreis des Filmfestivals von Sarajevo. Der bei den Dreharbeiten erst 17-jährige Schubert durfte die Ehrung für seine erste Filmrolle von Angelina Jolie entgegennehmen, die überraschend beim Festival auftauchte. Wenn das kein Karrierestart ist.
Simon Hadler, ORF.at
Links: