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Generation Pragmatismus

Junge Erwachsene sind „Lost in Transition“, sagt eine US-Studie in Abwandlung eines populären Filmtitels. Auch wenn die Studie auf Biografien junger amerikanischer Erwachsener beruht, so darf man doch auch aus europäischer Sicht einen Trend bestätigt sehen. Junge Erwachsene sind frei wie nie, leistungs- und lustbereit. Doch auch sehr orientierungslos. Sind sie deshalb so starke „Shop-Alcoholics“?

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Es ist eine verlängerte Kindheit ins junge Erwachsenenalter, die der US-Soziologe von der University of Notre Dame, Christian Smith, gemeinsam mit seinen Kolleginnen Kari Christoffersen, Hillary Davidson und Patricia Snell Herzog, im Zuge jahrelang geführter Interviews mit jungen US-Erwachsenen im Alter von 18 bis 23 Jahren geführt hat.

Seit 2001 begleiteten die Forscher die repräsentativ ausgewählten Jugendlichen - und führten 2008 mit 230 von ihnen intensive Interviews. 2008 waren viele der Jugendliche bereits an der Universität oder im College oder dabei, sich beruflich zu orientieren. Die Ergebnisse der Befragungen sind nun unter dem Titel „Lost in Transition: The Dark Side of Emerging Adulthood“ versammelt.

Kindheit reicht ins Erwachsenenleben

Junge Erwachsene dehnen für Smith ihre Kindheit weit ins Erwachsenenleben aus. Eine Erkenntnis, die sehr viele Jugendstudien belegen. Auch ist mittlerweile sowohl in Europa als auch in den USA ein Trend unverkennbar feststellbar: Jugendliche sind sehr lange von ihren Eltern auch finanziell abhängig - wozu auch der Trend zum sozialen Aufstieg (Studium) und immer teurer werdende Ausbildungen beitragen.

Die jungen Erwachsenen spüren laut Studienautoren, dass sie nach der Schule in eine Phase von relativer Freiheit kommen - dass aber auch eine Welt auf sie wartet, in der Jobperspektiven weniger stabil sind, wie das noch in der Vergangenheit der Fall war.

Wo sind die Grenzen der Toleranz?

In ihrer Wertehaltung und Ethik seien die jungen Erwachsenen, so das Ergebnis der Studie, liberal und dazu erzogen, andere Haltungen zu tolerieren oder als gleichwertige Ansicht zu akzeptieren. Auf der anderen Seite stünde aber das Problem, dass in der Alltagsethik die Grenzen verschwimmen würden.

Den jungen Erwachsenen sei klar, dass Mord, Vergewaltigung und ein Bankraub falsch seien - aber das Schummeln bei Prüfungen, „so lange man nicht erwischt wird“, das Betrügen des Partners oder betrunken Autofahren wird toleriert. Man gibt sich dem Alltag gegenüber pragmatisch. „Die Frage, was richtig oder falsch ist, gründen diese Erwachsenen in ihrer persönlichen Erfahrung“, nicht in überzeitlich gültigen Werten, befand der „Economist“ bei der Durchsicht der Studie.

Junges Paar beim Shopping

Kzenon

Persönliche Erfüllung spielt in der Studie der Notre-Dame-Universität jedenfalls eine große Rolle. Das betrifft das Sexualverhalten (samt entsprechender Freiheit) und noch mehr das Einkaufsverhalten. Shoppen bis zum Umfallen sei für die jungen Erwachsenen eine gemeinsame Grundhaltung. Dass einige viele Autos besäßen, andere Menschen keines, das sei für diese Generation kein Problem. Als „gutes Leben“ klassifiziert man einen guten Job, eine stabile Familie - und nicht etwa den Kampf für Gerechtigkeit oder den Einsatz für die Umwelt. Relativ konservativ scheint diese Generation ausgerichtet zu sein, blickt man auf den Wertekanon nach der Phase der großen Freiheit.

Jugendstudie 2011: „Leistung und Spaß“

Leistung und Spaß sind auch Werte, die die aktuelle Jugendstudie 2011 des Instituts für Jugendkulturforschung als Merkmal der Heranwachsenden beschreibt. Selbstentfaltung, Spaß, Lebensgenuss und „ein durch Ehrgeiz zum Ausdruck gebrachtes Bekenntnis zum Erfolgsprinzip“, so Jugendforscher Philipp Ikrath vom Institut für Jugendkulturforschung in Wien, sei kein Widerspruch. Im Vergleich zur protestbereiten 1968er-Generation wirken sie angepasster.

Jugendliche können heute Werte, die widersprüchlich erscheinen, vereinen, sagt Ikrath. Früher gab es klare Wertebilder: Jemand, der auf Leistung baute, war verbissen und versuchte mit Ehrgeiz, seine Ziele zu verfolgen. Für Spaß war in diesem Denken kaum Platz. Heranwachsende heute können das vereinbaren, sie schätzen Spaß und wollen die Freuden des Lebens genießen, gleichzeitig ist ihnen Ehrgeiz und Leistung wichtig. Die Jugendforschung spricht vom Phänomen eines „Wertepatchworks“.

Der gesellschaftliche Wandel kann laut den Studienautoren auch zu einer Veränderung der Bedeutung eines Wertebegriffs führen. Der für die 16- bis 29-Jährigen wichtige Wert der Selbstbestimmung wurde in den 1970er und 1980er Jahren in einem emanzipatorischen Sinn verstanden. Heute zielt er für die heranwachsende Generation nicht mehr auf Selbstverwirklichung in kritischer Distanz zum System ab, sondern weist mehr in Richtung individuelle Selbstentfaltung hin. „Jugendliche wollen über die eigene Lebensbestimmung selbst entscheiden“, sagt Ikrath.

Buchhinweise

  • Christian Smith et al. (Hg.): Lost in Transition: The Dark Side of Emerging Adulthood. Oxford University Press, 296 Seiten, etwa 25 Euro.
  • Nina Pauer: Wir haben keine Angst, Gruppentherapie einer Generation. Fischer, 206 Seiten, 14,40 Euro.

„Generation keine Angst“

Als Generation, die keine Angst habe, beschreibt die deutsche Journalistin Nina Pauer in ihrem Buch „Wir haben keine Angst. Gruppentherapie einer Generation“ dieses Lebensgefühl, das vor allem auf einen sehr offenen Horizont ausgerichtet ist - was, wie auch die US-Studie suggeriert, durchaus etwas Verunsicherndes haben könnte. Als „weißes kühles Glatteis des Noch-Nichts“ beschreibt die Autorin in ihrem Langessay dieses Lebensgefühl, in dem vor allem die Bewältigung von viel Diffusem die Aufgabe scheint. Selbstbestimmung heißt hier, auch so etwas wie notwendige Grenzen zu finden.

Für den Soziologen Smith kommt jedenfalls den Erwachsenen schon eine tragende Rolle im Erziehungsprozess zu. Toleranz zu predigen, das sei jedenfalls zu wenig, so Smith, der erwartet, dass Erwachsene „Hilfestellungen“ leisten müssten, damit junge Erwachsene erkennen könnten, dass es sehr wohl notwendige, überzeitliche Werte gebe - auch wenn diese wiederum pragmatisch als Richtschnur interpretiert würden.

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