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Konsumenten werden kritischer

Kaum ein anderes Attribut wird in der Wirtschaft so gerne strapaziert wie „nachhaltig“, wenn es darum geht, sich ökologische und soziale Verantwortung auf die Fahnen zu heften. Doch PR-Maßnahmen sind oft verräterisch. Egal ob IT, Textilien oder Nahrungsmittel, vor allem die Konsumgüterindustrie steht zunehmend unter kritischer Beobachtung.

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Wenn Produzenten nach und nach die Werte „fair“ und „sauber“ für sich entdecken, geschieht das mitunter bewusst aus absatzstrategischen Gründen, bedeutend häufiger aber erst auf Druck von Konsumentenseite.

Im Sommer erklärten die drei Sportartikelgiganten Puma, Nike und adidas nacheinander, bis 2020 bestimmte gesundheitsschädliche Chemikalien aus ihren Produktionsketten zu verbannen. Vergangene Woche folgte der schwedische Textilriese Hennes & Mauritz (H&M) dem Beispiel - wie adidas & Co. nicht ganz freiwillig. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hatte in einer großangelegten Kampagne unter dem Titel „Dirty Laundry“ („Schmutzige Wäsche“) im Sommer erst Giftstoffe in Abwässern chinesischer Textilfabriken und danach gesundheitsschädliche Chemikalien in Sportbekleidung nachgewiesen.

Handys und „Palmölkrieg“

Ebenfalls erst kürzlich nahm die finnische Nichtregierungsorganisation Finnwatch den IT-Riesen Nokia unter Beschuss. Der Konzern beschäftige Arbeiter in Indien „unter ausbeuterischen Bedingungen“, lautete der Vorwurf. Finnwatch beobachtet die Aktivitäten finnischer Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern und fordert unter dem Motte „makeITfair“ („Mach’ IT Fair“) „saubere“ Arbeitsbedingungen in der Elektronikindustrie. Auch Apple und sein chinesischer Zulieferer Foxconn bekamen von der NGO - Motto: „Zeit, in einen fairen Apfel zu beißen“ - bereits ihr Fett ab.

Mann überquert einen verschmutzten Fluss

Reuters/China Daily China Daily Information Corp - CDIC

Industrieabwässer in einem Fluss in China

Gut in Erinnerung ist auch noch der „Palmölkrieg“ zwischen Greenpeace und Nestle, der im Frühjahr damit endete, dass sich der Schweizer Lebensmittelgigant von seinem indonesischen Zulieferer Sinar Mas Group trennte. Die US-Supermarktkette Wal-Mart folgte dem Beispiel. Greenpeace machte Sinar Mas für die Abholzung indonesischer Regenwälder und Gefährdung der Orang-Utan-Populationen für die Palmölproduktion verantwortlich.

Neue Kanäle für kritische Konsumenten

Gemeinsam ist den Kampagnen eines: Sie machen sich relativ geschickt einerseits die steigende Sensibilisierung der Verbraucher und andererseits Social-Web-Kommunikationskanäle wie Facebook, YouTube, Twitter und Co. zunutze, um so gezielt Druck auf Unternehmen aufzubauen.

Dass „der Konsument“ generell kritischer geworden ist, lasse sich eigentlich gar nicht sagen, so Andre Martinuzzi, Leiter des Research Institute for Managing Sustainability (RIMAS) an der Wirtschaftsuniversität Wien, gegenüber ORF.at. Konsumenten agierten in verschiedenen Kontexten sehr unterschiedlich. Mitunter sei das Bekenntnis zu „fair und sauber“ die eine, das tatsächliche Kaufverhalten aber eine andere Sache.

„Fair“, zumindest wenn es bequem geht

Dem widerspricht auch Hartwig Kirner, Geschäftsführer von Fairtrade Österreich, nicht. Es gebe eine Kernzielgruppe von 20 bis 25 Prozent, die Wert auf Nachhaltigkeit lege, „die anderen machen es, wenn es leicht geht“, so Kirner im Gespräch mit ORF.at. Was man allerdings zweifelsfrei sagen könne, sei, dass das Thema an sich „von ein einem Randthema zu einer Mainstream-Diskussion“ geworden sei.

Deutlich mehr „fairer“ Umsatz

Im ersten Halbjahr 2011 stieg der geschätzte Umsatz von „fairen“ Produkten in Österreich um 13 Prozent auf 46 Millionen Euro. Für das Gesamtjahr 2011 wird laut Fairtrade ein Umsatzzuwachs im zweistelligen Bereich erwartet. 2010 lagen die Umsätze bei 87 Millionen Euro.

Das zeige sich, so der Fairtrade-Geschäftsführer, nicht nur an steigenden Absatzzahlen bei fair produzierten Produkten. Nachdem Nachhaltigkeit „jahrhundertelang Kern eines Wirtschaftssystems“ gewesen sei, „merken die Menschen, dass wir über unseren Verhältnissen leben“ und, um den Wohlstand zu erhalten, ein Kurswechsel notwendig sei. Der müsse aber nicht zwingend einen „Verzicht auf Annehmlichkeiten“ bedeuten.

Nicht mehr das Monopol der NGOs

Social Media, so Kirner, spielten heute, wenn es darum geht, Unternehmen auf die Finger zu schauen, zweifellos „eine sehr große Rolle“. Sie böten Konsumenten „erstmals die Möglichkeit, ohne großen Aufwand etwas zu verändern“. Früher seien es fast ausschließlich NGOs gewesen, die Druck aufgebaut haben. Heute sind Soziale Netzwerke voll von privaten Diskussionsgruppen, in denen es um Konsum, Nachhaltigkeit und „Sünden“ von Großkonzernen geht. Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen nutzen diesen Trend mitunter geschickt, während er für Unternehmen und ihre Kommunikationsverantwortlichen oft noch zum Fallstrick wird.

KitKat und die „Büchse der Pandora“

Bestes Beispiel dafür ist die Palmölkampagne gegen Nestle, in der Greenpeace auf der Onlinevideoplattform YouTube einen Clip veröffentlichte, in dem der Nahrungsmittelkonzern indirekt für die Urwaldzerstörung in Indonesien und Malaysia verantwortlich gemacht wurde, festgemacht am Schokoladeriegel KitKat. Nach einer Intervention von Nestle - wegen Verletzung von Urheberrechten, wie es hieß - entfernte YouTube den Clip kurzfristig, was wiederum die Nutzer offenbar derart verärgerte, dass sich das Video erst recht via Facebook und Co. wie ein Lauffeuer verbreitete. Anstatt die Kampagne gebremst zu haben, war die „Büchse der Pandora“ geöffnet und das PR-Desaster für Nestle perfekt.

„Tue Gutes“ und „vermeide Böses“

Solche Erfahrungen zwingen nicht nur PR-Verantwortliche zum Umdenken. Corporate Social Responsibily (CSR), die freiwillige Verpflichtung zu Nachhaltigkeit, gewinnt für Unternehmen grundsätzlich an Bedeutung. Manche folgen dabei dem Leitsatz „Tue Gutes und rede darüber“, wie es in einem Artikel Martinuzzis zum Thema Nachhaltigkeit, Wirtschaft und Unternehmensführung im Hernstein-Management-Bericht vom Jänner heißt.

Schokoladehersteller wie Nestle, Kraft Foods und Mars Inc. riefen Projekte wie die International Cocoa Initiative (ICI) ins Leben, die illegale Kinderarbeit im Kakaoanbau zurückdrängen und die Lebensbedingungen der Bauern verbessern soll. Sie selbst waren mehrmals Zielscheibe von Kritik, ausbeuterische Kinderarbeit wenn nicht indirekt zu fördern, dann stillschweigend zu dulden.

Prominente Namen

An der Sustainable Agriculture Initiative (SAI), die sich für eine Förderung nachhaltiger Landwirtschaft einsetzt, beteiligt sich praktisch das A bis Z der Lebensmittelindustrie (Agrofrost, Coca-Cola, Kellogs, McDonald’s, Nestle, Tchibo, Unilever u. a.). Wie viel von diesen Maßnahmen insgesamt Imagepflege und wie viel davon ernst gemeint ist, ist mitunter strittig. Mitte der Woche kündigte Mars eine Kooperation mit Fairtrade International an.

Sicher ist jedenfalls, dass heute stärker als früher der Leitsatz „Böses vermeiden“ (Martinuzzi) gilt: Wenn einem Unternehmen nämlich nachgewiesen werde, „dass seine Produkte mittels Kinderarbeit hergestellt wurden, es dramatisch zur Umweltzerstörung beiträgt oder demokratische Grundrechte ignoriert“, sei die Loyalität seiner Kunden ganz rasch verspielt.

Georg Krammer, ORF.at

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