US-Sender wettert gegen Studie
Dass zu viel Fernsehen schlecht für Kinder ist, bedarf wohl keiner Beweise mehr: Unzählige Forschungsarbeiten haben negative Langzeitwirkungen von übermäßigem TV-Konsum nachgewiesen. Nun aber legt eine Studie aus den USA nahe, dass temporeiche Cartoonserien bereits in kleinen Dosen unmittelbaren Schaden in Kinderhirnen anrichten.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Als Vertreter moderner Cartoons mit ihrem aberwitzigen Tempo wählten die Studienautoren der Universität von Virginia die beliebte Serie „Spongebob Schwammkopf“ („SpongeBob SquarePants“), bei der im Durchschnitt alle elf Sekunden ein Szenenwechsel stattfindet. Unmittelbar nach dem TV-Konsum durchgeführte Tests bei den Kindern zeigten gravierende Auswirkungen auf die Gehirne der getesteten Vierjährigen.
Merkbar schlechter in allen Testkategorien
Zum Vergleich mit anderen Kindern, die den US-kanadischen öffentlichrechtlichen Cartoon „Caillou“ (mit Szenenwechseln alle 34 Sekunden) ansahen, und einer dritten Gruppe, die sich mit Papier und Zeichenstiften selbst beschäftigte, schnitten die „Spongebob“-Seher in einer Reihe von Tests deutlich schlechter ab. Insgesamt wurden 60 Kinder getestet - ein kleines Sample, wie auch die Studienautoren einräumen.
Unter dem Einfluss des schnellen TV-Cartoons zeigten die Kinder schlechte Resultate sowohl, was logisches Denkvermögen und Merkfähigkeiten, als auch, was Reaktionsgeschwindigkeit, Konzentration und Körperkoordination angeht. Vor allem aber legt die im US-Fachjournal „Pediatrics“ publizierte Studie nahe, dass die Reizüberflutung des Cartoons nachhaltige Spuren im Belohnungszentrum des Gehirns hinterlässt.
Kinder verlernen das Warten
Die Testanordnung war einfach, wie Studienleiterin Angeline Lillard gegenüber der britischen „Daily Mail“ schilderte. Die Kinder konnten zwischen einem jederzeit verfügbaren Teller mit zwei Süßigkeiten und einem Teller mit zehn Süßigkeiten wählen, auf den sie allerdings warten mussten. Nach einem Ausschnitt aus „Spongebob“ hielten die Kinder im Durchschnitt nur zweieinhalb Minuten durch, bis sie sich mit den zwei Süßigkeiten zufriedengaben. Die Kinder aus den beiden anderen Gruppen konnten sich zumindest vier Minuten lang beherrschen.
Dass temporeiche Cartoons - die Studienautoren unterstreichen, dass „Spongebob“ nur ein Beispiel von vielen sei - das Belohnungszentrum des Gehirns stören könnten, ist aus entwicklungspsychologischer Sicht ein ernstes Alarmsignal. Das Belohnungssystem des Gehirns („mesolimbisches System“) ist Antrieb für jegliches intellektuelle Streben ebenso wie für Suchtkrankheiten beziehungsweise ganz allgemein der Motor für die Emotion „Freude“.
Sender wettert gegen „fragwürdige Methodik“
Spongebobs US-Heimatsender Nickelodeon unterstellte den Wissenschaftlern in einer Reaktion „fragwürdige Methodik“ und meinte, es handle sich „nicht im Entferntesten um eine Entscheidungsgrundlage, der Eltern vertrauen können“. Zugleich spielte der Sender selbst den Ball an die Eltern weiter: Die TV-Serie habe Kinder zwischen sechs und elf Jahren als Zielpublikum. Wenn auch jüngere Kinder „Spongebob“ sähen, sei das nicht das Problem des Senders, gab Nickelodeon-Sprecher David Bittler zu verstehen.
Langer TV-Konsum „noch schädlicher“ als gedacht?
Die Studienautoren selbst betonen, dass sie ihre Arbeit nur als Ansatz für weitere Untersuchungen verstanden wollen wissen. Eingehendere Forschungsarbeit mit einem weit größeren Sample an Kindern sei nötig, die bereits jetzt vorliegenden Daten seien jedoch zuverlässig, erklärte der Kinderentwicklungspsychologe Dimitri Christakis vom renommierten Seattle Children’s Hospital in einer kritischen Beurteilung der Studienergebnisse. Aus seiner Sicht bietet die Studie einen „bedeutenden Zusammenhang“ zu immer häufigeren Störungen in der kognitiven und sozialen Entwicklung von Kindern.
Ein Warnsignal für Eltern sei die Untersuchung allemal, so Christakis in seinen Kommentaren zur Studie: „Es geht nicht nur darum, wie viel Kinder fernschauen. Es geht darum, was sie anschauen.“ Die Studienautoren wiederum wollen nicht ausschließen, dass längerer TV-Konsum damit „noch schädlicher“ sein könne als bisher gedacht. Denn für die Studie wurden die Kinder nur neun Minuten vor dem Fernseher sitzen gelassen. Eine einzige Cartoonfolge dauert durchschnittlich 22 Minuten.
Links: