Chaotische Zustände in Krankenhäusern
Mehr als 200 bereits im Zustand der Verwesung befindliche Leichen sind in einem Spital in der libyschen Hauptstadt Tripolis entdeckt worden. Das Spital befindet sich in einem Stadtteil, in dem heftige Kämpfe getobt hatten. Das berichtete der britische Sender BBC am Samstag auf seiner Website.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Ein BBC-Korrespondent sah in den Gängen des Abu-Salim-Krankenhauses die Leichen von Männern, Frauen und Kindern. Das medizinische Personal hatte das Spital nach Ausbruch von Kämpfen zwischen Rebellen und Anhängern des bisherigen Machthabers Muammar al-Gaddafi fluchtartig verlassen.

Reuters/Youssef Boudlal
Mühevolle Aufräumarbeiten im Krankenhaus
Die verlassenen Gänge des Krankenhauses waren mit Blut übersät, wie die Reporter berichteten. Die Leichenhalle war völlig überfüllt, auch in den Krankenzimmern lagen Tote. Etwa 20 Leichname wurden aus Platzmangel auf dem Rasen vor dem Krankenhaus abgelegt. Laut BBC-Reporter Wyre Davies sei die Situation grauenvoll. Es sei das „Erschreckendste“, was er je gesehen habe, so Davies.
Heckenschützen hielten Helfer fern
Auch Alex Thomson von Channel 4 News sprach laut „Spiegel“ (Onlineausgabe) von einem Bild „unbeschreiblichen Grauens“. Überall lägen verwesende Leichen - in Korridoren, Büros, vor dem Gebäude. Unter den Dutzenden Toten seien auch Frauen und Kinder.
Ärzte berichteten der Nachrichtenagentur AFP, dass Gaddafi-treue Heckenschützen bis Donnerstag jeden auf Distanz gehalten hätten, der sich dem Krankenhaus im Viertel Abu Salim nähern wollte. Daher seien die Patienten einer nach dem anderen gestorben. Die überlebenden Patienten, unter ihnen ein Kind, mussten demnach tagelang den Geruch verwesender Leichen ertragen. Ein Anwohner sagte der BBC, die Leichen würden seit fünf Tagen in der Klinik liegen, niemand habe sich um diese gekümmert.
17 Überlebende verlegt
„Das ist eine Katastrophe“, sagte der Zahnmedizinstudent Mohammed Junis, der in dem Krankenhaus als Pfleger eingesprungen war. „Es gibt keine Medikamente mehr in dem Krankenhaus, kein medizinisches Personal.“ Alle seien aus Angst vor den Scharfschützen geflohen. Wie Reporter berichteten, verlegten Hilfskräfte des Roten Kreuzes am Freitag 17 Patienten in andere Krankenhäuser der Stadt.
Gräueltaten in Gefängnissen
Amnesty International (AI) berichtete am Freitag zudem von zahlreichen Leichen, die in zwei Gefängnissen gefunden worden seien. Es dürfte sich dabei um Rebellen handeln, die von den Gaddafi-Truppen verhaftet und kurz vor deren Flucht hingerichtet wurden. In einem der Gefängnisse dürften die Wächter ein besonders grausames Spiel mit den Gefangenen gespielt haben. Sie sollen die Tore geöffnet haben und den Rebellen gesagt haben, sie seien frei. Dann feuerten sie Granaten auf die Flüchtenden.
Der AI-Bericht basiert auf Aussagen von Augenzeugen. Eine genaue Opferzahl wird keine angeführt. Doch von den 160 freigelassenen Gefangenen ist nur von 23 bekannt, dass sie entkommen konnten.
30 Gaddafi-Kämpfer exekutiert
Bereits am Donnerstag wurden die von Kugeln durchsiebten Leichen von 30 Pro-Gaddafi-Kämpfern in einem Militärlager im Zentrum von Tripolis gefunden. Mindestens zwei von ihnen waren gefesselt. Der Verdacht liegt nahe, dass die Männer regelrecht exekutiert wurden. Immer mehr Leichen werden aus den umkämpften Straßenzügen rund um die ehemalige Gaddafi-Residenz Bab al-Asisija geborgen. Am Freitag wurden von Rebellen neun Tote abtransportiert, berichtete die Zeitung „New York Times“ („NYT“).
Krankenhäuser völlig überlastet
Auch andere Krankenhäuser in Tripolis sind nach Angaben der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen mit Verwundeten überfüllt. Fast alle hätten Schussverletzungen. „In den Krankenhäusern, die ich seit dem Beginn der Auseinandersetzungen besucht habe, spielten sich oft chaotische Szenen ab“, berichtete Einsatzleiter Jonathan Whittall nach Angaben der Organisation vom Donnerstag.
Patienten warten im Freien
„Es gibt einen Mangel an Medizinern in den Einrichtungen, aber es gibt auch eine große Zahl Freiwilliger, die in die Krankenhäuser kommen, um zu helfen, wo sie können. Aber das alles schafft ein sehr chaotisches Umfeld“, sagte Whittall. Neben einer Klinik in Tripolis seien Häuser in eine stationäre Abteilung umgewandelt worden. „In einem dieser Häuser lagen die Patienten auf dem Boden und auf Tischen“, erzählte der Mediziner. „Aber weil Personal fehlte, gab es keine Krankenschwestern, und die Patienten mussten im Wesentlichen für sich selbst sorgen.“ In einer anderen Einrichtung würden Verletzte im Freien vor dem Krankenhaus warten.
Besserung sei indes in Sicht. „Jetzt, wo die Lage in der Stadt beginnt, sich etwas zu beruhigen, können sich die Krankenhäuser auch um die Patienten kümmern, die es bisher nicht zu ihnen geschafft haben“, berichtete Whittall. Dazu gehörten Verwundete, aber auch Verletzte, die bisher zu viel Angst gehabt hätten, auf die Straße zu gehen, und andere Notfallpatienten.
Versorgungslage immer dramatischer
Unterdessen wird die Versorgungslage in Tripolis immer dramatischer. Vor den wenigen Geschäften, die noch frische Waren verkauften, bildeten sich lange Schlangen. In anderen Läden sind die Vorräte bereits völlig ausgegangen. Zudem gab es in der Millionenmetropole auch kein Wasser mehr. In Tripolis machten Gerüchte die Runde, die Versorgung sei aus Furcht vor vergiftetem Wasser unterbrochen worden. Am Freitagabend fiel zudem in der ganzen Stadt der Strom aus.
„Massiver Treibstoffmangel“
Schwierigkeiten bereite der „massive Treibstoffmangel“ in Tripolis, berichtete Ärzte ohne Grenzen. „Das ist ein großes Problem, weil der Strom oft ausfällt“, sagte Whittall. Deshalb würden Generatoren eingesetzt, um die Krankenhäuser zu betreiben, aber sie hätten nur sehr begrenzte Treibstoffreserven.
UNO besorgt über Lage in Libyen
UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich unterdessen besorgt über das Chaos in Libyen. In einer Videokonferenz mit Vertretern der EU, der Afrikanischen Union (AU), der Arabischen Liga und der Organisation der Islamischen Konferenz brachte Ban die Entsendung einer internationalen Polizeitruppe ins Land ins Spiel. Es sei dringend erforderlich, den Konflikt zu beenden sowie Ordnung und Stabilität wiederherzustellen.
Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton rief die Rebellen zur Einhaltung der Menschenrechte auf. Ashton sagte der Zeitung „Die Welt“ (Samstagausgabe): „Die Opposition muss sicherstellen, dass Zivilisten geschützt und die Menschenrechte in Libyen in vollem Umfang respektiert werden.“ Es sei jetzt an der Zeit einen Prozess einzuleiten, der ein neues Libyen hervor bringt, in dem demokratische Werte, Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechte des Menschen verwirklicht würden.
Links: