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„Kein typisch deutsches Verhalten“

Bussi links, Bussi rechts zur Begrüßung: In Österreich und Deutschland reicht zweimal, in Italien küsst man sich dreimal auf die Wangen, in Frankreich manchmal sogar viermal. „Ursprungsland ist eigentlich Frankreich“, sagte Österreichs Benimmexperte Thomas Schäfer-Elmayer gegenüber ORF.at.

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Mittlerweile ist diese Begrüßungsform aber international gängig - im Privaten, in der Politik und im Businessalltag. Selbst in der Politik ist die lockere Geste Usus - nicht erst seit dem sozialistischen Bruderkuss, der als besondere Anerkennung zwischen Staatsmännern im ehemaligen Ostblock galt.

So war etwa auch die Amtsübergabe von dem früheren Finanzminister Josef Pröll (ÖVP) an seine Nachfolgerin und Parteikollegin Maria Fekter sehr herzlich. Auch Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüßt insbesondere Frankreichs Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy mit dem Wangenkuss.

Der scheidende Finanzminister Josef Pröll begrüsst seine Nachfolgerin Maria Fekter mit einem Bussi auf die Wange

APA/Herbert Pfarrhofer

Zwei ÖVP-Granden auf Tuchfühlung

Kussverbot am Arbeitsplatz

Merkels Landkollegen reagieren ablehnender. Einigen missfällt das lockere Bussi-Bussi - vor allem im Arbeitsleben. Die Deutsche Knigge-Gesellschaft reagierte nun auf Anfragen und Beschwerden von Arbeitnehmern, die sich gegen das Begrüßungsritual auf dem Arbeitsplatz und im Geschäftsleben wehren.

Der Vorsitzende der Gesellschaft, Hans-Michael Klein, empfiehlt stattdessen - basierend auf den Ergebnissen einer Arbeitsgruppe - den traditionellen Händedruck und will die Küsschen vom Arbeitsplatz vertreiben: „Ab sofort gilt: Küssen verboten. Zumindest im Büro.“ Denn es bleibe bei vielen der Verdacht, dass es dabei eine erotische Komponente gebe, so Klein.

Berührungen tabu

Mit dem Handschlag könne man die übliche soziale Distanz von rund 60 Zentimetern besser aufrechterhalten. Eine größere Nähe und Berührungen während des Gesprächs wie etwa in Südamerika seien im Businessalltag in Deutschland tabu, betonte Klein.

Namensgeber Knigge

Der deutsche Schriftsteller und Aufklärer Freiherr Adolph Franz Friedrich Ludwig Knigge (1752 - 1796) wurde vor allem für sein Buch „Über den Umgang mit Menschen“ bekannt. Sein Name steht stellvertretend für den gleichnamigen Benimmratgeber.

„Die Menschen sagen, dass das kein typisch deutsches Verhalten ist“, argumentierte der deutsche Knigge-Chef gegenüber BBC. Denn mittlerweile hat die deutsche Debatte auch Einzug in die britischen Medien gehalten.

„Daily Mail“ meinte sogar, dass das Bussi-Bussi als Gefährdung für die bisher anerkannte Regelung des formalen „Sie“ statt der lockereren Anrede „Du“ gesehen würde. Im Interview gegenüber dem „Telegraph“ ging Klein noch einen Schritt weiter: „Küssen in der Arbeit geht einfach vielen auf die Nerven. Es ist eine Form von Terror.“

In Österreich kein Problem

Den „spezifischen kulturellen Kontext“, den Klein ansprach, kann Schäfer-Elmayer nicht nachvollziehen: „Selbst in Japan, ein Land, wo die Distanz die Grundeinstellung ist, habe ich Bussi-Bussi unter Japanern gesehen. Das ist global und hat mit der deutschen Kultur nichts zu tun.“ In Österreich hat der Benimmexperte bisher keine Anfragen zu diesem Thema gehabt.

Schäfer-Elmayer: „Wenn man das Bussi-Bussi nicht will, sollte man es einfach sagen - unaufgebracht und nicht beleidigt.“ Vorschriften und Regulierungen von oben hält er in diesem Bereich nicht für angebracht. Klein betonte, Menschen, die nicht geküsst werden wollen, „schützen“ zu wollen. Es solle daher zusätzlich eine kleine Nachricht am Schreibtisch aufgestellt werden, um das seiner Umwelt mitzuteilen.

Erst links, dann rechts

Gegen das Bussi-Bussi im Privatbereich hat Klein weniger einzuwenden. Auch dafür gibt das Knigge-Institut, als oberster Etikettewächter in Deutschland, Regeln heraus, um peinliche Ausrutscher zu vermeiden: Der private Begrüßungskuss beginnt links und endet rechts, ist gehaucht und nicht geschmatzt.

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