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Der kühle Politsommer 1961

Anfang Juni 1961 hat die Welt gespannt nach Wien geblickt. Ein zweitägiges Gipfeltreffen zwischen dem Sowjet-Regierungschef Nikita Chruschtschow und dem US-Präsidenten John F. Kennedy drehte sich nicht zuletzt auch um eine Frage: Kann sich an der strittigen Berlin-Frage ein großer militärischer Konflikt entzünden? Gerade war die Schweinebuch-Invasion gescheitert, da stand mit dem von den Sowjets geforderten Abzug der Westalliierten aus Berlin der nächste Zankapfel im Raum.

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Die Berlin-Frage schwelte damals bereits seit Jahren zwischen der Sowjetunion und den Westmächten, die zu dieser Zeit einander gerade im Kalten Krieg gegenüberstanden. Eine Enklave der Westmächte mitten in einem Warschauer-Pakt-Staat war Moskau schon lange ein Dorn im Auge.

Moskau und das DDR-Problem

Das hatte immer stärkere Auswirkungen auf die Bevölkerungsströme: Allein 1960 verließen 200.000 Menschen Ostdeutschland in Richtung Westen - zumeist junge, gut ausgebildete Arbeitskräfte. Zwischen 1949 und 1961 waren es insgesamt 2,7 Millionen Menschen. Vom wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenbruch Ostdeutschlands war unter Genossen die Rede.

Die Sowjetunion bemühte sich daher darum, West-Berlin zu einer entmilitarisierten „freien Stadt“ umzuwandeln, deren Versorgung ganz von der DDR abhängig war - doch die Westmächte weigerten sich abzuziehen.

Durch einen von den Ost-Mächten angedrohten separaten Friedensvertrag mit der DDR hätten die westlichen Alliierten das Recht auf den Zugang nach Westberlin verloren. Man befürchtete eine neuerliche Berlin-Blockade.

Schlechte Vorzeichen

Kurz vor dem Gipfel, am 17. April 1961, hatten 1.500 Exilkubaner versucht, das kommunistische Castro-Regime zu stürzen. Mit logistischer Unterstützung der USA landeten sie in der Schweinebucht im Süden Kubas. Die Aktion scheiterte kläglich. Das Schweinebucht-Fiasko schwächte in den Augen von politischen Beobachtern die amerikanische Position beim Gipfel. Die Sowjets andererseits strotzten wegen ihrer Weltraumerfolge vor Selbstvertrauen.

USA mit geringen Erwartungen

Unter diesen Vorzeichen ging man vor allem auf amerikanischer Seite mit geringen Erwartungen in das Treffen. Nicht mehr als eine erste Tuchfühlung zwischen den beiden Staatschefs sollte der Gipfel in Wien am 3. und 4. Juni 1961 werden.

Kennedy, erst seit Jahresbeginn im Amt, war zum Auftakt des Gipfels nicht nur politisch angeschlagen. Kennedy war auch gesundheitlich nicht gerüstet, einen harten Verhandlungsgipfel durchzustehen, wie die Dokumentation „Geheimakte Mauer“ (Mittwochabend, ORF 2, 23.00 Uhr) deutlich macht. Kennedy wollte trotz aller widrigen Vorzeichen Stärke zeigen.

Chruschtschow dagegen wollte die Schwäche seines Gegenübers nützen und die Westmächte aus Berlin vertreiben. Wie die Akten aus dem Moskauer Archiv für Zeitgeschichte zeigen, bezeichnete Chruschtschow Kennedy wörtlich als „Hurensohn“.

Die Berater von Kennedy hatten, wie der US-Diplomat Kempton Jenkins in der Dokumentation ausführt, alle Hände voll zu tun, Kennedy die Bedeutung der Berlin-Frage überhaupt klarzumachen. Sergej Chruschtschow, Sohn des früheren Sowjet-Führers, spielt die Haltung seines Vaters gegenüber Kennedy herunter. Dass Nikita Chruschtschow John F. Kennedy als einen Politiker ansah, den man leicht erniedrigen konnte, sei eine verkürzte, primitive US-Rhetorik, wie man sie aus dem „Superman“-Film kennt, so Sergei Chruschtschow, der in der Sowjetunion Ingenieur für Raketenbau war und mittlerweile selbst US-Bürger und Politikwissenschaftler an der amerikanischen Brown-Universität ist.

Sowjet-Regierungschef Nikita Chruschtschow und US-Präsidenten John F. Kennedy 1961 in Wien

AP

Spaziergang im Park der Botschaft - trotz Lächelns in der Öffentlichkeit verliefen die Gespräche mehr als zäh

Wien im Mittelpunkt der Weltpolitik

Am Freitag, dem 2. Juni 1961, kam Chruschtschow auf dem Wiener Südostbahnhof an, wo er von Bundespräsident Adolf Schärf empfangen wurde. Kennedy traf erst in der Früh des 3. Juni auf dem Flughafen Schwechat ein. Auf seinem Weg in die Stadt standen rund 100.000 Schaulustige Spalier. Am Samstag fanden die Beratungen in der amerikanischen Botschaft statt, am Sonntag in der sowjetischen. Gesellschaftlicher Höhepunkt des Gipfels war am Samstagabend das Diner im Schloss Schönbrunn. Es schien der einzig entspannte Moment an diesem sonst so schwierigen Gipfel zu sein.

Zähe Gespräche

Eigentlich begannen die Gespräche mit Missverständnissen. Kennedy wollte über Abrüstung reden, Chruschtschow wiederum über die Berlin-Frage.

Sohn von Ex-Sowjet-Regierungschef Nikita Chruschtschow

ZDF

Chruschtschow-Sohn: „Mein Vater wollte Kennedy nicht erniedrigen“

Die beiden grundverschiedenen Charaktere prallten aufeinander. Chruschtschow hatte selbst einigen Druck. Das „Bruderland“ DDR, das sich mit einer massiven Fluchtwelle der eigenen Bürger konfrontiert sah, drängte Chruschtschow zu einer Stabilisierung der DDR.

Mit aggressiver Rhetorik und unverhohlenen Drohungen wollte der Sowjet-Politiker Kennedy in die Zange nehmen. Der wiederum blieb, obschon beeindruckt bis schockiert, standhaft und machte - seinerseits unter entsprechendem Druck der Partner Deutschland und Frankreich - in der Berlin-Frage keinerlei Zugeständnisse.

„Es wird einen kalten Winter geben“

Die Gespräche endeten mit einem vielzitierten Wortwechsel. Während Chruschtschow erklärte: „Wir wollen keinen Krieg, wenn Sie ihn uns aber aufnötigen, wird es ihn geben“, antwortete Kennedy: „Wie es scheint, wird es einen kalten Winter geben in diesem Jahr.“

Gegenüber Dritten fielen die gegenseitigen Bewertungen der beiden wenig diplomatisch aus: Während Chruschtschow Kennedy wahlweise als „Hurensohn“ und „Weichling“ bezeichnet haben soll, sagte Kennedy nach dem Treffen zu einem „New York Times“-Journalisten sinngemäß: „Er hat mir die Hölle heißgemacht“ („He just beat the hell out of me“).

Dürres Schlusskommunique

Das nur 125 Worte umfassende dürre Abschlusskommunique des Treffens dokumentierte schließlich eine Einigung nur hinsichtlich der „Unterstützung eines neutralen und unabhängigen Laos“, ansonsten beschränkten sich Kennedy und Chruschtschow auf das Bekenntnis, „weiterhin Kontakte zu unterhalten, hinsichtlich aller Fragen, die von Interesse für die beiden Länder, aber auch für die ganze Welt sind“.

Wenige Wochen später begann die Führung der DDR mit dem Sanktus Moskaus den Bau der Berliner Mauer.

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