Beschwichtigung reicht nicht
Die Feuerwehraktion der Europäischen Zentralbank (EZB), Anleihen von Italien und Spanien zu kaufen, hat offenbar genauso wenig geholfen wie die optimistische Rede von US-Präsident Barack Obama am Montag in den USA. Die Märkte hatten von Obama mehr als einen Beschwichtigungsversuch erwartet. Die Börsen sind weiter im Sinkflug - auch in Europa.
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Der Kursrutsch vom Montag ist Analysten zufolge vergleichbar mit dem zum Höhepunkt der Finanzkrise Mitte 2008. Die Angst vor einer neuen Rezession und großen Sparanstrengungen treibt die Panik an den Börsen. Schloss der Dow Jones Index an der New Yorker Wall Street am Montag mit einem Minus von 5,55 Prozent und die Technologiebörse NASDAQ mit 6,9 Prozent weniger, setzte sich die Talfahrt am Dienstag an den asiatischen Börsen fort.
Verluste im Asien-Pazifik-Raum
Der Hang-Seng-Index in Hongkong fiel zeitweise bis zu sieben Prozent, erholte sich dann aber leicht wieder und schloss mit einem Minus von 5,66 Prozent. Die chinesischen Aktienmärkte in Schanghai und Schenzhen fielen zum Auftakt um 2,33 Prozent beziehungsweise 2,7 Prozent, schlossen aber mit einem geringen Minus von 0,03 Prozent sowie 0,02 Prozent eher ausgeglichen. Der japanische Nikkei-Index verlor 1,68 Prozent, nachdem die Kurse zeitweilig um bis zu fünf Prozent nachgegeben hatten.
Kurz zuvor hatten auch die Börsen in Neuseeland und Australien eine weitere Aktientalfahrt erlebt. In Wellington sank der Index NZX 50 gleich nach Handelsbeginn am Dienstag um 92 Punkte oder drei Prozent auf 3.093 Zähler. An der Börse in Sydney fiel der ASX 200 um 150 Punkte oder 3,6 Prozent auf das neue Tief von unter 4.000 Punkten - zum ersten Mal seit zwei Jahren. Sie schloss dann aber sogar mit 1,2 Prozent im Plus. In Seoul lag das Minus an der Börse bis zu zehn Prozent, schloss dann aber mit einem Minus von 3,64 Prozent.
„Emotionen kochen hoch“
„Eine Abstufung durch S&P ist zwar erwartet worden, aber dass es so schnell kommt, hat schockiert“, sagte ein Aktienexperte in London. Keith Wirt, Chefinvestmentstratege von Fifth Third Asset Management in Cincinnati, erläuterte: „Zwar gibt es derzeit billige Aktien auf dem Markt, aber die Emotionen kochen augenblicklich hoch. Es gibt genug Unsicherheiten, und die Anleger wollen daher so wenige Risiken wie möglich.“
Mit ausgelöst hat diese Nervosität die Herabstufung der Kreditwürdigkeit der USA durch die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) vergangenen Freitag nach Börsenschluss. Befürchteten Kursstürzen am Montag wurde vonseiten der Finanzminister der G-7-Staaten und von der EZB versucht, entgegenzuwirken. Eine Trendwende brachte das allerdings nicht.
Zusätzlich beantragte der US-Hypothekenkonzern Freddie Mac bei der US-Regierung erneut Staatshilfe. Nach Angaben vom Montag benötige das Unternehmen weitere 1,5 Milliarden Dollar an Steuergeldern. S&P hatte laut Bloomberg auch das „AAA“-Rating von Fannie Mae und Freddie Mac wegen der Abhängigkeit von Steuergeldern auf „AA+“ gesenkt.
Probleme nicht neu
Die Probleme sind nicht wirklich neu, ist der Ökonom Gottfried Haberl von der Klagenfurter Alpen-Adria-Universität im Ö1-Morgenjournal überzeugt. Die Märkte hätten aber offenbar ihre Schärfe erst jetzt erkannt. „Panik ist noch nicht angebracht“, so der Wissenschaftler - mehr dazu in oe1.ORF.at. Die Finanzmärkte reagieren allerdings über. „Erstaunlich ist die Geschwindigkeit. Denn Probleme in Euro-Land und in den USA sind schon länger bekannt“, analysierte auch der Börsenexperte Joachim Goldberg, Chef des Frankfurter Markt- und Verhaltensforscherunternehmens Cognitrend im dpa-Interview.
Kompromiss im US-Schuldenstreit Auslöser?
Als Auslöser für die anhaltende Talfahrt sieht Golfberg „den Minimalkompromiss im Schuldenstreit in den USA“. Nach der Einigung im USA-Schuldenstreit habe es am vergangenen Montag zunächst Jubel gegeben, „vor allem bei langfristig orientierten Anlegern hat dann aber offensichtlich ein Umdenken stattgefunden“. Sie hätten Aktien verkauft, in dem Moment als alle dachten, die Börsen gingen nach oben hoch: „Das ist ein typischer Moment, wo ich als großer Anleger verkaufen kann, ohne aufzufallen. Doch offensichtlich ist die Dosis zu groß geraten für den Markt“, sagte Goldberg.
Neuer Einbruch in Europa
Dass nun auch an Europas Börsen die Kurse abstürzen, obwohl die Sparanstrengungen und die Schuldenkrise schon länger bekannt seien, erklärt der Experte mit Psychologie: „Bei uns herrscht die Haltung, wenn es Amerika schlecht geht, muss es uns doppelt schlecht gehen. Wir neigen dazu, zu überzeichnen.“ Der ATX an der Wiener Börse verlor bis Handelsschluss am Montag 6,11 Prozent. Der deutsche Leitindex DAX verlor 5,02 Prozent.
Am Dienstag starteten Europas Leitbörsen zunächst etwas höher. Dann brachen die Kurse erneut an - der DAX zeitweise um mehr als sieben Prozent. Der ATX brach um knapp 5,5 Prozent am Vormittag ein.
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