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Straßenschlachten auch in Birmingham

Nach zwei Nächten mit den schwersten Ausschreitungen seit mehr als 20 Jahren ist es am Montagabend in London erneut zu Straßenschlachten zwischen vorwiegend Jugendlichen und der Polizei gekommen. Britische Zeitungen sprachen von einer „Schlacht um London“.

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In den Stadtteilen Peckham und Croydon im Süden der Stadt brannten Häuser. Laut BBC kam es erstmals auch außerhalb Londons, in Birmingham, der zweitgrößten Stadt des Landes, und in Liverpool zu Krawallen. Im Bezirk Hackney im Osten Londons war es bereits am Nachmittag zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und der Polizei gekommen, wie auf Fernsehbildern zu sehen war. Anschließend griffen die Unruhen auf weitere Stadtteile über.

Bürogebäude in Brand gesetzt

In Hackney verwüsteten Dutzende Jugendliche Geschäfte, plünderten einen Lastwagen und zündeten Müllcontainer an. Außerdem setzten sie geparkte Autos in Brand, bevor die Polizei in Schutzausrüstung die Menge zerstreuen konnte. Fernsehbilder aus dem verarmten Viertel Peckham zeigten ein brennendes Bürogebäude, von dem die Flammen auf andere Gebäude überzugreifen drohten.

Plünderer in einem Geschäft in London

Reuters/Olivia Harris

Jugendliche plündern Geschäfte

Ruf nach Armeeeinsatz

Der amtierende Chef der Londoner Polizei Scotland Yard, Tim Godwin, rief alle Eltern auf, ihre Kinder zu kontaktieren. Die Menschen sollten die Straßen räumen. „Es sind viel zu viele Schaulustige auf den Straßen“, sagte er. Von Anwohnern wurde der Einsatz der Armee gefordert. Die britische Innenministerin Theresa May verteidigte das Vorgehen der Polizei bei den Krawallen in London: „In Großbritannien halten wir niemanden mit Wasserwerfern zurück.“ Die Polizei agierte verhältnismäßig zurückhaltend auf die Gewaltausbrüche und bekam die Lage - den Fernsehbildern nach zu urteilen - kaum in den Griff.

Ein führender Polizist von Scotland Yard erklärte unterdessen, das Profil der Krawallmacher habe sich seit Beginn der Ausschreitungen am Wochenende geändert. Während in den ersten beiden Nächten vor allem 14- bis 17-Jährige beteiligt waren, hätten in der Nacht zum Dienstag Gruppen älterer Randalierer mit Autos die Plünderungen organisiert, sagte Polizeioffizier Stephen Kavanagh. Einige hätten versucht, Sanitäter und Feuerwehrleute anzugreifen.

Ausschreitungen begannen am Wochenende

Die Ausschreitungen hatten nach dem Tod eines Mannes bei einem Polizeieinsatz im Stadtteil Tottenham begonnen und sich in der Nacht auf Montag auf andere Stadtteile, darunter den Problembezirk Brixton, aber auch die Einkaufsmeile Oxford Street im Zentrum ausgeweitet. Die Polizei hatte zwar Verstärkung beordert, dennoch kam es vielerorts zu Plünderungen. Insgesamt 35 Polizisten wurden am Wochenende verletzt. Die Sicherheitsbehörden machten für die jüngsten Ausschreitungen „Trittbrettfahrer“ verantwortlich und zeigten sich vom Ausmaß der Gewalt schockiert. Aus dem zentralenglischen Birmingham gab es Berichte über Zusammenstöße von Jugendlichen mit der Polizei, die zuvor Schaufenster eingeworfen haben sollen.

Brennendes Gebäude

AP/Lewis Whyld

In London brannten einige Häuser

Bereits 450 Festnahmen

Von Beginn der Unruhen bis Dienstagvormittag wurden insgesamt 450 Menschen festgenommen. Unter den Festgenommenen war auch ein elfjähriger Bub, wie Innenministerin May erklärte. Die Ministerin, die wegen der Krawalle ihren Urlaub abbrach, kündigte an, Randalierer und Plünderer vor Gericht stellen zu lassen.

Die Polizei schickte in der Nacht zum Dienstag weitere 1.700 Beamte in die „Krisengebiete“ Londons. „Zu wenig und zu spät“, sagte ein ausgeraubter Geschäftsinhaber der BBC zu den Polizeieinsätzen. Insgesamt waren allein in London rund 6.000 Beamte im Einsatz. 44 Polizisten wurden in der Nacht verletzt. Dienstagfrüh wurden zwei für den Abend in London angesetzte Spiele des englischen Fußballligapokals verschoben.

Drei Menschen wurden wegen des Verdachts auf versuchten Mord festgenommen. Ihnen wird nach Angaben von Scotland Yard vorgeworfen, in der Früh mit einem Auto zwei Polizisten im nördlichen Londoner Stadtteil Brent angefahren zu haben. Ein Polizist sei ins Krankenhaus gebracht worden, der andere habe leichtere Verletzungen erlitten.

Regierungsspitzen brechen Urlaub ab

Wie May brach auch Premierminister David Cameron wegen der sich ausbreitenden Ausschreitungen seinen Urlaub in der italienischen Toskana ab und kehrte nach London zurück, teilte die Downing Street mit. Der Premierminister habe eine Sondersitzung des Nationalen Sicherheitsrates einberufen. Zuvor hatte auch Vizepremier Nick Clegg seinen Urlaub vorzeitig beendet. Auch Londons Bürgermeister Boris Johnson will am Dienstag in die Stadt zurückkommen.

„Unnötige Gewalt“

Vizepremier Clegg besuchte am Montag ausgebrannte Häuser und Geschäfte und sprach von „unnötiger und opportunistischer Gewalt“, die „absolut nichts mit dem Tod von Mark Duggan zu tun“ habe. Der Tod des vierfachen Familienvaters Duggan am vergangenen Donnerstag war der Auslöser der Krawalle in der Nacht zum Sonntag in Tottenham. Er wurde von einer Polizeikugel tödlich verletzt, als eine Spezialeinheit ihn im Zuge von Ermittlungen gegen Waffenkriminalität festnehmen wollte. Die Ermittlungen zu den Umständen des Todes dauerten am Montag noch an.

Die Problembezirke Tottenham und Brixton waren bereits in den 80er Jahren Schauplatz gewaltsamer Ausschreitungen. Viele Briten ziehen Parallelen zu der Gewalt im Viertel im Jahr 1985. Die Ausschreitungen seien eine Folge der hohen Arbeitslosigkeit und der aktuellen Kürzungen im Sozialwesen, heißt es.

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