Fataler Reifenplatzer
Albert Camus war ein politischer und kritischer Autor - auch gegen die sowjetische Politik bezog er immer wieder Stellung. Jetzt behauptet die italienische Zeitung „Corriere della Sera“, der Literaturnobelpreisträger sei vom sowjetischen Geheimdienst KGB getötet worden.
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In europäischen Zeitungen wird mehr als 50 Jahre nach dem Tod des französischen Schriftstellers, Philosophen und Nobelpreisträgers über ein mögliches Mordkomplott spekuliert. Der verstorbene tschechische Schriftsteller und Übersetzer Jan Zabrana habe in einer bisher unbekannten Passage seines Tagebuches von einem Mordkommando des sowjetischen Außenministers Dimitri Schepilow gegen Camus geschrieben, berichtete der britische „Observer“ am Sonntag unter Berufung auf „Corriere della Serra“.
Ein Unbekannter, „der vieles weiß“
Der 1984 verstorbene Tscheche berief sich auf eine ungenannte Person, einen „Mann, der vieles weiß und gut informierte Quellen“ habe. Diesem zufolge hätten sowjetische Spione die Reifen des Fahrzeugs beschädigt, mit dem Camus und sein Freund und Verleger Michel Gallimard auf dem Weg nach Paris waren. Camus hatte sich nach dem Erhalt des Nobelpreises 1957 den Traum seines Lebens erfüllt: ein Haus auf dem Land, in Lourmarin in der französischen Provence. Über Weihnachten 1959 besuchte ihn seine Frau Francine mit ihren gemeinsamen Zwillingskindern. Silvester feierte die Familie mit den Verlegerfreunden Michel und Janine Gallimard.
Im Auto des Verlegers
Wenige Tage nach Neujahr hätte Camus mit dem Zug nach Paris fahren sollen, das Ticket hatte er schon in der Tasche. Weil Gallimard aber einen neuen Sportwagen hatte, entschied sich der Schriftsteller, samt seiner Frau dem befreundeten Paar auf dem Weg nach Paris im Auto Gesellschaft zu leisten. Camus saß auf dem Beifahrersitz, die Frauen hinten, als ein Reifen platzte, der Wagen von der Straße abkam und schließlich gegen einen Baum prallte. Die beiden Frauen überlebten beinahe unverletzt, Michel Gallimard starb zehn Tage nach dem Unfall, Camus war sofort tot.

AP/Jean Jacques Levy
In diesem Auto verunglückte Albert Camus im Jänner 1960
Wann und wie das Auto manipuliert worden sein soll, ist unklar. Zabrana schreibt, der KGB habe eine besondere, ausgetüftelte Technik angewandt, bei der der Reifen bei hoher Geschwindigkeit beschädigt werde. Grund für das Attentat sei ein publizistischer Angriff von Camus auf Schepilow gewesen, in dem der Schriftsteller dem sowjetischen Außenminister Schuld an der gewaltsamen Niederschlagung des ungarischen Aufstandes 1956 gab, heißt es nun.
Passage wieder aufgetaucht
Den Hinweis auf die Mordvorwürfe gab der italienische Dichter Giovanni Catelli, der bemerkt hatte, dass die entsprechende Passage in einer veröffentlichten Version des Tagebuchs von Zabrana fehlte. Camus hatte zum Zeitpunkt seines Todes am 4. Jänner 1960 Weltruhm erlangt. Im Wrack des Autos, in dem er und sein Verleger verunglückten, fand man ein unvollständiges Manuskript des 46-Jährigen mit dem Titel „Der erste Mensch“, das von seiner Jugend in Algerien handelt. Es wurde posthum 1994 veröffentlicht, eine deutsche Übersetzung erschien ein Jahr später.
Olivier Todd, ehemaliger BBC-Korrespondent in Paris und Camus-Biograf, hält die neuen Spekulationen indes für unglaubwürdig. Er sei bei seinen Recherchen auf keinerlei Hinweise gestoßen, die in diese Richtung wiesen. Zwar würde er dem KGB alles zutrauen, die nun aufgestellten Gerüchte machten ihn aber baff, wird der Camus-Experte im „Observer“ zitiert. Man müsse sich fragen, wer von diesen neuen „Enthüllungen“ profitiere und weshalb.
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